Ökonomen streiten über Steuersenkungen Wohin mit dem Geld?

Finanzminister Wolfgang Schäuble will die Bürger am Haushaltsüberschuss beteiligen – mit Steuersenkungen. Doch wie gut ist das für die Konjunktur? Die Ökonomen streiten sich: Soll der Staat entlasten oder investieren?

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Soll der Haushaltsüberschuss an die Bürger gehen oder direkt investiert werden? Quelle: dpa

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat Probleme, von denen andere Finanzminister in Europa nur träumen können: Die Staatseinnahmen sprudeln und nach dem Haushaltsabschluss fließen 18 Milliarden Euro mehr als geplant in die Kasse. Auch für 2017 sieht es nicht schlechter aus.

In seiner Rede vor dem Bundestag am Mittwochmorgen erklärte Schäuble, er sehe in der nächsten Wahlperiode einen Spielraum für Steuersenkungen von rund 15 Milliarden Euro. Diesen wolle er nutzen, um kleinere und mittlere Einkommen zu entlasten. Schon zum 1. Januar 2017 wolle er dafür zwei Milliarden Euro ausgeben, kündigte der CDU-Politiker an. Zwar sind Schäubles Steuerpläne längst nicht so umfangreich, wie von vielen gefordert, trotzdem offenbaren sie einen Grundsatzstreit in der Wirtschaftswissenschaft, der die Ökonomen entzweit.

Während die einen Wissenschaftler Schäubles Pläne befürworten, halten andere Steuersenkungen für einen Fehler. „Man kann nicht Politik nach Kassenlage machen“, sagt Katja Rietzler, Expertin für Steuer,- und Finanzpolitik des Instituts für Makroökonomik und Konjunkturforschung (IMK). Noch könne sich die deutsche Regierung über die gute Konjunktur freuen, doch wenn die Wirtschaft wieder schwächelt oder die Ausgaben für Zinsen wieder steigen, fehle dem Staat eine wichtige Einnahmequelle, so Rietzler. Der Staat müsse langfristig mehr investieren, statt die Einnahmen zu senken.

Steuern: So viel Geld nimmt der Bund bis 2020 ein

Grundsätzlich gilt: Sowohl Steuersenkungen als auch Investitionen kurbeln die Wirtschaft an. Senkt der Staat die Steuern, haben die Steuerzahler mehr Geld zur Verfügung. Einen Teil des zusätzlichen Geldes geben sie dann wieder aus. Dieses Geld fließt, zum Beispiel durch die Mehrwertsteuer, zurück an den Staat. Allerdings nutzen die Haushalte nicht das gesamte Geld, das sie durch Steuersenkungen gespart haben, für Konsum. Einen anderen Teil sparen sie.

Dieser Teil gehe dem Staat verloren. Das IMK geht davon aus, dass die Haushalte etwa die Hälfte des zusätzlichen Geldes konsumieren und die andere Hälfte sparen. Wenn der Staat also einen Euro für die Senkung von Steuern bezahlt, bekommt er nur 50 Cent wieder zurück, so die Berechnungen des IMK. Andere Institute hingegen geben an, dass Steuersenkungen sich selbst finanzieren, weil die Haushalte das gesparte Geld komplett wieder ausgeben.

„Die Steuersenkungen sind sinnvoll und längst überfällig“, sagt Tobias Hentze, Volkswirt des Instituts für Wirtschaft in Köln. Er sieht, anders als Rietzler, keine Gefahr eines plötzlichen Abschwungs. Die zusätzlichen Einnahmen müssten genutzt werden, um die mittleren und niedrigen Einkommen zu entlasten, so Hentze weiter.

Schlaglöcher, marode Brücken, halbfertige Flughäfen – Katja Rietzler vom IMK argumentiert vor allem für Investitionen. „Der Staat muss mehr Geld für Straßen, Brücken und Schulbücher ausgeben“, so Rietzler. Hinzu kommen eine Million neue Flüchtlinge, die untergebracht werden müssen. Schäuble müsse die Mehreinnahmen nutzen, um die Investitionsstau abzubauen. Im vergangenen Jahr gab der Bund mit 19 Prozent seiner Einnahmen weniger für Investitionen aus als der Durchschnitt aller EU-Länder. „Zu wenig“, urteilt Rietzel.

Mit ihrer Kritik stellt sie sich gegen eine breite Front von Wirtschaftswissenschaftlern, die Steuersenkungen befürworten. In seinem Frühjahrsbericht mahnte der Verband der Wirtschaftsinstitute schon 2015, die Steuerbelastungen seien zu hoch. „Moderate Steuersenkungen sind auf jeden Fall drin“, sagt auch Stefan Bach, Steuerexperte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Wir haben jetzt ein bisschen Luft, das sollten wir nutzen“, so Bach.

Wer Recht hat kann die Wissenschaft noch nicht sagen, sicher ist nur: Schäuble wird seinen Kurs beibehalten und die Steuerzahler wird es freuen.

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