Otto-Chef zu Vorfällen in Chemnitz Unternehmer, erhebt eure Stimme gegen Hass und Gewalt!

Alexander Birken, 53, ist Vorstandsvorsitzender der Otto Group in Hamburg. Der Diplom-Kaufmann ist Herausgeber des im Frühjahr erschienenen Werks „ZukunftsWerte – Verantwortung für die Welt von morgen“ Quelle: PR

Chemnitz ist ein Fanal. Die Wirtschaft muss mehr Gesicht zeigen für Demokratie, Freiheit und Vielfalt – aber nicht nur mit Appellen, sondern mit einer aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs über die digitalisierte Zukunft in diesem Land.

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Die schlimmen Gewaltexzesse in Chemnitz haben mich sehr betroffen gemacht und Erinnerungen an die Ausschreitungen während des G20-Gipfels hier in bei uns in Hamburg wach werden lassen. Der pure Pöbel, der blanke Hass und die organisierte Zerstörungskraft radikaler Stoßtrupps – diesmal von rechts - hat Schockwellen in die Welt gesandt. Die noch schweigende Mehrheit der Deutschen sollte klare Kante gegen Populismus, Fremdenfeindlichkeit und Zerstörungswut zeigen.

Auch die Wirtschaft ist gefordert. Es ist gut, dass auch Wirtschaftsvertreter aktiv Stellung bezogen haben, wie schädlich die Ausschreitungen für Wirtschaft und Wohlstand im Land sind. Siemens-Chef Joe Kaeser hat sich sogar das Recht herausgenommen, als prominenter Bürger und reichweitenstarker Influencer ausländerfeindliche Äußerungen von AfD-Vorfrau Alice Weidel anzuprangern und damit einen Shitstorm auf sich genommen. Respekt! Doch die eigentliche Aufgabe von Unternehmern und Managern greift aus meiner Sicht tiefer und weiter.

Die Vertrauensarbeit beginnt in den Betrieben. Wir erleben zurzeit ein Paradoxon. Während die gesellschaftliche Diskussion in den Netzen und Medien zunehmend von Spaltung und gegenseitigen Vorverurteilungen geprägt ist, erleben wir in vielen Unternehmen das Gegenteil. Kolleginnen und Kollegen ganz verschiedener Herkunft, Religionszugehörigkeit und Welterfahrung arbeiten zusammen. Auch die Chancen und die Zumutungen der digitalen Transformation schweißen die Menschen zusammen. Sie treibt uns Führungskräften plattes Hierarchiedenken, starre Strukturen und langen Entscheidungswege aus. Agile und schnelle Projektorganisation sind gefragt. Dahinter steckt im Kern ein Prozess der Demokratisierung: Selbstbewusstsein, Eigenverantwortlichkeit, Kooperation und Kommunikation auf Augenhöhe sind das Ziel.

Der vor mehr als zwei Jahren bei der Otto Group initiierte Kulturwandel hat mich gelehrt, dass wir Werte wie Vertrauen, Respekt und Vielfalt nicht an der Garderobe der Digitalisierung abgeben müssen, im Gegenteil: sie sind die Schlüssel zum Erfolg. Für Vorurteile, Diskriminierung oder gar Hass gibt es keinen Raum. Vor kurzem haben Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Ethnien, religiöser Prägungen, sexueller Orientierungen oder mit körperlichen Einschränkungen in einem Diversity-Factbook sehr offen und ehrlich von ihren Erfahrungen, auch den schwierigen in unserem Unternehmen berichtet. Das hat viele Kolleginnen Kollegen beschäftigt und sollte den Weg weisen, auch öffentlich mehr von den Erfahrungen gelingender Integration und Inklusion in den Betrieben zu berichten.

Es geht um die Urgründe ausländerfeindlicher Proteste. Die öffentlichen Wellen um eine gelingende Flüchtlingspolitik, auf der extreme Kräfte derzeit so erfolgreich surfen, verdeckt zuweilen die in der Unterströmung liegenden Sorgen und Ängste in Teilen der Bevölkerung. Im Kern scheint es die Sorge zu sein, Besitzstände aufgeben zu müssen, die eine sich immer rascher wandelnde Zukunft vermeintlich erfordert. Die öffentliche Diskussion über die Herausforderungen einer digitalisierten und globalisierten Wirtschaftswelt wird im Kern denn auch dystopisch geführt. Es folgt dem Narrativ, dass insbesondere große Digitalkonzerne aus den USA und China bestehende Wirtschafts- und Wertstrukturen zerstören. Unternehmer und Manager in Deutschland machen lediglich mit Digitalappellen und Zerschlagungsphantasien Furore, oder begnügen sich mit Lobbyarbeit in Berlin und Brüssel. Das ist zu wenig, um der breiten Bevölkerung wieder Vertrauen zu geben. Gerade die vielen ethisch und nachhaltig aufgestellten Unternehmen in Deutschland sollten deutlicher machen, wie sie im Sinne einer erneuerten Sozialen Marktwirtschaft Freiheit mit verantwortlichem Handeln verbinden.

Die Wirtschaft sollte öffentlich Erklärstücke liefern, wie sich die digitale Transformation auf das Leben und Arbeiten in Zukunft auswirken könnten. Besonders am Herzen liegen mir die Themen Arbeit und Bildung. Die großen Veränderungsschübe durch die Künstliche Intelligenz sind erst in Umrissen erkennbar. Doch wir wissen schon heute, dass ganze Berufszweige entfallen und dafür neue entstehen werden. Wie unterstützen wir die Kolleginnen und Kollegen in den Unternehmen, sich auf diese neue Arbeitswelt einzustellen? Bei uns beginnt das mit einem digitalen Schulungsprogramm. Aber wie bauen wir sozial feste Brücken für Menschen, die diesen Anforderungen nicht gerecht werden?

Dies führt unweigerlich zur Frage, wie wir bereits die jungen Menschen an die Herausforderungen einer digitalen Arbeitswelt heranführen. Dabei geht es vordergründig um Curricula, die einer modernen Welt entsprechen. Es kann nicht sein, dass mein jüngster Sohn Abituraufgaben zu lösen hatte wie ich vor über 30 Jahren. Hintergründig muss es aber darum gehen, die junge Generation zu befähigen, sich auf notwendige Brüche in ihren Erwerbsbiografien einzustellen. Und wieder sind es alte Werte wie Respekt, Freiheit, Selbstbewusstsein und Bereitschaft zur Veränderung, die gelehrt und vorgelebt werden müssen.

Unternehmer und Manager sind gefordert, sich aktiver an einem ehrlichen, offenen und gerne streitbaren öffentlichen Diskurs mit Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu beteiligen, welche Chancen, aber auch welche Bruchlinien die Digitalisierung für das Leben, die Arbeit und die Wirtschaft bringen werden. Das könnte und sollte auch in der Bevölkerung Vertrauen schaffen und im besten Fall wieder Mut machen.

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