Olaf Scholz unter Druck Die feinen Haarrisse in der Einheit des Westens

Bundeskanzler Olaf Scholz auf Staatsbesuch bei seinem niederländischen Amtskollegen Mark Rutte. Quelle: imago images

Der Bundeskanzler pflegt beim Antrittsbesuch in den Niederlanden alte Partnerschaften. Zuspruch kann Olaf Scholz in diesen Tagen auch gut gebrauchen. Denn die Verhältnisse zerren an ihm.

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Manchmal muss man sich einfach an den kleinen Freuden des Lebens laben, auch als deutscher Bundeskanzler. Im Amtssitz des niederländischen Ministerpräsidenten ist ein Gästeflügel nach einem Vorgänger von Olaf Scholz benannt – nach dem Sozialdemokraten Helmut Schmidt, der dort einst als erster übernachtete. 

Ausgerechnet. In eine Ahnenreihe mit Schmidt hat der amtierende Regierungschef sich schon immer gerne gestellt, zuletzt im Wahlkampf. So hanseatisch, nüchtern, so weltmännisch-souverän über den Dingen schwebend, möchte der amtierende Kanzler am liebsten auch gesehen werden. 

Ach, wenn es denn so einfach wäre. 

von Max Haerder, Dieter Schnaas, Sonja Álvarez, Max Biederbeck, Konrad Fischer, Daniel Goffart, Rüdiger Kiani-Kreß

Als Scholz am Donnerstagabend in Den Haag seinem Amtskollegen Mark Rutte zum Antrittsbesuch trifft, liegt wenig Helmutschmidtiges, dafür schon ein eher durchschnittlich erfolgreicher Tag hinter ihm. Dass der Regierungsairbus im Anflug auch noch eine Gewitterzelle umfliegen musste, passt da nur allzu gut in die Lage. 

Aber schon der Morgen hatte schlecht begonnen, und zwar mit dem ewigen Quälgeist Andrij Melnyk. Einmal mehr gab der ukrainische Botschafter in Berlin den obersten Kritiker: das Kanzleramt sei in Sachen Waffenlieferungen ein „Bremser“, es fehle am Willen, schnell zu helfen.

Das ist das Grundrauschen, vor dem Scholz‘ um kurz nach neun Uhr ans Pult des Bundestages tritt, zur Regierungserklärung. Der Kanzler bekräftigt darin einiges, was er schon zu früheren Gelegenheiten gesagt hat: keine Alleingänge, keine Kriegsbeteiligung der Nato, kein Sieg für Russland. Aber er wird doch deutlicher als sonst, als es um Unterstützung der Ukraine geht, jedenfalls rhetorisch. Hilfe zur Selbstverteidigung für ein „brutal angegriffenes Land“, das sei gerade „keine Eskalation“.

Ein Befreiungsschlag? Scholz deutet es in der Regierungserklärung selbst an: er kann es gerade niemandem recht machen. Den einen tut die Bundesregierung viel zu wenig, den anderen schon viel zu viel. Allein: einige der kritischen Spitzen, die danach Unions-Fraktionschef Friedrich Merz in der Parlamentsdebatte anbringt, sitzen. Sie sitzen unangenehm genau.

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Nach knapp sechs Monaten im Amt wirkt der Kanzler, als sei er der von ihm selbst ausgerufenen Zeitenwende nicht immer gewachsen. Die politischen Gezeiten spülen bisweilen über ihn hinweg und reißen ihn mit. Manchmal wirkt er ungewohnt gereizt, lässt sich zu unbedachten Äußerungen hinreißen. Sätze wie jener über den ausbleibenden Besuch in Kiew („Ich werde mich nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen“) gehören in diese Kategorie. Sie haben die unangenehme Eigenschaft, anderen Munition zu liefern.

Da wirkt der Besuch in den Niederlanden schon fast wie eine Flucht zu Freunden; zu Partnern, die nicht dauernd mäkeln, mosern oder mehr Führung fordern. Rutte deckt den Gast aus Deutschland dann auch mit viel Lob für dessen rüstungspolitische Umkehr ein, betont umfänglich die gemeinsamen Energieprojekte und die Zusammenarbeit bei Ausbildung und Lieferung der Haubitze 2000 an die Ukraine. 

Scholz revanchiert sich beim „lieben Mark“ zuerst mit einem Fußballscherz. Deutschland-Niederlande, schon klar. Aber Rutte lacht lange und dankbar vor sich hin. Ein guter Gastgeber eben. Doch die drückende Realität holt beide schnell wieder ein. Scholz macht deutlich, dass die zwölf Haubitzen gerade die absolute Grenze des Leist- und Lieferbaren sind, allen Solidaritätsbekundungen an die Ukraine zum Trotz. Rutte wird noch deutlicher. Mehr liefern? „Das sehe ich zurzeit nicht“, sagt er bestimmt.

Und dann sind da noch die feinen Haarrisse in der Einheit des Westens. Als der Deutsche und der Niederländer nach dem angedrohten türkischen Veto eines Nato-Beitritts von Schweden und Finnland gefragt werden, antworten beide mit einer seltsam entschlossenen Vorsicht. Er vertraue darauf, dass es gelingen werde, zu einer gemeinsamen Position zu kommen, sagt Rutte. Er sei zuversichtlich, erwidert Scholz. Mehr kommt von beiden nicht.

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Dass auch das Ölembargo in der EU umstritten ist und Ungarn bockt; dass die Frage der EU-Perspektive für den Westbalkan heikel bleibt; dass die Ukraine in ihrem Überlebenskampf weiter drängen und drängen und drängen wird – all das verschwiegen beide in diesem Moment lieber. Es könnte die seltene Einheit dieses Abends stören.

Tja, wenn es denn immer so einfach wäre.

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