Pannen-Kandidat im freien Fall Steinbrück in der Steinbrück-Falle

SPD-Führungschaos, ein Sprecher, der als Hetzer geoutet wird und Umfragewerte, die sich der 20-Prozent-Marke nähern. Für Steinbrück läuft nichts rund in diesem Wahlkampf. Wie lange hält seine Partei das noch aus?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Kommt er oder kommt er nicht: Steinbrück wartet auf US-Präsident Obama. Quelle: dpa

Berlin Ehre, wem Ehre gebührt: Peer Steinbrück hatte heute einen großen Aufritt. Er traf US-Präsident Barack Obama am Rande seines Berlin-Besuchs. Wenigstens diese Chance hat sich der SPD-Kanzlerkandidat nicht selbst vermasselt. Anfang des Jahres ließ ihn der italienische Staatspräsident bei seiner Hauptstadtvisite noch auflaufen. Weil Steinbrück italienische Spitzenpolitiker als Clowns bezeichnet hatte, sagte Giorgio Napolitano ein Abendessen kurzerhand ab.

Seitdem reihte sich Panne an Panne in Steinbrücks glücklosem Wahlkampf. Selbst auf den letzten Metern zur Bundestagswahl im September dominieren nicht Inhalte, sondern innerparteiliche Machtkämpfe und Ränkespiele seine Wahlkampagne. In Umfragen schlägt sich das bitter nieder.

Auch wenn dem Institut Forsa im Willy-Brandt-Haus tendenziöse Umfragezahlen unterstellt werden, so zeigt der Umstand, dass die SPD im neuen „Stern-RTL-Wahltrend“ auf 22 Prozent fällt und Union und FDP mit einer eigenen Mehrheit rechnen können, einen gefährlichen Trend. Er könnte die SPD demotivieren.

Eine Unterbietung des bisher schlechtesten Wahlergebnisses im Bund von 23 Prozent (2009) im 150. Jahr des Bestehens der Sozialdemokratie könnte auch Parteichef Sigmar Gabriel schwer unter Druck bringen. Seit seinem etwas forschen Auftreten vor einer Woche in der Sitzung der Bundestagsfraktion dürften sich schon jetzt etwaige Ambitionen Gabriels auf den Fraktionsvorsitz nach der Wahl erledigt haben. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gilt den Abgeordneten als ausgleichenderer Charakter, der den Laden bisher gut zusammenhält.

Steinbrück hatte Gabriel zuletzt indirekt fehlende Loyalität unterstellt und so den Parteikonvent mit dem Startschuss für den geplanten Wohnzimmerwahlkampf am Sonntag überschattet. Heute war die SPD bemüht, einen weiteren Brandherd auszutreten. Der „Stern“ berichtete über Rücktrittsgedanken Steinbrücks schon im Januar. Zwar gab es zwei Tage vor der niedersächsischen Landtagswahl in Braunschweig tatsächlich ein Zwiegespräch zwischen Steinbrück und Gabriel. Der „Stern“ will erfahren haben, dass Steinbrück damals den Rücktritt als Kandidat angeboten habe, sollte die SPD unter 30 Prozent fallen. Demnach hätte Gabriel dann Steinmeier oder NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ins Rennen schicken wollen.


Parteiaustritt und Günstlingswirtschaft

Aus der SPD-Zentrale wird der „Stern“-Bericht dementiert. Es habe nie ein solches „Rücktrittsszenario“ gegeben, betont Steinbrücks Sprecher Rolf Kleine. Doch inzwischen steht selbst Kleine in der Schusslinie und könnte zu einer dauerhaften Last für den Kandidaten werden.

Wenige Tage, nachdem Kleine auf seiner Facebook-Seite für Aufsehen sorgte, weil er dort ein Bild hochgeladen hatte, dass Philipp Rösler als vietnamesischen Kriegsgeneral zeigt - dies wurde ihm als rassistische Anspielung auf den in Vietnam geborenen FDP-Chef angekreidet -, werden neue, massive Vorwürfe gegen den früheren Boulevardjournalisten laut.

Der Deutsch-Grieche Michalis Pantelouris wirft Kleine vor, als „Bild“-Redakteur massiv gegen Griechenland gehetzt zu haben. Dass Steinbrück einen solchen Menschen in seinen engsten Vertrautenkreis beruft, hält er für inakzeptabel. Pantelouris hat deshalb sein SPD-Parteibuch abgegeben.

An anderer Stelle steht der Vorwurf der Günstlingswirtschaft Im Raum und betrifft Steinbrück als er noch Bundesfinanzminister war. Seinem damaligen Sprecher, dem heutigen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Torsten Albig, hat er 2008 einen Posten als Abteilungsleiter zugeschanzt.

In einer Prüfungsmitteilung vom 4. Dezember 2012, aus der der „Stern“ zitiert, spricht der Bundesrechnungshof von einer „zweifelhaften Maßnahme“, die überdies den Verdacht nahelege, „dass es sich hier um eine personenbezogene Maßnahme handelte“. Die Gründe des Bundesministeriums, aus denen es die neue Abteilung errichtet hatte, überzeugten nicht, heißt es in dem an das Bundesfinanzministerium gerichteten Schreiben. Pikanter Nebeneffekt dieser Personalie: Albig bekam bis zu seinem Ausscheiden Mitte 2009 für sechs Monate ein monatliches Gehaltsplus von um die 1.200 Euro als „Funktionszulage“.

