Organisierte Kriminalität „Globalisierung im Schatten“

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Aber haben wir es gerade im Bereich des Versicherungsbetrugs nicht auch mit mangelndem Unrechtsbewusstsein eigentlich unbescholtener Bürger zu tun? Das stimmt, die Hemmschwelle ist in den vergangenen Jahren erheblich gesunken. Viele handeln im vollen Bewusstsein über das Unrecht. Es ist unvorstellbar, was manche Leute machen, um Geld von der Versicherung zu kassieren. Ein Chirurg beispielsweise hat sich einen Finger abgehackt, um Geld von der Berufsunfähigkeitsversicherung zu bekommen. Welche juristische Handhabe haben Sie gegen Verdächtige? Versicherungen sind keine Ermittlungsbehörde. Wir können der Polizei Tipps geben – und bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten die Auszahlung der Versicherungssumme verweigern. Und wie kommen Sie Betrügern auf die Schliche? Durch Kooperation und ständigen Informationsaustausch mit der Polizei. Unsere Mitgliedsunternehmen beschäftigen zahlreiche Spezialisten in der Betrugserkennung und -prävention. Diese tauschen sich über die Tricks und Strategien der Täter aus. Es gibt auch Arbeitskreise mit dem Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern; derzeit arbeiten wir an einem gemeinsamen Konzept gegen grenzüberschreitende Kriminalität. Unser wichtigstes Instrument bei der Betrugsbekämpfung ist aber eine gemeinsame Datenbank der Versicherer namens Uniwagnis. Was und wer steht da drin? Wenn ein Sachbearbeiter anhand vorgegebener Kriterien einen objektiv nachvollziehbaren Betrugsverdacht hat, kann er die Umstände des Falls ans System melden. So lassen sich zum Beispiel Mehrfachabrechnungen von Versicherungsschäden aufdecken. In der Datei sind bereits zwei Millionen Falldaten gespeichert. Die Versicherungen als Big Brother? Sie können einen Namen eingeben – und erhalten alle Versicherungsdaten der betroffenen Person? Nein. Eine solche Zentraldatei existiert nicht. Uniwagnis enthält nur Versicherungsfälle, bei denen eventuell Unregelmäßigkeiten vorliegen. Die Namen der Versicherungskunden müssen verschlüsselt werden – aus Datenschutzgründen.

Wo sehen Sie die größten Defizite bei der Bekämpfung von Versicherungsbetrug? Die Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft ist gut. Allerdings ist die Personaldecke knapp. In diesem Bereich könnten, wenn es nach uns geht, mehr Beamte eingesetzt werden. Auch fehlt es bei denen, die nicht ständig mit dem Thema zu tun haben, an Wissen beim Erkennen der Straftat. Daran arbeiten wir mit Schulungen und Hilfssoftware. Ihr Verband hat eine Arbeitsgruppe Geldwäsche gegründet. Inwiefern sind Versicherungen davon betroffen? Wir nehmen das Thema sehr ernst. Es ist denkbar, dass Vermögenswerte krimineller Herkunft zur Zahlung von Prämien für eine Versicherung eingesetzt werden – sodass die späteren Auszahlungen als legal erscheinen. Die deutschen Versicherer haben durch das Geldwäschegesetz diverse Dokumentations- und Kontrollpflichten auferlegt bekommen. Sie sind auch in die Verhinderung der Terrorismusfinanzierung eingebunden. Wie viele Fälle haben Sie aufgedeckt? Die bisherigen Geldwäsche-Verdachtsfälle liegen bei rund 50 pro Jahr. Große Probleme bereitet uns, dass die Versicherungen alle drei Wochen von der EU ein Verzeichnis mit Terrorverdächtigen erhalten, auf denen oft nur die nackten Namen ohne Geburtsdaten und Wohnort draufstehen. Wenn wir abklären wollen, ob ein Name zu einem Versicherungskunden passt, fühlt sich niemand zuständig. Wir brauchen feste Ansprechpartner und haben der Bundesregierung daher vorgeschlagen, eine gemeinsame Clearingstelle einzurichten.

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