Parlamentsrechte missachtet Wiederholungstäter Bundesregierung

Erneut bescheinigen die Karlsruher Richter der Bundesregierung, die Frage- und Informationsrechte des Parlaments missachtet zu haben. Für noch anstehende Aufarbeitungen ist das Urteil wichtig. Ein Kommentar.

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Mit dem Urteil weisen die obersten Richter die Bundesregierung zurecht. Quelle: dpa

Berlin Von einer „Operation nahe am Herzen der Demokratie“ hatte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, gesprochen, als in Karlsruhe über die Grenzen des parlamentarischen Informationsrechts verhandelt wurde. Mit dem nun verkündeten Urteil bleiben sich die Verfassungshüter treu: Wie schon bei anderen Entscheidungen strichen sie die zentrale Rolle des Bundestags für die Kontrolle von Regierung und Verwaltung heraus. Das ist beruhigend, denn etwa bei den umstrittenen Cum-Ex-Geschäften steht eine Aufarbeitung noch aus. Hier muss das Urteil nun Wirkung entfalten.

Für die Bundesregierung ist die Entscheidung eine weitere Zurechtweisung. Denn die Karlsruher Richter stellten klar, dass die Regierung ihrer Antwortpflicht auf Fragen von Abgeordneten über die Deutsche Bahn und zur Finanzmarktaufsicht nicht ausreichend nachgekommen ist. Nach sieben Jahren steht nun fest, dass die Grünen im Jahr 2010 Auskunft von der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung unter anderem zu Wirtschaftlichkeitsberechnungen des Projektes „Stuttgart 21“, zu Zugverspätungen und Investitionen in das Schienennetz sowie zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen gegenüber Banken hätten bekommen müssen.

Es ist nicht die erste Verletzung der Rechte der Abgeordneten und des Deutschen Bundestags. So stellte Karlsruhe zuvor etwa klar, dass die Bundesregierung bei den Verhandlungen über den Euro-Rettungsschirm ESM oder das Euro-Plus-Pakt den Bundestag nicht ausreichend informierte. Es erging auch ein Urteil, dass die Bundesregierung grundsätzlich verpflichtet ist, Bundestagsabgeordneten auf entsprechende Anfragen hin mitzuteilen, dass der Bundessicherheitsrat ein bestimmtes Kriegswaffenexportgeschäft genehmigt hat oder eine Genehmigung nicht erteilt worden ist.

Natürlich muss das verfassungsrechtlich garantierte Frage- und Informationsrecht des Parlaments Grenzen haben. Das kann der Fall sein, wenn es berechtigte Geheimhaltungsinteressen der Regierung gibt oder es um die Grundrechte Dritter geht. Doch pauschal auf Unternehmensinterna oder mögliche Marktturbulenzen zu verweisen, reicht einfach nicht aus.

Da klingt es schon fast wie eine Binsenweisheit, wenn Voßkuhle in seiner Urteilsbegründung darlegt, dass ohne Beteiligung am Wissen der Regierung das Parlament sein Kontrollrecht gegenüber der Regierung nicht ausüben könne. Anders wäre eine effektive Oppositionsarbeit nicht möglich. Anders ließen sich Rechtsverstöße und Missstände in Regierung und Verwaltung kaum aufdecken.

Laut Urteil ist nun klar: Die Bundesregierung hat die Grenzen ihrer Antwortpflicht „verkannt“. Die Grundrechte der Deutschen Bahn stehen der Auskunft nicht entgegen. Bei Fragen zur Finanzaufsicht von Banken reicht der pauschale Hinweis auf einen möglichen Vertrauensverlust in einzelne Finanzinstitute nicht aus. Kein Wunder, dass die Kläger nun der Regierung vorhalten, sie habe bislang eine wirkliche Aufarbeitung der Finanzkrise und eine Aufarbeitung des „kläglichen Scheiterns der Finanzaufsicht“ in der Krise unmöglich gemacht und versprochen, dies werde nun nachgeholt.

Für den neuerlichen Versuch, die Parlamentsrechte zu missachten, hat die Regierung eine neuerliche Quittung bekommen. Bleibt die Frage, ob der Wiederholungstäter jemals einsichtig wird. 

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