Özdemir wird es nicht An der Grünen-Spitze ist für die Wirtschaft kein Platz

Bei der Wahl zu Fraktionsvorsitzenden unterlegen: Kirsten Kappert-Gonther und Cem Özdemir. Damit bleibt alles beim Alten bei den Grünen. Beim Thema Wirtschaft bleibt eine Leerstelle. Quelle: dpa

Mit der neuen alten Fraktionsspitze der Grünen im Bundestag bleibt in der Wirtschaftspolitik eine Leerstelle. Das dürfte sich beim nächsten Anlauf zur Macht rächen.

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In der Grünen-Fraktion bleibt alles beim Alten. Das bedeutet Ruhe statt Chaos. Es bedeutet aber auch, dass die Partei mit der Sonnenblume an einer wichtigen Stelle blank bleibt. Für die Wirtschaftspolitik ist weder an der Parteispitze noch bei den Fraktionsvorsitzenden viel Sachverstand und Verständnis zu finden.

Die zurzeit kleinste Fraktion im Bundestag hat ihre Chefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter wiedergewählt. Das Herausforderer-Duo mit dem ehemaligen Parteichef und Spitzenkandidaten Cem Özdemir sowie der Gesundheitsexpertin Kirsten Kappert-Gonther hat es nicht geschafft. Der wirtschaftsfreundliche Oberrealo Özdemir scheiterte bei der Abstimmung um den „Männer-Platz“ der grünen Fraktionsspitze gegen Amtsinhaber Hofreiter, der als einziger in den Doppelspitzen von Partei und Fraktion noch den linken Flügel vertritt und allein schon deshalb als Favorit galt. Hofreiter, der Verkehrsexperte und Umweltpolitiker ist, setzte sich am Dienstag mit 58,2 Prozent der Stimmen gegen Özdemir durch.

Die alten und neuen Fraktionschefs sind nur milde beliebt bei den Ihren im Bundestag. Beide sind keine guten Redner oder als strategische Vordenker unterwegs. Aber sie halten das Team aus derzeit 67 Abgeordneten geräuschlos zusammen, das früher schonmal eine konfliktfreudige Truppe war. Göring-Eckardt half, dass sie sowohl für Realos wie Linke wählbar und dass sie einzige Ostdeutsche in den Doppelspitzen von Partei und Fraktion ist. Sie hat bisher vor allem Sozialpolitik und die Zuwanderung als Themen für sich gesetzt.

Doch das Spitzenduo im Bundestag ist ebenso wie die Doppelspitze der Partei mit Annalena Baerbock und Robert Habeck in der Wirtschaftspolitik sowie bei Finanzen und Steuern nicht gut aufgestellt. Es zeigen sich einige Leerstellen: Etwa wenn Baerbock konkret nach den Folgen des Umbaus in der Energiewirtschaft und nach Regeln für Unternehmen gefragt wird. Unsicherheit zeigt sich auch, wenn Habeck etwa nicht weiß, was die Pendlerpauschale ist und bei Steuern Forderungen aufstellt, aber sehr im Ungefähren bleibt.

Das Chef-Duo der Partei scheint in der öffentlichen Wahrnehmung allein unterwegs zu sein und zurzeit keine starken Fraktionschefs zu brauchen. Doch früher oder später wird der Mangel auffallen. Habeck und Baerbock treffen den Sound der Grün-Sympathisanten und liefern Vorschläge zum Klimaschutz oder zur sozialen Gerechtigkeit samt guter Laune gratis.

Wirtschaft ist nicht alles, doch in der Politik ist ohne Wirtschaft alles nichts. Sollte die Öko-Partei um eine Beteiligung in der nächsten Bundesregierung verhandeln, wird ökonomisches Verständnis zentral. Sonst lassen sich Klimaschutz und ein Umbau der Industrie, sonst lassen sich Sozialreformen und Zuwanderung kaum konkret umsetzen. Jemand, der Wirtschaft versteht und belastbare Drähte zu Unternehmen hat, wäre da wichtig. Solche Voraussetzungen hat Özdemir in Jahren aufgebaut. Er kommt aus jener Gruppe der Grünen, die offensiv um Unternehmen wirbt und „mit grünen Ideen schwarze Zahlen“ schreiben möchte. Doch als Unterlegener wird er künftig eher weniger als mehr danach gefragt werden.

Klimaschutz braucht Wirtschaft

Die Wahl der Fraktionschefs war auch deshalb so wichtig, weil die Grünen Teil der nächsten Bundesregierung werden könnten - und die Vorsitzenden der Fraktion dann mit über eine Koalition verhandeln sowie gute Chancen auf ein Ministeramt hätten.

Özdemirs politische Zukunft ist jetzt offen, in der ersten Reihe wird sie im Bund nicht mehr unbedingt stattfinden. Auch die Wirtschaftsexpertin und frühere Fraktionsvize Kerstin Andreae ist auf dem Absprung und wird fehlen. Andreae, die auch schonmal mit einem Wirtschaftsprofil Fraktionschefin werden wollte, wechselt nun als Chefin zum Energieverband BDEW.

Wer macht jetzt Wirtschaft? Wer wird Unternehmerversteher? Wer bekommt einen Draht zur bürgerlichen, wirtschaftsfreundlichen Mittelschicht? Ohne ökonomisch halbwegs fitte Politiker in der ersten Reihe wird es mit den hohen Wahlergebnissen für die Grünen eher nicht weitergehen. Gerade wenn die Konjunktur schwächelt. Auch der Klimaschutz klappt nur, wenn die Wirtschaft schlaue Bedingungen für Innovationen bekommt.

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