Dass es für Steinbrück nicht rund läuft, ist bekannt. Immer wieder haben die SPD und Steinbrück mit Pannen im Wahlkampf für Schlagzeilen gesorgt. Einige Beispiele:


PLÖTZLICHE KÜR

Am Abend des 27. September lässt SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in einer kleinen Runde mit Journalisten durchblicken, dass er als Kanzlerkandidat nicht zur Verfügung steht.

Da auch Parteichef Sigmar Gabriel nicht antreten will, ist nun klar, dass es Steinbrück wird. Gabriel sagt am nächsten Morgen, als dies durchsickert, Termine in München ab und fliegt nach Berlin.

Am Nachmittag wird die Entscheidung offiziell verkündet. Ohne Team, viel früher als geplant und ohne Kommunikationsstrategie zu seinen hohen Nebenverdiensten schlittert Steinbrück in die Kandidatur.

KANZLERGEHALT

Im Herbst wird bekannt, dass Steinbrück als Abgeordneter mit Vorträgen weit über eine Million Euro nebenher verdient hat. In der nachrichtenarmen Zeit zum Jahresende sagt er in einem Interview: „Ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin verdient in Deutschland zu wenig - gemessen an der Leistung, die sie oder er erbringen muss und im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten mit weit weniger Verantwortung und viel größerem Gehalt.“

Die Worte sorgen für Schlagzeilen, Steinbrücks Sprecher Michael Donnermeyer muss sich vorhalten lassen, dass er die Passagen autorisiert hat. Auch sonst wird ihm in der Partei unglückliches Agieren attestiert.

PEER-BLOG

Im Februar gerät in der SPD Steinbrücks persönlicher Berater Hans-Roland Fäßler in die Kritik. Ihm wird eine Mitverantwortung für das völlig missratene Experiment eines Unterstützer-Blogs für Steinbrück angelastet. Die Finanzierung bleibt unklar. Der Bundestag kündigt eine Prüfung an. Aus der SPD gibt es widersprüchliche Angaben, ob Geldsummen und Namen der Unterstützer bekannt seien. Offiziell wegen Hackerangriffen wird der Blog nach nur wenigen Tagen wieder eingestellt.

INTERNET-BERATER

Nach wenigen Tagen ist Steinbrück seinen neuen Internetberater schon wieder los. Der Unternehmer, Kunstmäzen und Bestseller-Autor Roman Maria Koidl gibt seine Beraterfunktion nach öffentlicher Kritik auf. In der Partei hatte Koidls Vergangenheit als Berater von Hedgefonds Kopfschütteln ausgelöst. Steinbrück will im Wahlkampf für eine schärfere Regulierung solcher Fonds werben.

KOMPETENZGERANGEL

Anfang März ordnet die SPD-Spitze nach einigen Pannen die Zuständigkeiten für den Wahlkampf neu. Nach dem neuen Verteilungsplan übernimmt nun Generalsekretärin Andrea Nahles die Hauptverantwortung für die gesamte Wahlkampagne. Enge Vertraute Steinbrücks verlieren bisherige Zuständigkeiten.

Sein Kampagnenleiter Heiko Geue wird von einigen im Willy-Brandt-Haus kritisch beäugt. Er verliert auf Veranlassung von Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) seinen bisherigen Job als dortiger Finanzstaatssekretär - Geue wollte ein Rückkehrrecht.

WAHLKAMPFSLOGAN

„Das Wir entscheidet“ - Mit dieser Botschaft will die Partei ihren Wahlkampf für mehr soziale Gerechtigkeit führen. Doch eine Leiharbeitsfirma nutzt den Slogan seit 2007 - dabei hat sich die SPD den Kampf gegen Missbrauch in diesem Bereich auf ihre Fahnen geschrieben.

„Hätte, hätte – Fahrradkette“, sagt Steinbrück zu Vorhaltungen, man hätte besser recherchieren müssen. Die beauftragte PR-Agentur betont: „Der Slogan war vor der SPD-Präsentation auf den ersten 15 Seiten von Google nicht zu finden.“

Noch steht die SPD hinter Steinbrück. Parteichef Gabriel betont: „Einen Aufbruch gibt es nur mit Peer Steinbrück und der SPD.“ Doch wie der Negativtrend noch gestoppt - und ein großer Krach in der Partei nach dem 22. September verhindert werden kann - das ist derzeit die große Frage.

Das ursprüngliche Kalkül geht bisher nicht auf: Die Euro-Krise zeichnet sich nicht als dominierendes Wahlkampfthema ab. Der frühere Bundesfinanzminister sollte mit seinem unbestrittenen Fachwissen auch in der Mitte punkten. Längst hat die SPD den Fokus darauf gelenkt, erst mal das eigene Lager zu motivieren - mit einem linken Programm.  

Aber viele Wähler zweifeln wohl, ob Steinbrück dies authentisch vertreten kann. Laut Forsa würden bei einer Direktwahl 58 Prozent Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wählen, nur 18 Prozent Steinbrück. Allerdings wurden diese Zahlen vor Steinbrücks Gefühlsausbruch beim Auftritt mit seiner Frau beim Parteikonvent erhoben. Vielleicht kann diese sehr menschliche, nicht inszenierte Reaktion ja helfen, das festgefahrene Steinbrück-Bild bei einigen Bürgern zu verändern.

Mit Material von dpa

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%