Osten lockt mit Bildung Ostdeutschland wird Zuwanderungsregion

Ostdeutschland erlebt einen Wandel im Zeitraffer: Seit dem Mauerfall zogen 1,8 Millionen Menschen weg. Doch nun deutet sich die Trendwende an. Doch davon profitiert längst nicht der ganze Osten.

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In Ostdeutschland gibt es auch erfolgreiche Städte, wie hier Leipzig. Quelle: dpa

Abrissbirnen durchschlagen graue Wände, Betonzangen zerschneiden Zimmerdecken. Der Abriss hunderttausender Wohnungen prägte jahrelang das Bild Ostdeutschlands. Unterm Strich kehrten seit der Wende 1,8 Millionen Menschen ihrer Heimat den Rücken. Und jetzt das: „Der Osten wird zum Einwanderungsland“, verkündet eine Studie. Seit drei Jahren kommen wieder mehr Menschen als fortziehen. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung verkündet in der Untersuchung schon die Trendwende. Doch die Probleme Hunderter Gemeinden zwischen Ostsee und Erzgebirge sind damit nicht gelöst. Sie könnten sich sogar weiter verschärfen.

Denn es ist keineswegs so, dass die Neubürger im Osten menschenleere Landstriche und leer gefegte Dörfer bevölkern. Nur rund 15 Prozent der gut 2700 Gemeinden profitieren. Von Studienanfängern etwa, die an die Unis wie Leipzig und Jena drängen, von jungen Leuten, die eine Lehre im Osten beginnen. „Bildung als Magnet“, heißt es in der Studie. Und der Magnet steht in den Städten. „Der Osten hat seit 80 Jahren praktisch immer Bevölkerung verloren“, erklärt Institutsdirektor Reiner Klingholz. Besonders nach der Wiedervereinigung hieß es „Go West“. Jetzt für Viele die Devise „Go East“.

Reaktionen zu möglichen Grenzschließungen

Heißt das nun, dass Ostdeutschland wächst? Nein, denn die Zahl der Sterbefälle überschreitet die der Geburten erheblich. Nur in neun Prozent aller Gemeinden konnte der Zuzug das ausgleichen, sagen die Forscher des Berlin-Instituts. 2030, so schätzen sie, dürfte rund jeder dritte Einwohner im Osten im Rentenalter sein. Das Statistische Bundesamt prognostiziert, die Einwohnerzahl zwischen Rostock und Suhl könnte dann von jetzt 12,5 Millionen auf 11 Millionen geschrumpft sein. Wer sie zumindest stabil halten will, muss Menschen aus anderen Regionen anlocken. Das aber schaffen nur wenige Städte. Etwa Leipzig, Dresden, Jena, Erfurt, Potsdam, Rostock. „Dort zeigen sich die Früchte des Aufbaus Ost und der Städtebauförderung“, sagte Klingholz.

Die Gewinnerstädte überzeugten aber auch mit wirtschaftlichen Argumenten, sagt Stadtökonom Martin Rosenfeld vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle, der auf den Fachkräftemangel verweist. „Inzwischen sind viele Arbeitgeber deshalb bereit, Gehälter zu zahlen, die dem Westniveau entsprechen.“ Dazu kämen günstigere Lebenshaltungskosten, gute Chancen auf ein Eigenheim, ausreichend Kita-Plätze. Grundlage sind mehrere Entwicklungen, die es auch im Westen gibt. Europaweit zieht es die Menschen in die Städte. Im Osten verlassen nach der Studie sogar zunehmend Ältere ihre Dörfer und ziehen in die nächste Stadt - wo Ärzte und Kulturangebote sind. Bundesweit wollen immer mehr junge Leute studieren und die gute Wirtschaftslage lockte zuletzt jährlich mehrere Hunderttausend Ausländer nach Deutschland.

Doch schon in Städten wie Suhl, Hoyerswerda und Bitterfeld ist davon wenig zu spüren und in vielen Dörfern geht die Abwanderung weiter. Das ist in Teilen von Nordhessen, dem Hunsrück, Oberfranken und dem Harz im Westen zwar auch so. Im Osten ist die Lage aber dramatischer. „Wir haben Regionen, wo keiner mehr wandert - weil schon alle fort sind“, klagt die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD). Ostdeutschland zerfällt in Gewinner- und Verliererregionen - und die letzteren sind in der Mehrzahl.

Für sie seien Flüchtlinge eine Chance, betonen die Studienautoren. Auf dem Land seien sie sogar leichter zu integrieren als in der Anonymität der Großstädte - wenn man es ernst meine. Das Institut lobt Zeulenroda in Thüringen, wo Landratsamt, Handwerkskammer und die Arbeitsagentur gemeinsam vom Sprachkurs über ein Praktikum bis in die Ausbildung leiten. „Platz allein reicht nicht“, meint auch die Ostbeauftragte Gleicke. Notwendig seien Arbeitsplätze und eine Willkommenskultur. „Sonst sind die genauso clever wie unsere eigenen Kinder und bewegen sich dahin, wo Arbeit und Einkommen sind.“

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