Offshore-Windkraft Machen wir doch endlich mal richtig Wind!

Die Kosten für Windparks auf See sind so sehr gesunken, dass sie sich inzwischen marktwirtschaftlich rechnen. Quelle: dpa

Erneuerbarer Strom wird unsere Wirtschaft in nicht allzu ferner Zukunft antreiben, so wie es bisher das Öl tat. Ernten wir also konsequent die kostbaren Ressourcen, die direkt vor unseren Küsten wehen. Ein Gastbeitrag.

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Wir sind eine stolze Industrienation. Damit wir das auch bleiben, brauchen wir saubere, verlässliche und günstige Energie. Am besten jetzt – und nicht erst 2045. Denn treibhausgasneutral gewonnene Energie ist die Grundlage für grünen Wasserstoff, sauberen Stahl oder für wettbewerbsfähigen Zement. Wir können mit grünem Strom heizen oder schon jetzt vom Nordkap bis nach Afrika fahren, nur unterbrochen von kurzen Kaffeepausen. Die dafür benötigten Fahrzeuge kommen inzwischen nicht mehr nur aus den USA oder aus China, sondern inzwischen auch aus Bremen. Und die Energie für die Produktion stammt nicht mehr aus Russland oder Saudi-Arabien, sondern aus der Nordsee.

See schlägt Land

Die Kosten für Windparks auf See sind so sehr gesunken, dass sie sich inzwischen marktwirtschaftlich rechnen. Weil sie im Vergleich zu den Anlagen an Land mehr als doppelt so viele Stunden im Jahr unter Volllast Strom produzieren, lohnt es sich besonders, hier durch Umwandlung der Energie grünen Wasserstoff zu produzieren. Den Stoff, den wir für die klimaneutrale Industrie so dringend und so reichlich brauchen. Dadurch entsteht eine riesige wirtschaftliche Chance, nicht nur, aber gerade auch für Küstenstädte wie Bremerhaven. Denn der optimale Standort ist natürlich dort, wo der Strom von der See ankommt.

Die Offshore-Windenergie wird damit zum Jobmotor Norddeutschlands. Standorte wie Bremerhaven können dies dringend gebrauchen – wurden sie doch von der Globalisierung und dem Werftensterben in den vergangenen Jahrzehnten hart gebeutelt. Durch die Einschnitte, die die Windenergiebranche Anfang der Zehnerjahre erleben musste, wurden zudem wichtige Windenergieprojekte in der Region abgebrochen – zusammen mit Missmanagement der Landesregierung dann auch das Projekt des Offshore-Terminals begraben.

Die Folge: Die Arbeitslosigkeit in Bremerhaven liegt doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. Bei 13,8 Prozent, um genau zu sein. Die Armut ist so groß, dass in Bremerhaven-Lehe die Männer im Schnitt sechs Jahre früher sterben als Männer, die in München leben.

Das bisherige Tempo reicht nicht

Genau das könnte ein Aufschwung bei der Energieproduktion und in der Wasserstoffwirtschaft ändern. Ein ehrgeiziger Ausbau der Windkraft auf See ist dafür die Grundlage. Auch wenn klar ist, dass wir nicht unsere gesamte Energie auf dem Meer gewinnen können. Dafür ist der Platz zu eng, die Wartung zu kompliziert. Und Windkraftanlagen auf Land oder Fotovoltaikanlagen können Strom in Regionen produzieren, wo er direkt gebraucht wird. Allerdings dürfen wir seine unbestreitbaren Vorteile nicht ungenutzt lassen, um auch 2050 eine blühende, klimaneutrale Industrienation sein zu können.

Umso mehr ist es daher zu begrüßen, dass die Bundesregierung mit dem Inkrafttreten des Windenergie-auf-See-Gesetzes im vergangenen Jahr das Ausbauziel bis 2030 von 15 Gigawatt auf 20 Gigawatt um ein Drittel erhöht hat, 2040 sollen es gar 40 Gigawatt sein, die Energie vom Meer an Land bringen. Allerdings ist fraglich, ob das Ziel mit der momentanen Ausbaugeschwindigkeit erreicht werden kann: Derzeit sind rund 7,8 Gigawatt auf See installiert, bis zum 1. September 2021 ist knapp ein Gigawatt zusätzlich ausgeschrieben.

Nutzen wir endlich das volle Potenzial

Aber trotz dieser enttäuschenden Zahlen verläuft die Genehmigungsphase viel zu langsam. Da Planung und Bau einer Offshore-Windkraftanlage aufgrund der schwierigen Bedingungen auf See nicht so leicht sind, können bis zur Fertigstellung einer Anlage rund zehn Jahre verstreichen. Ob der erforderliche Zubau ausreicht, wird daher abzuwarten sein.

Gleichzeitig muss die nächste Bundesregierung noch intensiver den Ausbau von Stromnetzen stärken. Denn ohne Stromnetze kann der im Meer vor Cuxhaven produzierte Strom kaum nach Ludwigshafen zu BASF oder in das Ruhrgebiet zu Thyssenkrupp transportiert werden.

Schließlich muss sofort damit begonnen werden, die Wasserstoffproduktion noch näher an die Küste zu verlegen: Dort verarbeiteter Strom muss gar nicht erst über die Lande gebracht werden, sondern kann zu Gas verarbeitet auf herkömmliche Art abtransportiert werden. Noch viel wichtiger: Mit Wasserstoff kann überschüssige Energie, die nachts am Markt nicht gebraucht wird, gespeichert werden.

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Die Losung lautet: Je mehr Küstenstrom, desto mehr neue Jobs. Gleichzeitig kurbeln wir unsere Wasserstoffproduktion an und nutzen erneuerbare Energien für alle Lebensbereiche. Ich bin der Meinung: Diese Chance dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Jedes nicht gebaute Windrad auf See, jede nicht erzeugte Kilowattstunde Strom bedeutet mehr CO2 in der Atmosphäre und weniger Geld auf unseren Konten.

Also, worauf warten wir?

Mehr zum Thema: Plötzlich soll es mit der klimaneutralen Wirtschaft ganz schnell gehen. Zentrales Schmiermittel der sauberen Zukunft ist Wasserstoff, chemische Formel: H2. Doch kurz bevor der Weg mit Milliardenhilfen vom Staat endgültig festgelegt wird, stellt sich die Frage: Stimmt die Richtung überhaupt?

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