Oswald Metzger "42 Regierungsjahre haben die FDP versaut"

Der bekennende Ordoliberale und Ex-Grüne Oswald Metzger will sich heute zum Chef der CDU-Mittelständler wählen lassen. Nicht nur die „Klientelpartei“ FDP, sondern das liberale Menschenbild sei durch die Ausweitung des Staates in einer Krise.

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Oswald Metzger ist Mitglied des CDU-Landesvorstands in Baden-Württemberg. Er war 1994 bis 2002 Bundestagsabgeordneter der Grünen. Quelle: Moog Photography

Herr Metzger, Sie kandidieren heute für den Vorsitz der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU. Der bisherige MIT-Vorsitzende Josef Schlarmann war vielleicht der schärfste innerparteiliche Kritiker der Kanzlerin. Würde das mit Ihnen so weitergehen?

So ein Amt ist ein Ritt auf einer Rasierklinge. Man macht sich natürlich nicht beliebt als Mahner auf dem Wirtschaftsflügel der Partei, der ihr in den Arm fällt, wenn sie neue Sozialleistungen verspricht, die zu Lasten der Betriebe und Beitragszahler gehen. Und stattdessen Strukturreformen anmahnt. Aber es ist eine dringende Notwendigkeit.

Was Mittelständler von der Regierung fordern
Stephan Koziol Quelle: Presse
Heinrich Weiss, SMS-Group Quelle: Catrin Moritz für WirtschaftsWoche
Ulrike Detmers Quelle: Presse
Florian Haller Quelle: Presse
Haakon Herbst Quelle: Presse
Ignatious Joseph, Textilunternehmer Quelle: Frank Schemmann für WirtschaftsWoche
Sabine Rau Quelle: Presse

Und was wünschen Sie sich von Ihrer Partei?

Angela Merkel an der Spitze der CDU ist sehr wandlungsfähig und pragmatisch. Und sie weiß, dass man auf Dauer ihre Partei nicht führen kann, wenn der Wirtschaftsflügel keine Rolle spielt. Im Wahlkampf war auffällig, dass Merkel immer häufiger das Wort Mittelstand gebrauchte. Sie weiß, dass ein Vogel nur mit zwei Flügeln fliegen kann. Wenn nur der linke Flügel flattert, ist die Wirtschaftskompetenz dahin. Auf die Dauer wird die Partei dann verlieren. Eine Volkspartei kann nur gemeinwohlorientierte Politik machen, wenn sie einen permanenten Kompromiss organisiert zwischen den heterogenen Ansprüchen unterschiedlicher Milieus. Ich will in der Volkspartei CDU die Position von Ludwig Erhard hochhalten: Alle Wohltaten, die wir Politiker euch Bürgern versprechen, müsst ihr erst selbst verdienen. Es ist ein riesiges Problem, dass in allen Parteien die wirtschaftskompetenten Kräfte dermaßen im Hintertreffen sind, dass unter der Flagge sozialer Gerechtigkeit dauernd Geld ausgegeben wird, das wir nicht haben. Die Steuerung der Erwartungen der Bevölkerung durch die Parteien steht im krassen Widerspruch zur Leistungsfähigkeit der öffentlichen Budgets. Die sind völlig ausgelutscht.

Ihr Vorgänger war für seine deutlichen Worte bekannt, durchgesetzt hat er wenig. Wie wollen Sie das ändern?

Die Kunst wird darin bestehen, eine laute Stimme für ordoliberale Positionen innerhalb der Union zu erheben, zu mahnen, aber ohne zu verletzen. Reputation in der Partei erhält man nur, wenn man zwar öffentlich wahrgenommen wird, aber klar ist: Es geht nicht ums Persönliche, sondern um die Sache. Der Vorsitz der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung ist ein Ehrenamt. Wenn der Vorsitzende qua Funktion Mitglied im Bundesvorstand der Union ist, dann muss er bei dessen Sitzungen auch anwesend sein. Er sollte nicht nur über die Presse Positionen markieren, sondern auch in den Gremien der Partei dafür kämpfen

