Parteien Die AfD wird im Mittelstand salonfähig

21 Prozent in Schwerin, zuvor 24 in Magdeburg und 15 in Stuttgart – die Partei verlässt die parteipolitische Nische. Beobachtungen unter Unternehmern, die politischen Anschluss suchen.

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Hans Wall, Stephan Werhahn und Heinrich Weiss Quelle: imago (2), AP, Montage

Die Frage, ob es sich bei der AfD um eine Partei der kleinen Leute handele, sorgt im Biergarten am Schweriner See für harsche Reaktionen. „Natürlich nicht, sehen wir etwa alle aus wie Hartz-IV-Empfänger?“, blafft ein Anzugträger, der gerade auf der Wahlparty der Partei mit einem Kollegen auf den jüngsten Triumph anstoßen will. Er vergisst für einen Augenblick das Trinken und beginnt eine Verteidigungsrede: Die AfD erreiche alle Bevölkerungsschichten. Männer und Frauen, Alte und Junge. Wohlhabende, Arme, Studierte und Arbeiter.

Um 21 Prozent der Stimmen zu erreichen, gehe das auch gar nicht anders. Volkspartei eben. „Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Ein anderer meint: „Ich kenne einige Unternehmer, die für uns stimmen.“ Er sei ja selber einer, Inhaber einer mittelständischen Firma für Sicherheitstechnik in Schwerin, 56 Jahre alt. Lange habe er CDU gewählt, die Flüchtlingspolitik habe ihn zum Umdenken bewogen. Sein persönliches Umfeld? Habe den Seitenwechsel positiv aufgenommen. Die Reaktionen von Kunden und Geschäftspartnern? Fürchte er nicht. Nur eines will keiner der beiden: den eigenen Namen nennen.

Bis vor ein paar Monaten hatte Benjamin Weiler mit der AfD eigentlich nichts zu tun. Er ist Vorsitzender der Wirtschaftsjunioren im badischen Karlsruhe. Seit der Wahl im März aber stellen die Rechtspopulisten in Baden-Württemberg mit 15 Prozent die zweitgrößte Oppositionsfraktion. Zeit, sich deren Personal mal ein bisschen genauer anzuschauen, dachte sich Weiler und lud den Parteivorsitzenden Jörg Meuthen Anfang des Monats zum Business-Lunch ins Hotel Erbprinz nach Ettlingen. Binnen Stunden waren die 20 Plätze für örtliche Unternehmer ausgebucht. Könnte das nicht ein Signal dafür sein, dass die AfD auch in der Wirtschaft längst ihre Fans hat? Weiler wird schmallippig. Die Veranstaltung sei gar nicht öffentlich gewesen. Zur Sache wolle er ohnehin nichts sagen, mit Politik habe sein Verein nichts am Hut.

Die AfD wird ...

Schwerin, Karlsruhe. Zwei Orte, ein Muster. Die Gesprächsfetzen vom Wahlabend und die Hinterzimmertreffen der Jungunternehmer belegen die widersprüchliche Situation, in der sich die AfD derzeit befindet: Einerseits gibt es keinen Zweifel an ihrem Erfolg. Ein Rekord folgt dem nächsten. Allein in diesem Jahr: drei Landtage erobert. Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt (24 Prozent), dann Mecklenburg-Vorpommern. Da klingen die für die Berliner Senatswahl prognostizierten zehn, elf oder gar zwölf Prozent fast schon wie eine Schlappe. Dabei wären sie in der traditionell eher linken Großstadt Berlin ein riesiger Erfolg.

