Ökonom Ernst Fehr "Widerspenstige Empirie"

Der Ökonom Ernst Fehr erhält den Gustav-Stolper-Preis 2010, einen der wichtigsten wirtschaftswissenschaftlichen Auszeichnungen in Deutschland. Ein Gespräch über irrationales Verhalten, das Ende des homo oeconomicus - und die Fehler der Ökonomenzunft.

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Ernst Fehr

WirtschaftsWoche: Herr Professor Fehr, Sie gelten in der Ökonomenzunft als eine Art Multitalent. Anders als viele Ihrer Kollegen forschen Sie auch  auf den  Gebieten der  Psychologie, Anthropologie und Biologie. Was hat Sie dazu bewogen, das  Areal der Ökonomie zu verlassen?

Fehr: Ich war schon als Student überzeugt, dass die Ökonomie wichtige Dinge falsch einschätzt, weil sie zu restriktive Annahmen über das Verhalten der Menschen trifft. Sie unterstellt  zum Beispiel, dass alle Menschen immer eigennützig handeln. Ich halte das für unrealistisch. Es hat gedauert, mein Unbehagen in  produktive Forschung umzusetzen. Denn man braucht schlüssige und solide empirische Fakten, wenn man die  traditionellen  Annahmen der Ökonomie in Frage stellt. Diese Fakten hat uns zuerst die experimentelle Wirtschaftsforschung geliefert. Laborexperimente haben gezeigt, dass das Korsett der Annahmen, mit denen die Wirtschaftswissenschaft arbeitet, zu eng ist. Diese Erkenntnisse werden nun auch zunehmend von Felddaten und Feldexperimenten gestützt.

Welche Erkenntnisse haben die anderen Wissenschaftsdisziplinen gebracht?

Am produktivsten für meine Arbeit war die Psychologie. Sie zeigt, dass viele Verhaltensweisen von Menschen nicht vollständig rational sind. Das reicht von der Selbstüberschätzung über die verzerrte Wahrnehmung von Wahrscheinlichkeiten bis hin zur Verzerrung von Entscheidungen durch emotionale Einflüsse. Mittlerweile haben diese Erkenntnisse auch Eingang in den mainstream der ökonomischen Forschung gefunden.    

Sie stellen das traditionelle Leitbild des homo oeconomicus in Frage. Wollen Sie  die Wirtschaftstheorie neu schreiben?

Ich sage nicht, dass sie völlig neu geschrieben werden muss. Aber wir müssen sie mit offeneren Augen betrachten. Die traditionelle Annahme egoistischen Verhaltens hat sich häufig als falsch erwiesen und zu fehlerhaften Prognosen geführt. Ähnliches gilt für die Annahme völlig rationalen Verhaltens. Es gibt Ökonomen, die diese strikten Annahmen verteidigen. Aber ich glaube, die Zeit wird über sie hinweg gehen. Es wird immer mehr zum Standardwerkzeug der Ökonomie, auch nicht-rationales Verhalten zu berücksichtigen. Wann rationales und wann nicht-rationales Verhalten vorliegt, ist letztlich eine empirisch zu klärende Frage. Das kann man nicht einfach als Annahme festlegen.  

Die Traditionalisten kritisieren, Ihnen mangele es an einer übergreifenden, konsistenten Theorie.

Für beschränkt rationales Verhaltens gibt es in der Tat noch keine übergreifende Theorie. Aber das liegt daran, dass die Empirie widerspenstig ist. Es wird kompliziert, wenn wir die einfache Optimierungsannahme fallen lassen und nicht mehr unterstellen, dass die Menschen nur ihren Eigennutzen maximieren. Dann bewegen wir uns auf schwankendem Grund. Aber die traditionelle Wirtschaftsforschung hat uns für diese empirischen Befunde bisher keine Antworten geliefert. Vielleicht wird es nie eine in sich geschlossene Theorie für nicht-rationales Verhalten geben. Trotzdem müssen wir dieses berücksichtigen, wenn wir die Welt erklären wollen. 

Menschen gehen am Dienstag in Quelle: dpa

Geben Sie uns mal ein Beispiel. Wo tritt denn nicht-rationales Verhalten auf?

Nehmen Sie den Arbeitsmarkt. Dort spielen sowohl Fairnessmotive als auch Geldillusion eine große  Rolle für das Verhalten der Menschen. Damit können Sie erklären, wie es zu nominalen Lohnrigiditäten kommt, selbst wenn es keine Gewerkschaften gibt. Diese Rigiditäten schränken die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes ein und verhindern, dass Arbeitsmärkte wie typische Wettbewerbsmärkte funktionieren.

Wieso spielen Fairness, Reziprozität und Altruismus eine so große Rolle?

Die Menschheitsgeschichte ist eine Geschichte des Egalitarismus, mit all seinen Vor- und Nachteilen. Wenn man sich kleine Stammesgesellschaften anschaut, dann gibt es dort enorm viel egalitäre Vorkehrungen. Die Menschen haben tausende von Jahren in solchen Strukturen gelebt. Die kulturelle Tradition hat die Bedeutung von Fairness und egalitären Vorstellungen bis heute bewahrt. Das sehen Sie am aktuellen Streit über die Höhe von Managergehältern.

Sind auf Fairness und egalitäre Verhältnisse ausgerichtete  Gesellschaften erfolgreich?

Die Geschichte zeigt, dass sich Gesellschaften mit starker Kooperation bei  Konflikten, etwa im Kampf mit anderen Gesellschaften, durchgesetzt haben. Solche auf Kooperation ausgerichtete Gesellschaften waren meist auch vergleichsweise egalitär strukturiert. Heutzutage stellt der Egalitarismus aber manchmal ein großes Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung dar. Wir haben Experimente bei Stammesgesellschaften in Papua Guinea gemacht. Dort herrschte ein enormer sozialer Druck, sein Einkommen mit den anderen zu teilen. Das hat die Anreize, sein eigenes  Geld zu verdienen und wirtschaftlich aktiv zu werden, drastisch verringert.

