Ökonom John Cochrane Angebotsverknappung und Inflation sind ein massiver Weckruf

Die großzügige Zahlung von Arbeitslosenhilfe durch die amerikanische Regierung während der Corona-Pandemie hat die Arbeitsbereitschaft der Menschen sinken lassen. Viele Arbeitnehmer hatten dank der staatlichen Transfers mehr Geld im Portemonnaie als wenn sie regulär gearbeitet hätten. Quelle: dpa

Ob Arbeitskräfte, Rohstoffe oder Energie – Produktionsfaktoren sind derzeit extrem knapp. Doch die meisten Versorgungsengpässe sind das Ergebnis einer schlechten Wirtschaftspolitik, die falsche Anreize setzt. Es ist daher Zeit für eine Rückbesinnung auf die Angebotspolitik. Ein Gastbeitrag.  

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John Cochrane ist Senior Fellow der Hoover Institution an der Stanford Universität. Zuvor war der Experte für Finanzen und Makroökonomie Professor in Chicago.

Galoppierende Inflation, explodierende Energiepreise, Produktionsengpässe, Verknappungen, nicht auf Anrufe reagierende Klempner – die ökonomische Orthodoxie erfährt gerade, dass nicht nur die Nachfrage, sondern auch das Angebot Bedeutung für die Wirtschaft hat. Vor allem dann, wenn es knapper ist als gewünscht.  

Natürlich spielt auch die Nachfrage eine Rolle. Würden die Menschen nur halb so viel kaufen, wie sie es gerade tun, wären die momentanen Engpässe und Knappheiten nicht vorhanden. Aber die US-Notenbank und das Finanzministerium der Vereinigten Staaten haben Billionen neue Dollar gedruckt und an fast alle Amerikaner Schecks verteilt. Die daraufhin folgende Inflation hätte man leicht vorhersehen können, aber sie hat die Fed auf dem falschen Fuß erwischt.

Die amerikanische Zentralbank redet sich damit heraus, die Angebotsengpässe seien vorübergehender Natur und eine direkte Folge der angestauten Nachfrage, die sich nun abbaut. Doch die Aufgabe der Fed besteht darin, das mögliche Güterangebot, das die Wirtschaft liefern kann, abzuschätzen und die Geldversorgung so zu steuern, dass sich die Nachfrage dem Angebot anpasst. 

Die „Moderne Geldtheorie“ ist widerlegt 

Die aktuellen Knappheitsprobleme sollten den Vertretern der Hauptstrom-Ökonomik Anlass zum Umdenken geben. So verdienen die Vertreter der Theorie realer Konjunkturzyklen neuen Respekt. Sie thematisieren in ihren Modellen Verknappungen und Angebotsineffizienzen. Und Arthur Laffer, dessen nach ihm benannte Kurve besagt, dass geringere Grenzsteuersätze das Wachstum stimulieren, dürfte sich durch die Rekordeinnahmen bestätigt fühlen, die der Staat dieses Jahr durch Unternehmenssteuern erzielt. 

Dagegen ist zu hoffen, dass die Vertreter der Modernen Geldtheorie, die der Regierung raten, Geld zu drucken und an die Menschen zu verteilen, möglichst bald verstummen. Denn ihre Behauptung, das Anwerfen der Notenpresse werde die Inflation nicht ankurbeln, weil es in der Wirtschaft immer freie Kapazitäten gäbe, ist durch die aktuelle Entwicklung eindrücklich widerlegt. 

Aber was steckt hinter den Angebotsengpässen? Das preisbereinigte Pro-Kopf-Einkommen in den USA hat im letzten Quartal kaum sein vorpandemisches Niveau überschritten und die Gesamtbeschäftigung liegt immer noch um fünf Millionen unter ihrem bisherigen Höchstwert. Daher könnte man meinen, dass es gar keine Angebotsengpässe gibt. Dass sie gleichwohl existieren, zeigt, dass jede Menge Sand im Getriebe der US-Wirtschaft steckt. Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist es daher, die Ineffizienzen und Blockaden auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft zu beseitigen. 

Staatliche Transfers verringern das Arbeitsangebot 

Schauen wir uns den Arbeitsmarkt an. Derzeit gibt es mehr als zehn Millionen unbesetzter Arbeitsplätze – drei Millionen mehr als der vorpandemische Höchstwert. Zugleich suchen aber nur sechs Millionen Menschen eine Arbeit. Die Anzahl der Arbeitssuchenden ist um drei Millionen zurückgegangen. Bisher lag der Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter stets bei 63 Prozent. Aktuell sind es nur noch 61,6 Prozent. 

Ein Grund für das geringe Arbeitsangebot sind die üppigen staatlichen Transferleistungen, die die Regierung in der Pandemie verteilt hat. Das zusätzliche Geld hat die Arbeitsbereitschaft der Menschen sinken lassen. So wie Lotteriegewinner dazu neigen, ihre Stelle aufzugeben. Im vergangenen Sommer zeigte sich, dass Arbeitslose, die dank staatlicher Transfers mehr Geld im Portemonnaie haben als wenn sie arbeiteten, nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurückkehren. 

