Ökonomin Riphahn „Für ein Konjunkturpaket ist es zu früh“

Regina Riphahn, Professorin für Statistik und empirische Wirtschaftsforschung, meint: Ein Konjunkturpaket hat noch Zeit. Quelle: Friedrich-Alexander-Universität (FAU)

Die Ökonomin Regina Riphahn berät Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Ihr Rat an die Bundesregierung: Nachprüfbare Kriterien für Staatsbeteiligungen, keine staatliche Maskenproduktion und Vorsicht beim Timing von Milliardenhilfen.

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Regina Riphahn ist Professorin für Statistik und empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg und stellvertretende Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

WirtschaftsWoche: Frau Riphahn, drei simple Fragen zu Beginn. Erstens: Sollte der Staat bei der Lufthansa einsteigen?
Regina Riphahn: Die Fluglinie war vor der Coronakrise ein solides Unternehmen mit funktionierendem Geschäftsmodell. Der Staat hat darüber hinaus ein berechtigtes Interesse an den Logistikketten, die die Airline sichert. Also ja, es gibt gute Argumente für diesen Schritt.

Aber?
Jede Staatsbeteiligung sollte nach klar definierten Kriterien erfolgen. Und ob diese Kriterien erfüllt sind, sollten bitte keine Politiker prüfen, sondern Fachleute. So simpel ist Ihre Frage also nicht.

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Zweitens: Muss es ein milliardenschweres Konjunkturpaket geben?
Darüber darf man jetzt schon nachdenken, aber es wäre noch zu früh, eines zu schnüren. Gerade wirken die stabilisierenden Instrumente, etwa die Kurzarbeit. Wenn es dann später im Jahr soweit ist, sollte es gezielt Maßnahmen enthalten, die nicht nur die Wirtschaft stimulieren, sondern auch Strukturen verbessern, etwa in den Bereichen Infrastruktur, Digitales und Klima.

Und drittens: Brauchen wir eine staatliche Schutzmaskenproduktion?
Nein, das muss nicht in Deutschland geschehen. Da sollten wir europäisch denken und keine Renationalisierung forcieren. Und ganz sicher sollte das nicht der Staat in Eigenregie machen, sondern – wenn überhaupt – die Privatwirtschaft fördern, die das übernimmt.

Wie fällt überhaupt Ihr Gesamturteil über die bisherige Krisenreaktion der Bundesregierung aus?
Das sehe ich ebenso wie der gesamte Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums im Großen und Ganzen sehr positiv. Die Regierung hat schnell, umfassend und entschlossen gehandelt.

Auf die öffentlichen Haushalte kommen allerdings mutmaßlich gewaltige neue Schulden zu. Diejenigen, die heute gerettet werden, müssen die Berge morgen wieder abtragen...
... was aber auch gelingen kann. Ohnehin muss man sagen: Wie groß dieser Berg überhaupt wird, hängt von der Dauer der Krise ab. Und Deutschland befand sich in einer guten Ausgangslage. So wie es sich heute darstellt, kann die Bundesrepublik, können die Bürger das stemmen. Nach der Finanzkrise ist uns das bereits einmal gelungen.

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Noch bestehen Hoffnungen, dass viele Garantien gar nicht gezogen werden und Hilfskredite zurückgezahlt werden. Ist das zu optimistisch?
In manchen Branchen ganz sicher, leider. Etwa im Tourismus oder der Gastronomie. Da wird der Staat wohl Kredite noch in Zuschüsse umwandeln müssen, die nicht zurückgezahlt werden.

Kann sich die Bundesregierung einen zweiten Shutdown finanziell überhaupt leisten?
Das kommt darauf an, wie sehr das Budget im Zuge des ersten Shutdowns strapaziert wird. Aber ich bin Optimistin: Ja, das könnte er.

Sollte Deutschland in der EU mehr finanzielle Solidarität zeigen?
Kommt darauf an, wie man Solidarität definiert. Coronabonds sind nicht das Mittel der Wahl, aber wenn es um neue gemeinschaftliche EU-Projekte, etwa im Bereich der Gesundheitsvorsorge, geht, sollte Deutschland mehr Geld zu geben bereit sein.



Die EU sollte uns also mehr wert sein?
In der Tat. Ein schwaches Europa schwächt auch uns. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn wir die EU und unsere Nachbarn stützen, stützen wir uns selbst. Der kommende EU-Haushalt sollte das widerspiegeln, in der Größe ebenso wie in der Fokussierung auf Zukunftsinvestitionen. Dann kann man sich die nicht zielführenden Debatten um vergemeinschaftete Schulden praktischerweise gleich sparen.

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