„Pandora“ in Kiel 1500 Sicherheitskräfte proben Terrorszenarien

Üben für den Ernstfall: Die fiktive Terrorgruppe „Löwen des Kalifats“ verübt laut Polizeidrehbuch drei Anschläge in Kiel. Rund 1500 Polizisten und Rettungskräfte machen bei der bundesweit größten Übung „Pandora“ mit.

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Schwer bewaffnete Polizisten bei der Antiterrorübung „Pandora“ in Kiel. Quelle: dpa

Kiel Die bitteren Erfahrungen früherer Terroranschläge in Europa haben das Drehbuch für die bundesweit bisher größte Anti-Terror-Übung der Polizei entscheidend geprägt: Mit gleich drei fiktiven Anschlägen in wenigen Stunden müssen Polizei und Rettungskräfte am Donnerstag in Kiel fertig werden. Es ist nach Angaben der Polizei bundesweit die größte Übung dieser Art in der Öffentlichkeit - mit insgesamt 1500 Polizisten, darunter Spezialeinheiten aus acht Bundesländern, Rettungskräften und Opfer-Darstellern. Auch die Bundespolizei ist eingebunden.

Um 9.27 Uhr geht der erste fiktive Notruf bei der Polizei ein, der Einsatz beginnt. Auf dem Flughafen Kiel-Holtenau wird ein Überfall von drei Terroristen der erfundenen Gruppe „Löwen des Kalifats“ mit Schusswaffen und Handgranaten auf die Geburtstagsfeier des britischen Konsuls simuliert. Dann kapert einer der flüchtigen Täter einen Linienbus und sprengt sich in die Luft. Wenige Kilometer entfernt hat ein fünfköpfiges Kommando derselben Terrorgruppe einen Verlag in einem Kieler Gewerbegebiet gestürmt und Geiseln genommen - Vorbild hierfür ist der Anschlag in Paris auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“.

Bis in den Abend sollte die Übung dauern, wie eine Polizeisprecherin mitteilte. Dann sollte nach einer Fahndung „ein Zugriff“ auf die beiden flüchtigen Täter des Angriffs auf die Geburtstagsfeier erfolgen. Das Drehbuch ließ den Tätern (verkörpert von gut ausgebildeten Soldaten des Seebataillons) wie den Einsatzkräften dabei viel Handlungsfreiheit, um möglichst realitätsnah zu üben.

Das galt auch für die Beendigung der Geiselnahme im „Mandelbaum Verlag“. „Bei der Wahl der Taktik, der psychologischen Verhandlungsführung und Einsatzmaßnahmen sollten die Einsatzkräfte sich wie in einem Ernstfall bewähren“, sagte eine Sprecherin der federführenden Landespolizei Schleswig-Holstein. Das Vorgehen der Spezialeinheiten der Polizei und ihre waffentechnischen Möglichkeiten blieben den Medienvertretern verborgen. „Das muss geheim bleiben“, hieß es.

Vor allem als „medizinisches Szenario“ war dagegen der Selbstmordanschlag in dem gekaperten Bus angelegt, der gegen einen Brückenpfeiler prallt - fünf Tote, 20 teils Schwerverletzte. „Die erste Frage, die sich uns stellt: Ist der Einsatzort sicher?“ erläuterte Dr. Michael Corzillius, stellvertretender ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes der Kieler Berufsfeuerwehr. Daher sei es auch darum gegangen, die Kooperation mit der Polizei einzuüben, um möglichst früh am Ort helfen zu können. Am fiktiven Anschlagsort wurde eine sogenannte Patientenablage eingerichtet, die Patienten mit rot-gelb-grünen Kärtchen um den Hals nach der Eilbedürftigkeit der Behandlung einteilt.

„Bei Terroranschlägen müssen die Rettungskräfte oft stark blutende Verwundungen erst einmal stoppen, etwa Schussverletzungen oder abgerissene Arme oder Beine“, sagte Corzillius. Dafür gebe es aus der Militärmedizin Tourniquets, spezielle Gürtel - den Umgang gelte es zu üben. Ziel sei es, Verwundete schnellstmöglich erstzuversorgen und möglichst innerhalb einer Stunde ins Krankenhaus zu bringen.

Die Komplexität von Terrorlagen sei eines der Hauptprobleme für Polizei und Rettungskräfte, betonte Schleswig-Holsteins Landespolizeidirektor Ralf Höhs. Die Übung zeigte: Es geht um den Ablauf von Alarmketten, vom Notruf bei der Einsatzzentrale über das Entsenden von Funkstreifenwagen, das Anfordern von Spezialeinheiten, die Einberufung vorbereiteter Einsatzstäbe für Terrorfälle, bis zur Kooperation mit den Rettungsdiensten.

Auch Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) betonte, es gehe primär um Schwachstellen in der Kommunikation, gerade unter Stress und unter so unübersichtlichen Lagen. Er erinnerte an den Amoklauf eines 18-Jährigen vom 22. Juli 2016 in München. Damals habe es 65 Meldungen über Schießereien und angeblich weitere Täter gegeben. „Also auch da haben wir eine ganz neue Frage: wie heute in sozialen Medien auf einmal zwischen Fake News und echten Nachrichten gar nicht mehr leicht unterschieden werden kann. Das droht dann ganz schnell, dieses ganze Krisensystem zu überfordern - und das kann man nicht am Schreibtisch üben.“

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