Ökonom Axel Dreher "Finanzkrise war ein Glücksfall für den IWF"

Der Ökonom Axel Dreher über die künftige Rolle des Internationalen Währungsfonds – und die politische Einflussnahme der USA auf IWF-Beschlüsse.

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Axel Dreher Quelle: Stefan Kröger für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Professor Dreher, bei der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds am 24. April dürften seine Repräsentanten selbstbewusst wie lange nicht auftreten. Ist der IWF nach jahrelangem Siechtum wieder in die erste Reihe der globalen Organisationen gerückt?

Dreher: Ja. Die Finanzkrise war für den IWF ein Glücksfall. Die wieder gestiegene Bedeutung des Fonds darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Reform dieser Organisation überfällig ist. Langfristig schaffen die IWF-Hilfen in ihrer derzeitigen Struktur und Höhe ein „Moral-Hazard-Problem“, wie Ökonomen sagen: Weil sich die Staaten letztlich immer auf die Hilfe des Fonds verlassen können, sinken die Anreize, eine schlechte Wirtschaftspolitik zu ändern.

Wieso? Der IWF koppelt seine Kredite doch meist an harte Auflagen.

Aber in der Praxis funktioniert das nicht besonders. Die Empfängerstaaten halten durchschnittlich nur 50 bis 60 Prozent der Auflagen ein. Der IWF moniert das dann zwar, aber die Regierungen reden sich häufig irgendwie raus. Und dann kommt auch schon die nächste Kredittranche. Ursprünglich waren IWF-Hilfen als kurzfristige Hilfe bei Zahlungsbilanzproblemen gedacht. In der Praxis sind daraus vielerorts Dauerkredite geworden, in manchen afrikanischen Staaten fließen diese Gelder fast ununterbrochen. Das kann nicht Sinn der Sache sein.

Wie müsste eine Reform aussehen?

Der IWF sollte sich wieder auf seine Kernaufgabe beschränken und keine Entwicklungspolitik betreiben. Diese Aufgabe ist bei der Weltbank besser aufgehoben. Zweitens sollte die Kreditvergabe neu organisiert werden.

Wie denn?

Kredite sollte es nur noch in drei Fällen geben. Erstens: Wir müssen gute Politik belohnen. Wer über Jahre eine gute Wirtschaftspolitik gemacht hat, sollte im Krisenfall IWF-Gelder völlig ohne Auflagen bekommen. Man könnte eine Art Positivliste von Staaten erstellen, die bestimmte ökonomische Indikatoren erfüllen. Die jüngst eingeführten flexiblen Kreditlinien des IWF gehen in diese Richtung. Zweitens brauchen wir eine kurzfristige Kreditfazilität bei exogenen Schocks, wenn also ein Land schuldlos in eine Krise gerät, zum Beispiel nach Naturkatastrophen. Und drittens muss es – mit saftigen Strafzinsen versehene – Hilfen für Länder geben, die durch eigene Schuld in die Krise geraten sind, aber andere mit in den Abgrund ziehen könnten. Wenn also ein Dominoeffekt droht.

So wie im Fall Griechenland?

Genau. Ohne den IWF hätte das böse ausgehen können. Die jetzige Konstruktion, bei der mögliche Finanzhilfen für Griechenland nur zu einem Drittel vom IWF kommen, halte ich aber für problematisch. In diesem Deal ist der IWF nur Juniorpartner, sein Druckpotenzial entsprechend klein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Griechen die IWF-Auflagen übermäßig ernst nehmen würden.

Es gibt auch andere Ängste. Die Europäische Zentralbank fürchtet insgeheim, dass über den IWF die USA indirekt Einfluss auf die Finanz- und Geldpolitik der Euro-Zone erhalten könnten.

Das ist Unfug. Es gibt keinen einzigen Druckmechanismus des IWF auf die Europäische Zentralbank. Und wenn Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagt, Europa müsse sich selber helfen, ist das für mich eine fragwürdige Form von europäischem Nationalismus.

Gutes Stichwort. Schäuble hat einen Europäischen Währungsfonds (EWF) angeregt, um künftige Krisen besser managen zu können – ohne Hilfe des IWF.

Da mag ich gar nicht drüber nachdenken! Das wäre das Ende des Europäischen Stabilitätspakts. Der EWF wäre letztlich ein politisches Gremium ohne echte Druckmittel auf Haushaltssünder.