Erinnern wir uns daran, wie Experten vor ein paar Jahren darauf drängten, Lastwagenfahrern, deren Jobs bald durch künstliche Intelligenz verdrängt werden, ein staatliches Grundeinkommen anzubieten. Nun, wir haben den Leuten Schecks geschickt, und nun sind wir überrascht, dass es zu wenig Lastwagenfahrer gibt. 

Fehlanreize bei der Kinderbetreuung 

Praktisch alle Maßnahmen, die die US-Regierung im Zuge der Corona-Pandemie ergriffen hat, tragen zu diesen Fehlanreizen und damit zu den Angebotshemmnissen bei. Als ein Beispiel unter Tausenden kann die Kinderbetreuung dienen: Deren Kosten wurden zu einer Folge der Krise erklärt und das Build-Back-Better-Gesetz der US-Regierung zum Wiederaufbau sieht ein unbegrenztes Anrecht auf eine staatliche Erstattung der Kinderbetreuungskosten vor – egal, was es kostet. 

Dieses Gesetz führt zu explodierenden Kosten und Fehlanreizen. Es schreibt vor, dass Kinderbetreuer anstelle des aktuellen Durchschnitts von 25 510 Dollar ebenso viel verdienen müssen wie Grundschullehrer (63 930 Dollar). Anbieter müssen über eine Lizenz verfügen. Familien zahlen einen festen und steigenden Anteil ihres Gesamteinkommens. Verdienen sie mehr Geld, werden die Zuwendungen verringert. Heiratet ein Paar, zahlt es aufgrund des gemeinsamen Einkommens einen höheren Betrag. Dadurch, dass die Zahlungen als Prozentsatz des Einkommens festgelegt werden und die Regierung den Rest übernimmt, werden entweder die Preise explodieren, oder es muss schnell Preiskontrollen geben.  

Klimapolitik auf Irrwegen 

Oder nehmen wir die Klimapolitik, die in diesen Wochen wieder ganz oben auf der politischen Agenda steht. Die Politik konzentriert sich darauf, das Angebot fossiler Energien zu vernichten, bevor in großem Umfang verlässliche Alternativen verfügbar sind. Quizfrage: Wenn man das Angebot verringert, gehen die Preise dann hoch oder runter? Die Europäer mit ihren steigenden Energiepreisen konnten dies in diesem Herbst herausfinden.

In den Vereinigten Staaten erzählen uns die Politiker, aufgrund von „Klimagefahren“ drohe fossilen Energieunternehmen der Bankrott durch niedrige Preise. Wem hier die Tatsachen auf die Füße fallen, werden wir sehen. Die OPEC und Russland anzuflehen, angesichts unserer  geschlossenen Zapfhähne ihre zu öffnen, wird jedenfalls nur begrenzte Wirkung zeigen.

Jüngst hat die Internationale Energieagentur erklärt, die aktuellen Klimaversprechen würden 13 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen – und dass sich diese Zahl bei einem „Nettonull-Szenario“ sogar verdoppeln würde. Aber wir leiden unter einem Mangel an Arbeitskräften. Wenn wir keine LKW-Fahrer einstellen können, um Schiffe zu entladen, wo sollen dann diese 13 Millionen neuen Arbeitnehmer herkommen? Und wer wird die Arbeit übernehmen, die sie vorher getan haben? Früher oder später müssen wir erkennen, dass wir nicht mehr im Jahr 1933 sind – und mehr Arbeitskräfte dafür einzusetzen, die gleiche Energie zu erzeugen, ist kein Nutzen-, sondern ein Kostenfaktor. 

Befreit das Angebot von staatlichen Fesseln! 

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Es ist Zeit, die Fesseln abzustreifen, die die US-Regierung dem Angebot angelegt hat. Die staatliche Politik hält die Menschen davon ab, mehr Wohnraum zu schaffen. Lizenzen zur Berufsausübung verringern das Angebot. Und auch durch Arbeitsgesetze – wie Vorschriften, die Uber-Fahrer nicht als freie Mitarbeiter, sondern als Angestellte einstufen – werden Angebot und Möglichkeiten eingeschränkt. Für das Infrastrukturproblem ist nicht das Geld verantwortlich, sondern Gesetze und Regeln, die die Infrastruktur, wenn sie überhaupt gebaut werden kann, absurd verteuern. U-Bahnen kosten heute über eine Milliarde Dollar pro Meile. Vergabeordnungen für Bauleistungen, Verpflichtungen zur Zahlung von Gewerkschaftsbeiträgen und Umweltprozesse behindern die Arbeitsfortschritte und verringern das Angebot. Wir beklagen uns über Arbeitskräftemangel, aber Tausende möglicher Einwanderer warten nur darauf, zu uns zu kommen, um zu arbeiten, Steuern zu zahlen und unsere Wirtschaft anzukurbeln.

Eine Angebotsverknappung mit gleichzeitiger Inflation ist ein massiver Weckruf. Angebot und Effizienz müssen nun an die erste Stelle unserer wirtschaftspolitischen Prioritäten rücken.

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