„Wirre Rechtsaußen-Partei“
SPD-Vize Ralf Stegner bezeichnete die AfD als „zerstrittene und wirre Rechtsaußen-Partei“. „Ihr Prinzip ist es, Sündenböcke zu benennen, aber keine Lösungen anzubieten.“ Quelle: dpa
CDU-Vize Armin Laschet hat der rechtspopulistischen AfD vorgeworfen, religionsfeindlich zu sein. In der ARD nannte er die Beschlüsse der Partei „erschreckend“ und sagte: „Das, was die AfD jetzt beschlossen hat, ist ein Angriff auf fast alle Religionen.“ Quelle: dpa
Laut AfD gehört der Islam nicht zu Deutschland. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt  kritisierte diese Haltung scharf: „Die AfD hat sich ein tief reaktionäres Programm gegeben und betreibt mit Rassismus und Islamfeindlichkeit eine Spaltung unserer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft“. „Zu sagen, Menschen islamischen Glaubens leben bei uns, aber der Islam gehöre nicht zu Deutschland, ist irrsinnig.“ Quelle: dpa
Thorsten Schäfer-Gümbel, Fraktionsvorsitzender und Landesvorsitzender der hessischen SPD, schaltet sich via Twitter ein. Dort schreibt er: „Dieser Parteitag erinnert mich eher an „Verschwörungstheoretiker aller Länder vereinigt euch“. Absurd, was da zu Klima fabuliert wird.“ Die AfD bestreitet unter anderem den von Menschen verursachten Klimawandel. Quelle: dpa
Nach Ansicht des Zentralrates der Muslime sei das gesamte Parteiprogramm der rechtspopulistischen Partei durchzogen von „Demagogie und Populismus“. Im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte Zentralratsvorsitzender Aiman Mazyek: „Ein solch islamfeindliches Programm hilft kein Deut, Probleme zu lösen, sondern spaltet nur unser Land.“ Ein Minarett-Verbot löse weder soziale Ungerechtigkeiten noch Rentenprobleme, so Mazyek. Quelle: dpa
In der „Thüringischen Landeszeitung“ kritisiert Elmar Otto insbesondere die Beschlüsse zur Direktwahl des Bundespräsidenten: „Wer die Vergangenheit liebt, ist bei der AfD bestens aufgehoben. Die Partei, die bei vielen Menschen weiter auf Zustimmung trifft, hat auf ihrem Parteitag in Stuttgart unter Beweis gestellt, dass sie keine Antworten auf Fragen der Gegenwart hat. Mit der Forderung, den Bundespräsidenten direkt wählen zu lassen, offenbart sie eine bemerkenswerte Ignoranz gegenüber dem Grundgesetz.“ Quelle: dpa
Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Gerda Hasselfeldt, sagte der „Welt“: „Frau Petrys Träume von einer Regierungsbeteiligung scheitern schon daran, dass keine andere demokratische Partei mit ihr zusammenarbeiten will.“ Quelle: dpa

Inzwischen sitzt die AfD in 9 der 16 deutschen Landesparlamente. Sie ist mit der Reise vom Rand in die Mitte der Gesellschaft ein gutes Stück vorangekommen. Auch wenn viele Aussagen vom Schweriner Wahlabend dokumentieren, dass sich viele Anhänger der Partei weiterhin als Paria sehen, ausgegrenzt von der Elite aus Mächtigen und Medien, die sie deshalb bewusst meiden. Selbst wenn sie noch immer unter Arbeitslosen und Arbeitern überproportional punkten mag. Solche Resultate wären ohne die Stimmen der Angestellten, Facharbeiter, Beamten und Selbstständigen unmöglich. Allein aus den Gesetzen der Statistik folgt, dass sich auch in den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Führungsgremien längst AfD-Anhänger tummeln müssen.

