Olaf Scholz trifft Joe Biden In Washington verlieren selbst die Wohlwollenden die Geduld mit Deutschland

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht vor seinem Treffen mit dem US-Präsidenten vor deutschen Medienvertretern in Washington. Hauptthema der Gespräche mit Joe Biden dürfte die Ukraine-Krise sein. Quelle: dpa

Bei seinem Antrittsbesuch in Washington muss Olaf Scholz die Irritationen über den Kurs der Bundesrepublik in der Ukraine-Krise zerstreuen. Die Skepsis ist spürbar.

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Bevor Olaf Scholz am späten Montagabend Washington wieder verlässt, macht er noch einen eher untypischen Abstecher. Direkt nach seinem Antrittsbesuch im Weißen Haus wird sich der deutsche Bundeskanzler ins Hauptquartier des Nachrichtensenders CNN fahren lassen, um dort dem Moderator Jake Tapper ein Interview zu geben. Ein Quotenrenner ist dessen Sendung „The Lead“ nicht. Gerade einmal ein paar hunderttausend Menschen schauen regelmäßig zu – gemessen an 330 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern ist das nicht viel. Doch in der Politikblase der US-Hauptstadt wird Tappers Show durchaus mit Interesse verfolgt. Genau darum dürfte es Scholz gehen.

Die Reise des Kanzlers fällt in komplizierte Zeiten. Zwischen Berlin und Washington knirscht es. Vor allem mit Blick auf die Ukraine-Krise ist man von den Deutschen in den USA enttäuscht. „Wir alle in der NATO tun, was wir können, um der Ukraine zu helfen“, kritisiert US-Senator Jim Risch, mächtiger Obmann der Republikaner im Auswärtigen Ausschuss, im WirtschaftsWoche-Interview. „Viele von uns glauben, dass ein Land mit Deutschlands Bedeutung und Möglichkeiten viel tun könnte und sollte.“

Der Eindruck, nicht genug zu leisten, ist gefährlich für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Unter Donald Trump konnte man die Forderungen aus den USA an die Bundesrepublik, mehr für Verteidigung auszugeben, mehr sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen und sich unabhängiger von russischem Gas zu machen, noch leicht ignorieren. Doch seitdem Joe Biden im Weißen Haus regiert, funktioniert das nicht mehr.

(Lesen Sie auch: Was US-Senator Jim Risch am deutschen Verhalten erzürnt – und was er fordert)

Der US-Präsident steht der wohl deutschlandfreundlichsten Administration seit langer Zeit vor, ging im Streit um die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 in Vorleistung und schützte Deutschland vor Sanktionen, die im Kongress von vielen einflussreichen Stimmen gefordert werden. Angesichts der als extrem langsam wahrgenommenen Bewegung Berlins im Ukraine-Konflikt geht mittlerweile selbst den Wohlwollendsten in Washington die Geduld aus. „Man erhofft sich von Berlin, dass es noch mehr Verantwortung in Europa übernehmen kann. Dies gilt insbesondere für die Sicherheitspolitik in Europas eigener Umgebung“, so Peter Sparding vom German Marshall Fund of the United States (GMFUS) zur WirtschafsWoche. „Natürlich weiß die amerikanische Seite, dass die Bundesregierung noch neu im Amt ist und noch die eigene Linie finden muss, aber dennoch hofft man in Washington, dass Deutschland etwas entschiedener an der Seite der NATO-Verbündeten auftreten würde.“

Von Verstimmungen will man in Deutschland allerdings offiziell nichts wissen. In Berlin werden Nähe und Vertrautheit zwischen beiden Regierungen in diesen Tagen merklich betont – nicht nur, aber sicher auch, um dem Eindruck entgegenzuwirken, Scholz habe derzeit in der internationalen Krisenbewältigung nur einen Beobachterstatus. Man befinde sich in einer „Phase intensiver Krisendiplomatie“, heißt es aus deutschen Regierungskreisen. Die Abstimmung von amerikanischer Seite mit den Verbündeten sei exzellent, „da wird volle Transparenz walten gelassen“. Mehr noch: Die Biden-Regierung sei „ein Glücksfall für die transatlantische Partnerschaft“.

Scholz’ außenpolitischer Chefberater Jens Plötner steht derzeit mehrmals pro Woche im Austausch mit seinem amerikanischen Kollegen. Überhaupt wird in Berlin die „diplomatische Choreografie“ herausgestellt, die über Washington hinaus auch die Reisen und Treffen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron einbezieht. Zumal man seit Oktober in einem langwierigen Prozess gemeinsam ein Sanktionspaket erarbeite. Das gemeinsame Ziel: die Entschärfung des Konflikts mit Russland.

Trotz der schönen Worte: Das Reiseprogramm des Bundeskanzlers liest sich wie eine kleine Charmeoffensive. Neben dem Antrittsbesuch bei Biden und dem Auftritt bei Tapper steht auch ein Abendessen mit Kongressabgeordneten auf der Tagesordnung – eine gute Gelegenheit, um für die deutsche Position im Ukraine-Konflikt zu werben.

Und eine notwendige. Denn im Senat arbeiten Demokraten und Republikaner derzeit gemeinsam an einem neuen Sanktionsgesetz, das Russland von einer Invasion der Ukraine abhalten soll. Neue Strafmaßnahmen gegen Nord Stream 2 sind nicht ausgeschlossen. „Alle möglichen Sanktionen sind denkbar, um Russland davon abzuhalten, die Ukraine anzugreifen“, so Senator Risch, der die Verhandlungen für seine Partei leitet.

Die Deutschen versuchen deshalb schon länger, Strafmaßnahmen abzuwenden. Angeblich wurde den Amerikanern aber bereits zugesichert, Nord Stream 2 im Fall eines russischen Einmarsches in die Ukraine nicht ans Netz gehen zu lassen. Auch verteilt die deutsche Botschaft fleißig ein kurzes Überblickspapier an amerikanische Kongressmitglieder, das die Hilfen der Bundesregierung an die Ukraine knapp zusammenfasst (Größter bilateraler Spender ziviler Hilfe: „Zwei Milliarden Dollar seit 2014“, „Lieferung von 1,5 Millionen Covid-19-Impfdosen, Beatmungsgeräten, Schutzausrüstung, für insgesamt 70 Millionen Dollar“). Auch die Rolle der Bundeswehr im Baltikum oder in Rumänien wird betont.

Dass diese Liste ausreichen wird, um die amerikanischen Ansprüche an Deutschland zu befriedigen, bezweifeln Beobachter. „Für die Biden-Regierung ist es klar, dass Nord Stream 2 bei einer weiteren russischen Eskalation nicht mehr tragbar ist“, so GMFUS-Experte Sparding. „Dies ist sicherlich eine Forderung, mit der auch Olaf Scholz bei seinem Besuch konfrontiert werden wird.“

Mehr zum Thema: Ist auf Deutschland in der Ukraine-Krise Verlass? Vor dem Treffen von Scholz und Biden spricht US-Senator Jim Risch über seine Erwartungen an den Bündnispartner – und seinen Frust über die Haltung der Bundesregierung.

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