Nach einem Beschluss der G20-Staaten sollen die Kreditmittel des IWF von 250 Milliarden auf 750 Milliarden Dollar steigen. Führt das nicht generell zu laxeren Auflagen, weil der IWF dieses Geld auch aus Eigeninteresse bei den Mitgliedstaaten abrufen und verteilen will?

Diese Gefahr besteht. Wir brauchen dringend eine Exitstrategie für die Zeit nach der Krise. Darüber macht sich aber leider niemand Gedanken. Was passiert denn, wenn die nächste große Krise erst in 15 Jahren kommt? Dann kann der IWF dreimal mehr Kredite vergeben als früher – und weiß nicht wofür. Er wird sich dann immer neue Aufgaben und Ausgabemöglichkeiten suchen. Der Fonds hat ein institutionelles Eigeninteresse, möglichst vielen Ländern Kredit zu geben. Und die Nachfrage nach IWF-Geldern dürfte umso stärker steigen, je lascher die Auflagen sind.

Schon jetzt gibt es IWF-Kreditzusagen von 166 Milliarden Dollar. Die betroffenen Länder haben davon aber nur 50 Milliarden abgerufen.

Das sehe ich nicht als Problem. Die Gelder fließen ja nicht auf einen Schlag, sondern über mehrere Jahre verteilt. Für einige Länder ist die Zusammenarbeit mit dem IWF eine Vorsichtsmaßnahme. Sie beantragen Kredit, obwohl sie ihn aktuell noch nicht brauchen. Wenn man die Zusage hat und bekannt gibt, sie nicht wahrnehmen zu wollen, kann das die Märkte beruhigen. Es ist ein Signal an Spekulanten: Seht her, jede Attacke ist sinnlos, wir haben den IWF in der Hinterhand.

Bis 2011 soll es eine institutionelle Reform des IWF geben, die auch die Stimmrechte neu justiert. Sind die Schwellenländer tatsächlich so unterrepräsentiert, wie sie immer klagen?

Ja. Die Machtbalance im Fonds ist gestört. Darunter leidet die Legitimation des gesamten IWF. Nötig ist eine neue Formel, bei der sich die Stimmrechte der einzelnen Staaten stärker an ihrer weltwirtschaftlichen Bedeutung orientieren.

Dann müssten die USA und Europa zurückstecken.

Diese Bereitschaft sehe ich nicht. Von den großen Industrienationen kommen nur Lippenbekenntnisse. Am Ende wird es nur kosmetische Änderungen geben. Hier geht es ja um Macht. Kein Staat wird IWF-Mitglied, um altruistisch der Weltgemeinschaft zu dienen. Man darf getrost unterstellen, dass die Staaten Eigeninteressen verfolgen. Theoretisch gibt es zwei Möglichkeiten, die Stimmrechte zu verschieben. Erstens: Die EU-Staaten einigen sich auf ein gemeinsames Stimmrecht. Oder die USA geben ihre Sperrminorität ab. Beides ist unrealistisch.

Wie kommen Entscheidungen im IWF überhaupt zustande? Ist der Fonds politisch unabhängig?

Bei der Kreditvergabe spielen nicht nur ökonomische Faktoren eine Rolle. Es gibt eine Einflussnahme der US-Administration. Sie hat den größten Stimmenanteil im IWF – gemeinsam mit ihren wichtigsten Verbündeten fast 50 Prozent. Ein Großteil der IWF-Mitarbeiter sind zudem Amerikaner oder im Land ausgebildet worden. Über diesen Kanal können die USA selbst das Tagesgeschäft des IWF beeinflussen.

Klingt nach Verschwörungstheorie.

Nein, das ist durch zahlreiche Studien empirisch belegt. Länder, die in der UN-Vollversammlung häufig so abstimmen wie die USA, müssen im Durchschnitt weniger Auflagen erfüllen, wenn sie einen IWF-Kredit brauchen. Sie bekommen zudem häufiger Kredite. Mit Kollegen habe ich eine ähnliche Analyse für die temporäre Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat durchgeführt. Hier war der Befund noch eindeutiger: Neben den fünf ständigen Mitgliedern hat der Sicherheitsrat ja zehn weitere Mitglieder, jeweils für zwei Jahre. Wir konnten zeigen, dass die Zahl der Kreditauflagen für diese Staaten während ihrer Mitgliedschaft signifikant nach unten ging. Sobald die Staaten den Sicherheitsrat verließen, stiegen die Auflagen wieder.

Wie kann das sein? Vorauseilender Gehorsam der IWF-Ökonomen oder direkte Anweisungen von oben?

Wahrscheinlich beides.

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