Olaf Scholz und der G7-Gipfel in Elmau Das Ende vom Anfang dieses Kanzlers

Olaf Scholz, der Kanzler (4. v. li.), und seine Gäste. Quelle: REUTERS

Die üblichen hundert Tage Schonfrist nach Amtsbeginn hat Olaf Scholz nie bekommen. Der G7-Gipfel in Elmau markiert deshalb den eigentlichen Abschluss seines überschatteten Starts als Regierungschef. Was nun kommt? Offenes, heikles Gelände.

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In den knapp sieben Monaten seiner Kanzlerschaft hat Olaf Scholz bereits viele Reden gehalten; zwei davon waren beachtlich und bedeutend. Die erste gleich wenige Tage nach Beginn der russischen Invasion Ende Februar – mit der berühmten „Zeitenwende“ -, die zweite im Mai auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Aus der Perspektive von heute bilden die beiden Auftritte gewissermaßen ein seltsames Zwillingspaar; düster-entschlossen der eine, konstruktiv-optimistisch der andere. Währenddessen war und ist der Kanzler damit beschäftigt, politisch das Plateau zu erreichen, dass er rhetorisch längst erklommen hat.

Und nun also: Schloss Elmau, G7-Gipfel. Ein Ort, der symbolisch ausgerechnet ziemlich eng mit Angela Merkel verbunden ist. Weil sie dort ihren damals zweiten Gastgeberinnen-Auftritt im Kreis der großen westlichen Industrieländer hatte. Deutschland, das gerannte damals zu dem Bild wie Merkel die Arme vor dem Alpen ausbreitet, redet, und ein gewisser Barack Obama lauscht.

2015 war das. 2022 wird die Bundesrepublik von Olaf Scholz regiert, der von sich nun gerade nicht behaupten kann, mit den Traditionen und Pfaden der jüngeren Republik unverbunden zu sein. Scholz ist der Neue auf der Weltbühne, ohne neu zu sein. Er hat jetzt die Macht, aber er besitzt noch längst nicht Merkels Vertrauenskapital. Er will ein modernes Deutschland repräsentieren, aber es trägt dann doch noch sehr viel Ballast der Vergangenheit mit sich herum – zu viel irritierende Russlandnähe zum Beispiel. 

Wenn die vergangenen Monate eines gezeigt haben, dann das: Auch ein so erfahrener Politiker wie Scholz musste den Druck, die Macht, die Zwänge und die permanente Bedeutung einer Kanzlerschaft erst erleben, bevor er anfangen konnte, sich darauf einzustellen. Kein frisch vereidigter Kanzler, dies ist ebenfalls ein Teil der Wahrheit, musste jedoch binnen der üblichen hundert Tage Schonfrist einen Angriffskrieg in Europa bearbeiten. Scholz kultiviert normalerweise einen planenden, ordnenden und von Ordnung lebenden Politikstil. Der Krieg war so das absolute Gegenteil von Normalität.

Womöglich liegt darin eine Erklärung, warum Scholz es bisher nicht vermochte, das Tun der Regierung überzeugend konsistent zu erklären, sein Handeln in die sich gerade vollziehende Geschichte einzubetten. Anders als der ohne die Bürde der Richtlinienkompetenz auftrumpfende Robert Habeck macht Scholz bisher nicht den Eindruck eines Mannes, der sich diesen Zeiten als vollkommen ebenbürtig erweist.

Nun also: G7. Der am Sonntag gestartete Gipfel markiert das Ende vom Anfang der Kanzlerschaft Scholz. Die Zeitenwende hat aus hundert Tagen sieben Monate gemacht. Und die Welt erscheint so offen und fragil, widersprüchlich und dunkel wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

„Die Kernfrage lautet: Wie gelingt es uns, dass die multipolare Welt auch eine multilaterale Welt sein wird? Oder anders ausgedrückt: Wie schaffen wir eine Ordnung, in der ganz unterschiedliche Machtzentren im Interesse aller verlässlich zusammenwirken?“ Das waren zwei der wichtigen Sätze aus der Davos-Rede. Scholz‘ G7-Agenda lässt durchaus erkennen, wie seine Antworten ausfallen sollen. Er will den weltweiten Bund der Demokratien stärken, die aufstrebenden Nationen in aller Welt ernster nehmen und ihnen mehr Respekt zollen. Übrigens: Auch mehr Handel mit ihnen treiben (Stichwort: Diversifizierung). Nicht umsonst sind Länder wie Indien, Argentinien, Indonesien oder Senegal als Gäste in Elmau geladen.

„Was wir brauchen“, so Scholz in Davos weiter, „ist eine nachhaltige, resiliente Globalisierung, die Rücksicht auf natürliche Ressourcen und vor allem auf künftige Generationen nimmt. Wir brauchen eine solidarische Globalisierung, die allen Bürgerinnen und Bürgern zugutekommt, in allen Teilen der Welt“. Und weiter, pointierter: „Wir brauchen eine kluge Globalisierung.“

Eine kluge Globalisierung, das ist für den Exportweltmeister Deutschland sicher kein schlechtes Leitmotiv, der seinen Wohlstand halten und eine größere Rolle in der Welt spielen will. Doch gleichzeitig wirkt es in diesen geopolitisch verhärteten Zeiten anno 2022 seltsam hohl und substanzarm.

Warum? Nun, zunächst: Ein echtes Freihandelsabkommen mit den USA ist immer noch in weiter Ferne; was nach den US-Präsidentschaftswahlen 2024 passiert, bleibt unangenehm unkalkulierbar. Indien wiederum gibt sich bisher weitgehend ungerührt vom Ukrainekrieg und dem Drängen des Westens, Partei zu ergreifen. Chinas Bindung an Russland erweist sich als viel enger und unverbrüchlicher als es Außenpolitikern und Dax-Bossen lieb sein dürfte. Wirksamer Klimaschutz, letzter Punkt, dürfte im globalen Maßstab gesehen schwerer denn je werden.

Von diesem G7-Gipfel werden, davon darf man ausgehen, natürlich dennoch weiter Botschaften der Hoffnung und Entschlossenheit gesendet werden: geopolitisch, militärisch, finanziell. Die am Sonntag präsentierte 600-Milliarden-Antwort auf Chinas Seidenstraße gab einen ersten Vorgeschmack. Olaf Scholz wird sicher noch von vielen wichtigen Entscheidungen sprechen, von Geschlossenheit und Solidarität, von Weichenstellungen und Masterplänen.

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Kurzum: Der Kanzler wird auch nach dem Gipfel weiter darauf setzen, dass sich am Ende die Vernunft und der Pragmatismus in der Welt durchsetzen werden. Wollen wir hoffen, dass er sich da nicht täuscht.

Lesen Sie auch: Olaf Scholz akzeptiert endlich, dass Russland unser Feind sein will – und deutet Ambitionen an, als Staatsmann zu reüssieren. Nur für ein paar schöne Gipfeltage? Das wäre bitter. Auf die Deutschen kommen schwere Jahre zu.

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