Ökonom Bernd Raffelhüschen „Rentner werden die einzigen Gewinner der Coronakrise sein“

Bernd Raffelhüschen warnt davor, den üppigen Tarifabschlusses des öffentlichen Diensts auf Beamten und Pensionäre zu übertragen.  Quelle: imago images

Rentenexperte Bernd Raffelhüschen warnt davor, den üppigen Tarifabschluss des öffentlichen Diensts auf Beamten und Pensionäre zu übertragen. Sonst würden – mitten in der Pandemie – Ungleichgewichte verschärft.

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Der Ökonom Bernd Raffelhüschen ist Professor an der Universität Bergen und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

WirtschaftsWoche: Die Tariferhöhungen für die Angestellten im öffentlichen Dienst sind sehr hoch ausgefallen. Das mag man für Krankenschwestern noch verstehen, aber die Erhöhung überträgt sich auch auf alle Beamte und alle Pensionäre.
Bernd Raffelhüschen: Auf den ersten Blick würde man meinen, dass die Gehaltserhöhungen von Krankenschwestern gerechtfertigt sind, weil sie von der Coronakrise besonders betroffen sind. Aber das ist Unfug. Unser Gesundheitssystem war in der Coronakrise gar nicht am Anschlag – im Gegenteil: Die Auslastungsgrade betrugen 20 bis 40 Prozent. Auf gut Deutsch: Man hat sie als Helden gefeiert, aber was Verdi erzählt hat, war Blödsinn. Sie haben Däumchen gedreht, denn wegen Corona kam keiner. Wenn wir in dieser Situation den öffentlichen Dienst, der durch die Coronakrise nicht belastet war, mit Lohnerhöhungen dieser Größenordnung ausstatten, ist das absolut daneben. Diese Menschen haben eine völlige Arbeitsplatzsicherheit. An sich ist diese Lohnerhöhung schon unverdient. Sie aber dann noch auf diejenigen zu übertragen, die von Corona überhaupt nicht betroffen sind, nämlich Beamte und Pensionäre, ist noch absurder.

Ist das denn ein Automatismus?
Die Tarifabschlüsse sind, wie sie sind. Ich hätte ihnen als öffentlicher Arbeitgeber nicht zugestimmt. Im Moment kennt niemand ein Halten. Dabei haben wir das Geld, was da ausgegeben wird, gar nicht. Wir machen wieder weiter Schulden für die aktiven Krankenschwestern. Und die Beamten und Pensionäre. Aus dem Alimentationsprinzip heraus ist diese Übertragung zwangsläufig. Man kann höchstens einen Teil dieser Erhöhungen nicht auszahlen, sondern als Versorgungsfondsrücklage für die Beamten anlegen. Ansonsten ist da nicht viel Spielraum.

Am Wochenende gab es die Schlagzeile in der FAZ, dass jetzt schon die unglaubliche Summe von zwei Billionen Euro fehlt für die Versorgung der Beamten im Alter.
Das ist eine Weiterentwicklung einer Studie, die ich selbst einmal gemacht habe. Wir berechnen diese Fortschreibung selbst gerade noch genauer, aber die Größenordnung stimmt. Wir haben fehlende Rückstellung für die Versorgung der deutschen Beamtenapparate von 60 bis 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das entspricht rund zwei Billionen Euro.

Und das wird jetzt noch mal fünf Prozent höher durch die Tariferhöhung?
Nicht ganz, weil wir einiges an Steigerung schon einplanen. Aber es ist deutlich, dass wir sowohl für die aktiven Beamten als auch für die passiven Beamten etwas angestellt haben, das wir vernünftigerweise nicht hätten tun sollen. Aber das Kind ist in den Brunnen gefallen. Der Fehler liegt im Tarifabschluss.

Die Beamtenpensionen liegen ohnehin um 30 Prozent über den Renten für Angestellte. Ist diese neuerliche Erhöhung nicht sehr ungerecht?
Will man Apfel mit Äpfeln vergleichen, ist die Rechnung anders. Die 30-prozentige Differenz ist deutlich kleiner, wenn Sie zwei Dinge mitberechnen: Angestellte erhalten für dieselbe Arbeit mehr Geld als Beamte, und sie erhalten zusätzlich eine Betriebsrente. Die Altersbezüge von Angestellten des öffentlichen Dienstes werden aufgestockt auf 75 Prozent oder jetzt 71,25 Prozent ihres vorherigen Lohnes, wie bei jedem Beamten auch. Und wenn man noch bedenkt, dass Renten nur teilweise versteuert werden, Pensionen aber voll, dann ist die Diskrepanz deutlich kleiner.

Das gilt ja nur für die öffentlich Angestellten. Das Gros der deutschen Arbeitnehmer aber erhält doch längst keine Betriebsrente mehr.
Gegenüber normalen Angestellten hat der Beamte einen riesigen Vorteil. Bei Mercedes oder Bosch kriegt noch jeder eine Betriebsrente, bei kleinen Klitschen in der Tat aber niemand. Der Beamte ist privilegiert, und er soll es auch sein – wir brauchen unbestechliche Richter. Diese großzügige Altersvorsorge steht nämlich auf dem Spiel, wenn ein Richter zwischendurch Mist baut. Sie ist als Sanktionsinstrument wichtig. Das Verwerfliche ist, dass wir Leute mit Beamtenprivilegien ausstatten, die es schlichtweg nicht verdient haben, weil sie nicht hoheitlich-rechtlich unterwegs sind. Früher waren das Postbeamte und Bahnbeamte. Die sind Gott sei Dank weg – ihre Pensionen bezahlen wir allerdings noch. Heute haben wir noch Lehrer und Hochschullehrer. Die haben im Beamtenstatus nichts zu suchen.

