Ökonom Ernst Fehr "Widerspenstige Empirie"

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Die Bankenhochhäuser in Quelle: dpa

In der Öffentlichkeit wird das Entstehen der Spekulationsblase mit der Gier der Anleger erklärt...

...was viel zu kurz greift. Gier hat es immer gegeben, sie allein kann keine Finanzkrise erklären. Zudem wäre es falsch, irrationales Verhalten allein für Spekulationsblasen verantwortlich zu machen. Anleger handeln häufig sehr rational. Wenn ein Händler glaubt, dass die anderen irrational agieren, kann es für ihn durchaus sinnvoll sein, auf den fahrenden Zug auf zu springen. Wenn er rechtzeitig wieder abspringt, bevor die Blase platzt, macht er ein Geschäft. Es ist das Zusammenwirken von rationalen und irrationalen Händlern, die eine Blase immer größer werden lässt.

Können schärfere Regulierungen Finanzkrisen verhindern?

Regulierungen sind immer Antworten auf die vergangene Krise und nicht auf künftige Krisen. Das liegt in der Natur der Sache. Es wird  immer unerwartete Ereignisse geben, die zu neuen Krisen führen. Das ändert aber nichts daran, dass sinnvolle Regulierungen etwas Gutes sind. Dazu gehören höhere Eigenkapitalfundierungen bei Banken und effizientere Bonussysteme für Banker. Sie können dazu beitragen, dass uns eine Finanzkrise wie die zurückliegende so schnell nicht wieder erwischt.

Sie haben zusammen mit Hirnforschern die Hirnaktivitäten der Menschen bei ökonomischen Entscheidungen untersucht und festgestellt, dass im menschlichen Gehirn Belohnungsareale aktiviert werden, wenn andere Menschen für Verstöße gegen Gerechtigkeitsnormen bestraft werden. Erklärt das, warum viele Menschen den Thesen von Thilo Sarrazin zustimmen und ein härteres Vorgehen gegen Mitglieder der Gesellschaft fordern, die das Sozialsystem ausbeuten?

In unseren Gesellschaften gibt es eine Abneigung gegen Mitglieder, von denen angenommen wird, dass sie nur Nutzen aus ihrer Mitgliedschaft  ziehen ohne nennenswert zum Wohl der Gesellschaft beizutragen. Das gilt für Inländer wie für Ausländer. Wenn dann noch hinzu kommt, dass es sich bei diesen Gruppen um andere Ethnien handelt, verstärkt sich die Aversion. Das erklärt, warum die  Thesen von Sarrazin so populär sind. Eine neuroökonomisch messbare Satisfaktion der Menschen träte aber wohl  erst ein, wenn der Missbrauch des Sozialstaats bestraft würde.

Um wissenschaftlich Karriere zu machen, müssen Ökonomen in den besten Fachzeitschriften der Welt publizieren. Das hat der Profession den Vorwurf des Elfenbeindenkens eingetragen. Wie berechtigt ist der Vorwurf?

Ich sehe keinen Gegensatz  zwischen der Publikation in Top-Zeitschriften und der Bereitschaft, wirtschaftspolitisch relevante Dinge zu tun. Nehmen Sie die USA, da werden Ökonomen, die sich auf die Anwendung komplizierter mathematischer Modelle verstehen,  in höchste Regierungsämter oder zum Berater der Regierung berufen. Wirtschaftspolitische Beratung muss theoretisch und empirisch fundiert sein. Die traditionelle Ordnungsökonomie,  wie sie in Deutschland zum Teil noch betrieben wird, ist Schnee von gestern. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Die meisten Vertreter dieser Tradition haben wenig dazu beigetragen, empirische Phänomene besser zu verstehen, und sie haben sich gescheut die neuesten theoretischen und statistischen Forschungsmethoden anzuwenden. Das bringt die Wirtschaftswissenschaften nicht weiter.

Warum stoßen Ökonomen mit ihren Vorschläge häufig auf Widerstände der Politiker?

Die große gesellschaftliche Frage ist, wie wir Effizienz und Gerechtigkeit zusammen bringen. Ökonomen haben sich traditionell mehr um die Effizienzfragen gekümmert. Effiziente Lösungen sind aber häufig politisch nicht akzeptabel, weil sie die Gerechtigkeitsfrage ausklammern. Die Herausforderung für Ökonomen besteht darin, das Bedürfnis der Menschen nach Gerechtigkeit zu vereinbaren mit Lösungen, die zugleich möglichst effizient sind.     

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