Sie greifen bei Ihren Forschungen auf Laborexperimente zurück. Was versprechen Sie sich davon?

Bei Laborexperimente können wir den Datenerzeugungsprozess kontrollieren. Die Daten sind sauberer, weil wir alle Einflussgrößen kennen und Störfaktoren ausschließen können. Wir stützen uns aber nicht nur auf die Ergebnisse von Laborexperimenten, sondern versuchen, diese mit anderen Daten, etwa denen von statistischen Ämter, abzugleichen.

Ökonomen wird  vorgeworfen, ihre Modelle hätten bei der  Analyse der  Finanzkrise versagt. Wie berechtigt ist der Vorwurf?

Diese pauschale Kritik ist unberechtigt. Sicher hat es viele Ökonomen gegeben – auch in den Banken – die die Krise nicht haben kommen sehen. Aber es hat auch warnende Stimmen gegeben. Denken Sie nur an Robert Shiller von der Yale-Universität. Er hat lange bevor die Immobilienkrise ausbrach vor einer Hauspreisblase gewarnt.

Die Bankenhochhäuser in Quelle: dpa

In der Öffentlichkeit wird das Entstehen der Spekulationsblase mit der Gier der Anleger erklärt...

...was viel zu kurz greift. Gier hat es immer gegeben, sie allein kann keine Finanzkrise erklären. Zudem wäre es falsch, irrationales Verhalten allein für Spekulationsblasen verantwortlich zu machen. Anleger handeln häufig sehr rational. Wenn ein Händler glaubt, dass die anderen irrational agieren, kann es für ihn durchaus sinnvoll sein, auf den fahrenden Zug auf zu springen. Wenn er rechtzeitig wieder abspringt, bevor die Blase platzt, macht er ein Geschäft. Es ist das Zusammenwirken von rationalen und irrationalen Händlern, die eine Blase immer größer werden lässt.

Können schärfere Regulierungen Finanzkrisen verhindern?

Regulierungen sind immer Antworten auf die vergangene Krise und nicht auf künftige Krisen. Das liegt in der Natur der Sache. Es wird  immer unerwartete Ereignisse geben, die zu neuen Krisen führen. Das ändert aber nichts daran, dass sinnvolle Regulierungen etwas Gutes sind. Dazu gehören höhere Eigenkapitalfundierungen bei Banken und effizientere Bonussysteme für Banker. Sie können dazu beitragen, dass uns eine Finanzkrise wie die zurückliegende so schnell nicht wieder erwischt.

Sie haben zusammen mit Hirnforschern die Hirnaktivitäten der Menschen bei ökonomischen Entscheidungen untersucht und festgestellt, dass im menschlichen Gehirn Belohnungsareale aktiviert werden, wenn andere Menschen für Verstöße gegen Gerechtigkeitsnormen bestraft werden. Erklärt das, warum viele Menschen den Thesen von Thilo Sarrazin zustimmen und ein härteres Vorgehen gegen Mitglieder der Gesellschaft fordern, die das Sozialsystem ausbeuten?

In unseren Gesellschaften gibt es eine Abneigung gegen Mitglieder, von denen angenommen wird, dass sie nur Nutzen aus ihrer Mitgliedschaft  ziehen ohne nennenswert zum Wohl der Gesellschaft beizutragen. Das gilt für Inländer wie für Ausländer. Wenn dann noch hinzu kommt, dass es sich bei diesen Gruppen um andere Ethnien handelt, verstärkt sich die Aversion. Das erklärt, warum die  Thesen von Sarrazin so populär sind. Eine neuroökonomisch messbare Satisfaktion der Menschen träte aber wohl  erst ein, wenn der Missbrauch des Sozialstaats bestraft würde.

Um wissenschaftlich Karriere zu machen, müssen Ökonomen in den besten Fachzeitschriften der Welt publizieren. Das hat der Profession den Vorwurf des Elfenbeindenkens eingetragen. Wie berechtigt ist der Vorwurf?

Ich sehe keinen Gegensatz  zwischen der Publikation in Top-Zeitschriften und der Bereitschaft, wirtschaftspolitisch relevante Dinge zu tun. Nehmen Sie die USA, da werden Ökonomen, die sich auf die Anwendung komplizierter mathematischer Modelle verstehen,  in höchste Regierungsämter oder zum Berater der Regierung berufen. Wirtschaftspolitische Beratung muss theoretisch und empirisch fundiert sein. Die traditionelle Ordnungsökonomie,  wie sie in Deutschland zum Teil noch betrieben wird, ist Schnee von gestern. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Die meisten Vertreter dieser Tradition haben wenig dazu beigetragen, empirische Phänomene besser zu verstehen, und sie haben sich gescheut die neuesten theoretischen und statistischen Forschungsmethoden anzuwenden. Das bringt die Wirtschaftswissenschaften nicht weiter.

Warum stoßen Ökonomen mit ihren Vorschläge häufig auf Widerstände der Politiker?

Die große gesellschaftliche Frage ist, wie wir Effizienz und Gerechtigkeit zusammen bringen. Ökonomen haben sich traditionell mehr um die Effizienzfragen gekümmert. Effiziente Lösungen sind aber häufig politisch nicht akzeptabel, weil sie die Gerechtigkeitsfrage ausklammern. Die Herausforderung für Ökonomen besteht darin, das Bedürfnis der Menschen nach Gerechtigkeit zu vereinbaren mit Lösungen, die zugleich möglichst effizient sind.     

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