Es gibt ihrer Meinung nach also zu viele Beamte.
Wir sind schon weit gekommen. Wenn man bedenkt, wie viele wir mit den Bahnwärtern und Briefträgern schon abgebaut haben, dann ist erstaunlich, wie viele wir noch haben. Das Ganze wurde aufgebläht durch die Verbeamtungs-Welle der 70er und 80er Jahre. In Berlin wurde ja jeder Sozialarbeiter verbeamtet. Der Lehrerapparat wurde seit den 70er Jahren verdoppelt bei nur halb so viel Schülern.

Manche Bundesländer führen wenigstens eine Art Pensionsfonds, um für die späteren Lasten vorzusorgen.
Alle müssen einen gewissen Fonds führen, eben für die Versorgungsrücklage, die man früher von den übertragenen Tariferhöhungen aus dem öffentlichen Dienst einbehielt von den Beamtenpensionen. Die Politiker haben dieses Instrument der Rücklage für sich entdeckt. Aber wenn Sie sehen, wie diese Fonds investiert sind – nehmen wir das berühmt-berüchtigte Beispiel von Rheinland-Pfalz: Dort hat der frühere Ministerpräsident Kurt Beck einen Versorgungsfonds aufgemacht und gleichzeitig festgelegt, dass der in rheinland-pfälzische Schuldverschreibungen investiert werden muss.

Das Geld wird also bei Minuszinsen vernichtet?

Nicht nur das. Er hat Geld reingelegt und gleich wieder rausgenommen. So machen das viele Länder. Das ist keine Kapitaldeckung, sondern eine Mogelpackung. Wenn man den Beamten sagt, dass man eine Rücklage bildet, die unabhängig davon ist, ob der Steuerzahler später da ist oder nicht, wäre das eine Kapitaldeckung. Doch wenn man das Geld in Staatspapieren anlegt, stehen für die natürlich wieder die Steuerzahler gerade. Würde ein Unternehmer das für eine Rückstellung für betriebliche Altersversorgung machen, also eine Pensionskasse gründen und deren Geld wiederum ins eigene Unternehmen investieren, wäre das ein Straftatbestand, der zu Gefängnisstrafen führt. Das dürfen nur Ministerpräsidenten.


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Sie hatten im Sommer den Vorstoß gemacht, alle Rentenerhöhungen wegen der Coronakrise auszusetzen.
Ich hatte im Juni ein sechsmonatiges Moratorium gefordert, weil die Rentenerhöhung im Juli anstand. Ich wollte abwarten, wie sich die Coronakrise entwickelt – und habe mich damit lächerlich gemacht. Die Rentner haben mir Briefe geschrieben, das glauben Sie gar nicht. Ich habe 200 Drohungen gekriegt.

Und jetzt kommt die Quittung?
Die Renten steigen so, wie die Löhne letztes Jahr gestiegen sind. Die Pensionen steigen, so wie die Löhne diese Jahr gestiegen sind. Wir sind in beiden Fällen gleich falsch unterwegs. Und jetzt kommt es noch schlimmer: Im nächsten Jahr werden die Löhne dieses Jahres zählen, und die sind durch die Kurzarbeit etwas gefallen. Da müssten auch die Renten etwas fallen. Das geht aber nicht. Denn damals hat der damalige Arbeitsminister und heutige Finanzminister Olaf Scholz gesagt, dass Renten nicht sinken dürfen. Wenn die Löhne steigen, steigen die Renten, und wenn die Löhne sinken, bleiben die Renten gleich. Das hat er als Solidarität verkauft. Aber er hatte den Nachholfaktor, den wir als Rürup-Kommission eingeführt hatten, auf die Rentengarantie übertragen. Wenn die Löhne sinken, hat Scholz gesagt, bleiben die Renten konstant. Wenn die Löhne dann wieder steigen, dann steigen die Renten erst mal nicht um das, was sie eigentlich hätten fallen müssen. Die Senkung wird nachgeholt. 2018 aber setzte Hubertus Heil die gesamte Agenda 2010 aus. Damit wurde auch der Nachholfaktor aus dem Gesetz gestrichen.

Was bedeutet das für die Renten im kommenden Jahr?
Im nächsten Jahr lassen wir die Renten gleich, obwohl die Löhne sinken, und nachholen tun wir die Senkung auch nicht, weil Hubertus Heil das Gesetz abgeschafft hat. Wir hatten vor diesem Schritt gewarnt – aber es hat keiner gehört. Das Arbeitsministerium hat nicht geschnallt, dass sie mit der Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetzgebung auch den Nachholfaktor abschaffen. Jetzt bringt der Doppelfehler, also die Rentengarantie von Scholz plus die Abschaffung des Nachholfaktors von Heil das Unheil über uns, dass die Rentner die einzigen Gewinner aus der Coronakrise sein werden. Denn die Renten werden steigen.

Mehr zum Thema: Lohnzuwächse im öffentlichen Dienst dürfen die Staatskasse nicht überfordern. Und es gibt noch weitere Gründe für einen moderaten Abschluss. Ein Gastbeitrag von Clemens Fuest.

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