"Die CDU muss den Mittelstand an sich binden"

"Die bitterste Stunde für die Liberalen seit vielen Jahrzehnten"
Der nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Christian Lindner sprach nach dem Ausgang der Bundestagswahl am Sonntagabend von der „bittersten Stunde für die Liberalen seit vielen Jahrzehnten“. Man habe in der Öffentlichkeit nicht überzeugt. „Da kann es ja überhaupt keinen Zweifel daran geben.“ Die FDP schafft es nach der ersten Hochrechnung nicht mehr in den Bundestag. Auf die Frage, ob die Partei jetzt auseinanderbricht, sagte Lindner, es gebe ausreichend liberales Wählerpotenzial. Das gelte es jetzt abzurufen. Quelle: dpa
Der Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki kritisierte die Wahlkampfstrategie seiner Partei. „Ich finde das eine beachtliche Leistung, dass man mit fünf Ministern der größten Bundestagsfraktion aller Zeiten innerhalb von vier Jahren die FDP von 14,6 auf 5 Prozent oder darunter bringt“, sagte Kubicki am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa. „Eine ordentliche Wahlkampfstrategie mit einem souveränen Auftreten sieht anders aus.“ Quelle: dpa
Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hat sich hocherfreut über das Ergebnis der Union bei der Bundestagswahl gezeigt. „Das ist ein Superergebnis“, sagte die strahlende CDU-Chefin unter dem Jubel ihrer Anhänger. „Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen.“ Neben den CDU-Mitgliedern bedankte sich Merkel besonders bei der CSU und ihrem Vorsitzenden Horst Seehofer vor die Unterstützung. Quelle: dpa
Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte in der ARD: „Wir haben einen klaren Auftrag der Wähler, die Regierung zu bilden.“ Das Ergebnis zeige, dass die Wähler wollten, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibe. Die Union freue sich riesig. Ein Ergebnis von weit mehr als 40 Prozent habe man für eine Volkspartei schon gar nicht mehr für erreichbar gehalten. Quelle: dapd
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat sich begeistert vom Wahlerfolg der Union gezeigt. „Das ist fantastisch. So deutlich über 40 Prozent, das haben wir seit über 20 Jahren nicht geschafft“, sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende in der ARD. „Wir hoffen sehr für die FDP, dass die Zahlen im Laufe des Abends noch steigen.“ Zu einer möglichen großen Koalition mit der SPD wollte sich von der Leyen nicht äußern. „Deutschland muss stark bleiben in Europa, das ist das Motto des Abends“, sagte sie. Quelle: dpa
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wollte nach dem Ausgang der Bundestagswahl am Sonntagabend in einer ersten Reaktion keine Koalitionsaussage treffen. Dies werde zuerst in den Gremien besprochen. Man habe sich sicherlich einen höheren Zuwachs gewünscht, sagte sie im ZDF. Nun sei die Gewinnerin der Wahl gefragt, CDU-Vorsitzende Kanzlerin Angela Merkel. Quelle: dpa
CDU-Vize Armin Laschet wertete das Ergebnis als Regierungsauftrag für Kanzlerin Angela Merkel. „Die Deutschen wollen, dass sie vier Jahre weiter regiert“, sagte Laschet, der auch CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen ist. Das Ergebnis sei „in erster Linie Anerkennung für die Arbeit von Angela Merkel“. Laschet lobte den zurückhaltenden Kurs der Parteivorsitzenden in den vergangenen Wochen ohne starke Angriffe auf den politischen Gegner: „Der Wahlkampf war richtig, die Themen waren richtig, und die Zukunftsidee war richtig.“ Quelle: dpa

Sie waren in den 70er Jahren in der SPD, dann einige Jahre parteilos. 1987 traten Sie den Grünen bei, für die Sie von 1994 bis 2002 im Bundestag saßen. Gibt es für erklärte Ordoliberale wie Sie bei den Grünen keinen Platz mehr?