Quer zum typischen Links-rechts-Schema

Lars Geiges vom Institut für Demokratieforschung an der Uni Göttingen hat mit seinem Team in den vergangenen Monaten Dutzende AfD-Veranstaltungen besucht, mit Hunderten Mitgliedern und AfD-Wählern gesprochen. Ergebnis: „Die Unterstützung für die AfD läuft quer zum typischen Links-rechts-Schema. Es sind nicht nur die vermeintlichen Verlierer oder die vermeintlich Zukurzgekommenen. Vielleicht vor allem, aber ebenso Arbeiter, Fachkräfte, Selbstständige, auch Unternehmer.“ Es gebe eigentlich nur einen Typus, der sich fast gar nicht unter den AfD-Wählern finde: „Weiblich, hoch gebildet und jung“, sagt Geiges. Matthias Diermeier vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat in den vergangenen Monaten vor allem einen Blick darauf geworfen, wie sich der soziale und ökonomische Status der AfD-Wähler vom gesellschaftlichen Durchschnitt abhebt. „Die Wähler der AfD machen sich kaum Sorgen um ihre eigene ökonomische Position“, sagt Diermeier. Was sie aber verbindet, ist die Sorge, dass es mit der Wirtschaft und der Gesellschaft als Ganzes bergab geht. Das zeigen die jüngsten Daten des Sozio-oekonomischen Panels. Aus denen lässt sich ableiten, wie sich die Wählerschaft der AfD seit dem Beginn des Aufstiegs 2013 verändert hat. Es zeigen sich dabei klare Tendenzen. Die Unzufriedenheit mit der Demokratie ist heute unter den überzeugten AfD-Anhängern ausgeprägter denn je. Auch die Sorgen um die allgemeine Wirtschaftslage und die Angst vor wachsender Kriminalität haben unter den AfD-Wählern massiv zugenommen. Ebenso hat sich die Zusammensetzung der AfD-Wählerschaft geändert: So gibt es nach wie vor Angehörige aller Klassen innerhalb der AfD. Die Zuwächse bei den vergangenen Wahlen kommen aber größtenteils aus den unteren und mittleren Schichten.

Wie die etablierten Parteien mit der AfD umgehen

Der Graben zwischen AfD und Elite, er müsste damit trotz aller Erfolge eher größer als kleiner geworden sein. Aber er ist eben nicht unüberbrückbar.

Da wäre etwa Hans Wall. Als im Herbst 2014 publik wurde, dass der Unternehmer bei der AfD eingetreten war, verschickte das nach ihm benannte Unternehmen rasch eine Mitteilung: „Die Wall AG distanziert sich von dem politischen Engagement des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden.“ Der damalige Unternehmenschef: Daniel Wall, sein Sohn. „Sich vom eigenen Vater distanzieren – das macht man doch nicht“, sagt Wall senior heute. „Jeder wusste, dass ich nicht mehr für die Wall AG stehe“, so der 1942 geborene Gründer.

Mitte der Siebzigerjahre schuf er das Unternehmen für Stadtmöblierung. So nennen Werber ihre Plakatflächen in Form von Haltestellen oder öffentlichen Toiletten. 2009 verkaufte er seine Anteile an den französischen Konkurrenten JCDecaux, seitdem hat er mit dem Konzern nichts mehr zu tun. Und dennoch: Ein bisschen Loyalität hätte er sich schon gewünscht.

