Ökonomen für Mehrwertsteuersenkung „Untere Einkommen profitieren“

Im Wahlkampf versprechen die Parteien vor allem Entlastungen bei der Einkommensteuer. Davon aber hätten Geringverdiener kaum etwas, sagt der Berliner Ökonom Fratzscher. Er hat einen ganz anderen Ansatz.

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Ökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sprechen sich für eine Senkung der Mehrwertsteuer aus. Quelle: dpa

Berlin Im Parteienstreit über Entlastungen der Bürger schlägt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Senkung der Mehrwertsteuer vor. „Will man die Mehrheit der Bevölkerung mit den unteren und mittleren Einkommen steuerlich wirksam entlasten, ist eine Mehrwertsteuersenkung eine mögliche und zielgenauere Alternative“, sagte DIW-Chef Marcel Fratzscher der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Die unteren 20 bis 30 Prozent, die keine oder kaum eine Einkommensteuer zahlen, haben weder etwas von Einkommensteuersenkungen noch von der Abschaffung des „Soli“.“

Eine Senkung des Mehrwertsteuer-Regelsatzes um einen Prozentpunkt auf 18 Prozent würde die Verbraucher um rund elf Milliarden Euro entlasten. Würde der ermäßigte Mehrwertsteuersatz nur für Nahrungsmittel und den Nahverkehr um zwei Punkte auf 5 Prozent gesenkt, könnten Privathaushalte laut DIW mit 3,8 Milliarden Euro profitieren. Insgesamt ergäben sich Entlastungen von jährlich knapp 15 Milliarden Euro. Voraussetzung sei, dass Hersteller die niedrigere Steuerlast an die Kunden weitergeben. Würden übrige Ermäßigungen abgeschafft, könnten die Mindereinnahmen des Staates auf 7,4 Milliarden Euro halbiert werden. Auch „Der Spiegel“ berichtet über die Zahlen, die das DIW am Mittwoch vorlegen will.

„Eigentlich ist eine Mehrwertsteuersenkung die Maßnahme, die allen Menschen hilft“, sagte der DIW-Chef. Denn Geringverdiener wendeten einen weit höheren Anteil ihres Einkommens für die Mehrwertsteuer auf als Menschen mit hohen Einkommen. Auch international wäre dies ein Signal. Mit einer Mehrwertsteuersenkung würden der Konsum angekurbelt sowie Importe verbilligt und damit der im Ausland kritisierte deutsche Handelsüberschuss abgebaut. „Letztlich wäre das eine effektive Aufwertung des Konsums und eine klare Botschaft an die europäischen Partner und die USA“, sagte Fratzscher.

Die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze und die teils kaum noch nachvollziehbaren vielen Ausnahmen für Produkte und Dienstleistungen sorgen seit Jahren für Diskussionen. Nach einer Faustformel kostet die Senkung des Regelsteuersatzes um einen Prozentpunkt den Staat jährlich etwa 11,2 Milliarden Euro. Eine Reduzierung des ermäßigten Satzes um einen Punkt würde mit Mindereinnahmen von 2,6 Milliarden Euro in den Staatskassen zu Buche schlagen.

Eine seit Jahren angemahnte Reform scheut die Politik, da bei einer Abschaffung von Privilegien Proteste programmiert wären. Senkungen bei der Einkommensteuer sind zumindest schneller sichtbar auf dem Lohnzettel als geringere Mehrwertsteuern. Kritiker befürchten auch, dass sich Mehrwertsteuersenkungen am Ende nicht in niedrigeren Preisen niederschlagen. Fratzscher teilt diese Sorgen nicht. Die Abschaffung könnte schrittweise erfolgen. Mittelfristig würden Steuersenkungen an Konsumenten weitergegeben und Preise angepasst.

Die Wahlkampfversprechen der Parteien drehen sich vor allem um direkte Steuern wie Einkommen- und Unternehmensteuern. Lasten durch indirekte Steuern wie Mehrwert-, Versicherung-, Energie- oder Tabak- und Alkoholsteuer spielen dagegen kaum eine Rolle. Die SPD will im Falle eines Wahlsieges „besondere Privilegien für einzelne Interessengruppen“ bei der Mehrwertsteuer zurücknehmen. Auch Linke und Grünen sind für Korrekturen. Die AfD fordert die Senkung der allgemeinen Mehrwertsteuer um sieben Prozentpunkte.

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