Heute mit Sicherheit nicht. Ich hatte als Schüler auch mit linken Ideen Tuchfühlung und war in der SPD. Ich trat aus, weil die SPD mir zu staatsfixiert war, auch in Bezug auf die innere Sicherheit. Nach sieben Jahren Parteilosigkeit trat ich den Grünen bei. Aber schon damals hatte ich marktwirtschaftliche Grundüberzeugungen, für die ich auch als Abgeordneter gestritten habe. Damals gab es unter Joschka Fischer als Fraktionschef Freiraum für marktwirtschaftliche Reformbestrebungen. Da waren Leute wie Christine Scheel, Margareta Wolf oder Andrea Fischer, die spätere Gesundheitsministerin.  Wir wurden das „neoliberale Quartett“ genannt.

Als 1998 die rot-grüne Koalition an die Regierung kam, vertraten Wirtschaftsverbände wie Olaf Henkels BDI die Ansicht, die Grünen seien reformorientierter als die SPD, was die Sozialsysteme, das Steuerrecht oder die Haushaltskonsolidierung betrifft. Die Zeiten sind längst passee.  Aber diese Erfahrungen haben mich auch persönlich geprägt. Hätte es damals diesen Resonanzraum nicht gegeben, hätte ich es als ordoliberaler Grüner die fast 21 Jahre nicht ausgehalten. 2007 trat ich aus, weil ich soziale Grundsicherungsmodelle und andere Versprechungen nicht mittragen konnte. Die Grünen haben sich links von der SPD positioniert. Und das als Partei, die gerade in Baden-Württemberg viele bürgerliche Wähler hat und mit Winfried Kretschmann ganz andere Milieus anspricht als linke!

Kretschmann wäre Ihr Wunschpartner für die CDU?

Kretschmann hat mich damals 2005 in die Landespolitik geholt, weil er glaubte, dass die Grünen in Baden-Württemberg satisfaktionsfähige Finanzpolitiker brauchen, um 2006 eine Koalition mit der CDU einzugehen. Das ist bekanntlich nicht an den Grünen gescheitert, sondern an dem damaligen CDU-Fraktionschef Stefan Mappus. Hätte die CDU damals mit den Grünen koaliert, würde sie heute noch den Ministerpräsidenten stellen, davon bin ich überzeugt. Dann würden die Koalitionsoptionen in ganz Deutschland anders aussehen. Davon hätten die Grünen profitiert und auch die CDU. Aber selbst im realpolitischen grünen Landesverband Baden-Württemberg hat nach dem Ende der rot-grünen Koalition 2005 eine Tendenz Richtung Etatismus und sozialstaatlicher Freigiebigkeit eingesetzt.

Wieso sind Sie als Ordoliberaler 2007 eigentlich nicht in die FDP gegangen?

Natürlich habe ich das überlegt. Aber die FDP ist für mich zunehmend zu einer Klientelpartei degeneriert. Ihr kam es in den letzten Jahren nicht auf strukturelle Fragen an, sondern es ging ihr darum, Milieus zu bedienen, aus denen ihr Spenden zukommen. Der Höhepunkt war die Steuererleichterung für Hotels. Das ist ein Verrat an freiheitlichen Bestrebungen. Ich habe mich bewusst für die CDU entschieden und ich will in ihr den Wirtschaftsflügel stärken. Ich weiß, dass eine Volkspartei wie die CDU natürlich eine starke soziale Ader hat, Leistungen unters Volk bringen muss, um Wahlergebnisse zu erreichen, die den Anspruch einer Volkspartei rechtfertigen. Außerdem lässt sich Gemeinwohl nicht radikalliberal definieren als Summe des Eigennutzes.

Forum der Freiheit

Die FDP galt als politische Stimme des Ordoliberalismus. Sollte die CDU diese Rolle jetzt übernehmen?

Die FDP hat diese Rolle nicht optimal erfüllt. Gerade im traditionell von der FDP besetzten Wirtschaftsressort hätte eine gestandene Persönlichkeit vom Schlage eines Grafen Lambsdorff natürlich gut getan. Wenn jetzt die FDP ganz fehlt, müssen alle Strategen in der Union hellwach sein. Die CDU als Volkspartei muss versuchen, den Mittelstand an sich zu binden, indem die liberale Stimme innerhalb der Partei hörbar wird. Wenn der Wirtschaftsflügel innerhalb der Union jetzt nicht gestärkt wird, so meine Sorge, dann geht - gerade in einer Koalition mit der SPD - der Marsch der Union in die linke Mitte weiter.

