Ökonomischer Fehlanreiz Bauland zurückzuhalten darf sich nicht lohnen

Seite 3/3

Ökonomischer Fehlanreiz

Am besten wäre es jedoch, gar keinen Mangel an Bauland entstehen zu lassen. Ein Credo, mit dem Ulm seit 125 Jahren gut lebt: Die Baulandpreise in der Stadt sind in den vergangenen zehn Jahren vergleichsweise moderat gestiegen – um knapp 40 Prozent (siehe Grafik Seite unten). In Ulm leitet Ulrich Soldner seit fast drei Jahrzehnten die Abteilung Liegenschaften. Im Besprechungszimmer hängen trotzdem keine vergilbten Plakate, sondern Pläne für künftige Baugrundstücke und einen Industriepark.

„Wien ist besser als Ulm“, sagt Soldner gleich zu Beginn des Gesprächs, als wolle er einer Enttäuschung vorbeugen. Er meint damit: In der österreichischen Hauptstadt werden zwei Drittel aller Mietwohnungen öffentlich gefördert – ein Grund, warum Wien derzeit international als Mekka der Wohnpolitik gilt. In Ulm ist es nur ein Drittel der Mietwohnungen. Allerdings weist Soldner auf einen Unterschied hin: „Im Verhältnis gesehen, hat Wien lange nicht die Baulandreserven wie wir.“

Etwa 4500 Hektar Land gehören der Stadt Ulm, mehr als ein Drittel des Stadtgebiets, sie hält Reserven für 4000 neue Wohneinheiten. Die Stadt kauft oft auf Jahrzehnte im Voraus Flächen, um sie irgendwann für Wohn- oder Gewerbegebiete oder auch im Tausch für andere Grundstücke zu nutzen. Zwölf Millionen Euro pro Jahr sind dafür im Haushalt eingeplant. Aber wenn sich eine besondere Gelegenheit zum Kauf bietet, genehmigt der Gemeinderat auch einmal das dreifache Budget.

Teurer Boden


Wie viel ein Quadratmeter baureifes Land in ausgewählten Städten durchschnittlich kostet

Das ermöglicht der Stadt einen besonderen Umgang mit Boden: In Ulm können Investoren Bauland nur von der Stadt selbst erwerben – denn ein Bebauungsplan wird erst dann rechtskräftig, wenn alle vorgesehenen Grundstücke der Stadt gehören. Es komme schon auch vor, dass man einen Eigentümer nicht überzeugen könne, an die Stadt zu verkaufen, gibt Soldner zu: „Aber dann entsteht dort halt kein Baugebiet.“

Im Grunde wirkt Ulm als Zwischenhändler: Die Stadt kauft Eigentümern ihren Boden zum Wert von Bauerwartungsland ab – etwa für 80 Euro pro Quadratmeter – und gibt ihn dann laut Soldner „zu angemessenen und familienfreundlichen“ Preisen wieder ab. Bei erschlossenem Bauland für das Wohnen liegt der Preis bei 150 bis 300 Euro pro Quadratmeter. Die ursprünglichen Eigentümer hätten trotzdem einen erheblichen Wertzuwachs, sagt Soldner – „aber der Bodenwert schießt nicht von fünf auf 500 Euro hoch“.

Außerdem müssen sich Käufer in Ulm verpflichten, ihre Immobilie in einem bestimmten Zeitrahmen fertigzustellen – bei Einfamilienhäusern eineinhalb Jahre – und selbst einzuziehen. Andernfalls droht eine Vertragsstrafe. Bleiben Grundstücke unbebaut, müssen sie an die Stadt zurückverkauft werden – und zwar zum von ihr einmal gezahlten Kaufpreis. Es komme selten vor, dass solche Fälle einträten, sagt Soldner: „Aber wenn, werden wir etwas unangenehm.“

Viel Wirbel, wenig Wirkung




So konsequent sind andere Kommunen nicht. 2017 zählte das Statistische Bundesamt einen Überhang von mehr als 650.000 bereits genehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen – seit 2008 steigt diese Zahl. Allein in Berlin könnte es den Genehmigungen nach knapp 50.000 Wohnungen mehr geben.

Das sei aus Sicht von Investoren durchaus verständlich, sagt Michael Voigtländer, Immobilienexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln: „Wir erleben den ökonomischen Fehlanreiz, dass es sich – auch wegen enorm gefallener Zinsen – für Investoren lohnt, Grundstücke zurückzuhalten.“ Und zu warten, weil die Preise von Jahr zu Jahr steigen. Da ist der Großinvestor in Berlin nicht anders als der Landwirt in Markt Allersberg.

Ob Bauer oder Oligarch – überall verschärfen Spekulanten so die Wohnungsnot. Es sei denn, die Kommunen vereinbaren von Anfang an ein klares Baugebot und setzen es anschließend auch konsequent um. Wie in Ulm. Oder sie reden miteinander wie in Markt Allersberg.

Ohne zu viele Worte. Ohne allzu viel politischen Aktionismus.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%