Die aktuelle Schwäche des Liberalismus

Ist die Niederlage der FDP allein auf Fehler der Partei zurückzuführen oder erleben wir eine generelle Krise des Liberalismus?

Der Liberalismus in Deutschland ist nicht mit der FDP gleichzusetzen. Liberalismus ist eine Lebenseinstellung: Wenn ich gesund bin und im arbeitsfähigen Alter, dann stehe ich auf eigenen Füßen. Ich frage nicht zuerst nach dem Staat, sondern organisiere mich selbst ergebnisoffen, unternehmungslustig, leistungsbereit. Mit dieser Haltung durchs Leben zu gehen, ist schwer in Zeiten, wo immer mehr Menschen nach immer mehr Sicherheit suchen. Je reicher und saturierter Gesellschaften werden, desto mehr Probleme hat der Liberalismus. Selbst in angelsächsischen Ländern nimmt der Ruf nach Sicherheit zu. Der Marktradikalismus hat natürlich auch eine Reihe großer Probleme aufgeworfen. Die Exzesse der Finanzwirtschaft haben das Vertrauen in freie Märkte nicht gestärkt. Die Schwäche des Liberalismus ist auch eine Reaktion auf die Ausweitung des staatlichen Sektors. Das liberale Bild vom Menschen als aktiver, rühriger, kritischer Geist entspricht nicht unbedingt der Lebenserfahrung. Wenn es bequem geht, machen es sich viele Menschen heute lieber bequem.

Und was nun das Scheitern der FDP im Besondern angeht?

Einer der tieferen Gründe für den inhaltlichen Niedergang der FDP ist, dass sie 42 Regierungsjahre auf Bundesebene innehat, mehr als jede andere Partei. Diese kleine Partei hat dadurch sehr vielen Leuten eine Karrierechance eröffnet. Das versaut vielleicht den Charakter. Man kämpft nicht mehr um politische Positionen, sondern schaut, wie man möglichst Abgeordneter, Staatssekretär oder Minister wird. Die Überzeugungskraft des Strebens nach Freiheit verblasst dann.

Ich war in den siebziger Jahren, obwohl damals SPD-Mitglied, sehr beeindruckt, als Otto Graf Lambsdorffs Teile der Sicherheitsgesetze trotz der RAF-Hysterie ablehnte. Ein echter Liberaler kritisiert den staatlichen Zugriff auf das Individuum nicht nur in Bezug auf Steuern und Abgaben, sondern er wehrt sich genauso gegen Bevormundung, wenn es um Sicherheitsgesetze geht. In diesem Spannungsfeld zwischen Wirtschaftsliberalismus und Bürgerrechten hat die FDP in den vergangenen Jahren völlig versagt. So eine Inkonsequenz werfe ich übrigens auch den Linken bei den Grünen, Hans-Christian Ströbele oder Jürgen Trittin, vor: Ihr bekämpft den Staat, wenn es um Überwachung geht, aber gleichzeitig wollt ihr den starken Versorgungsstaat. Das geht nicht zusammen.

Kann man einem überzeugten Liberalen heute noch raten, in eine der etablierten Parteien einzutreten?

Ich verstehe, wenn gerade junge Menschen Vorbehalte gegen parteipolitisches Engagement haben. In den Parteien schauen viele nicht nach links und rechts: Wenn ein guter Vorschlag von der anderen Partei kommt, muss man ihn in die Tonne stampfen, kommt der größte Mist aus den eigenen Reihen, muss man Hosianna rufen. Dennoch würde ich einem jungen Menschen sagen: Wenn du etwas bewegen willst, was sehr schwer ist, kommst du ohne Engagement in einer Partei nicht weit. Und darum bin ich auch nach dem Ausstieg bei den Grünen in die CDU eingetreten, um weiter politisch aktiv sein zu können.

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