Die Reaktionen zur Landtagswahl
Die Anhänger der AfD in Schwerin haben etwas zu jubeln. Ihre Partei holte bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern - ersten Hochrechnungen zufolge - aus dem Stand 21,5 Prozent der Stimmen. Quelle: dpa
Freude gab es auch bei den Anhängern der SPD. Sie wurde erneut stärkste Kraft und kann auch in Zukunft den Ministerpräsidenten stellen. Aber auch die Sozialdemokraten haben deutlich verloren. Quelle: dpa
Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern und Wahlgewinner, Erwin Sellering, hat sich nicht auf eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU festgelegt. Er habe keine Präferenz für eine Koalitionsoption, sagte der SPD-Politiker nach der Landtagswahl am Sonntag. "Wir werden mit allen reden." Es gebe neben der CDU auch eine zweite Möglichkeit. Nach den ersten Hochrechnungen könnte die SPD auch mit Linken und Grünen eine Regierung bilden. Quelle: dpa
Lange Gesichter hingegen gab es bei der CDU. Sie lag mit unter 20 Prozent sogar noch hinter der AfD. Quelle: dpa
Der CDU-Spitzenkandidat, Lorenz Caffier, hat der Parteispitze in Berlin eine Mitschuld an der Wahlniederlage gegeben. Die Verunsicherung der Menschen über das Thema Flüchtlinge habe man in Berlin nicht genügend wahrgenommen, sagte Landesinnenminister Caffier am Sonntagabend. Man könne zudem aus dem Ergebnis lernen, dass man kurz vor der Wahl nicht über Katastrophenschutzpläne diskutieren sollte. Diese Kritik richtet sich an Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Dieser hatte vor eineinhalb Wochen ein Konzept für den Fall eines Terror- oder Cyberangriffs vorgelegt. Die Kritik, er schüre damit nach den jüngsten Anschlägen Verunsicherung, hatte de Maizière zurückgewiesen. Quelle: dpa
Das Ergebnis der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ist nach Ansicht des CDU-Politikers Michael Grosse-Brömer ein Denkzettel für die große Koalition. "Dies ist kein schöner Wahlabend für uns", sagte der parlamentarische Geschäftführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Die große Koalition sollte ein stückweit auch abgestraft werden", sagte er mit Hinweis auf die Verluste sowohl von CDU als auch SPD. Offenbar müsse die Bundesregierung gerade die Flüchtlingspolitik besser erklären und den Menschen klarmachen, dass viele Sorgen vor Ort unnötig seien. Eine Politikänderung gegenüber der AfD halte er nicht für notwendig. 75 Prozent der AfD-Wähler wollten gar keine Lösungen. Das seien Proteststimmen. Quelle: dpa
CDU-Generalsekretär Peter Tauber führt die schwere Schlappe seiner Partei bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern auf weit verbreiteten „Unmut und Protest“ in der Bevölkerung zurück. Dies habe offensichtlich zu großen Teilen „mit der Diskussion über die Flüchtlinge“ zu tun, sagte er am Sonntagabend in Berlin. „Dieses Ergebnis und das starke Abschneiden der AfD ist bitter“, sagte Tauber. Quelle: dpa

Stattdessen gab es auch jenseits der Familie Unverständnis über sein Engagement. „Klar, manche wollten das nicht verstehen.“ Als Unternehmer habe er aber gelernt: „Wer unehrlich ist und betrügt, der scheitert.“ Genau das sei für ihn das Problem an der Euro-Rettungspolitik gewesen. „Die Politik hat uns seit der Euro-Einführung angelogen“, sagt Wall. Als Bernd Lucke damals die AfD gründete, wollte er die Partei unterstützen. Er spendete 10 000 Euro und wurde Mitglied. Es war die Zeit, als die Partei eine Art Verein ökonomischer Besserwisser zur Abschaffung des Euro war. Die Parteispitze versprach wirtschaftliche Expertise und ein Zuhause für jene Unternehmer, die mit dem eher unternehmensfernen Kurs der Bundeskanzlerin wenig anfangen konnten. Während Mittelständler Wall „nur“ Geld gab, ließ sich Ex-BDI-Größe Hans-Olaf Henkel gar in die Parteispitze wählen. Gemeinsam wollten sie in eine Lücke im Parteienspektrum stoßen: dort hinein, wo jene Unternehmer angesprochen werden, die sich von CDU und FDP nicht mehr verstanden fühlten. Die den Euro für einen Fehler halten und die CDU unter Angela Merkel für die weiblichere Variante der SPD.

Konservative Gedankenspiele

Es war eine andere Zeit und eine andere Partei. Heute verdankt die AfD ihren Erfolg einem einzigen Thema: den Flüchtlingen. Der Ton wurde rauer, die Gesellen in der Partei fragwürdiger. Die einen, wie Henkel, haben sich abgewandt. Andere, Unternehmer wie Wall, sind ihr als Sympathisanten treu geblieben. Und wieder andere lassen das Verhältnis einfach ungeklärt, in der Hoffnung, die Alternative für Deutschland habe den Anspruch, der in ihrem Namen steckt, noch nicht ganz aufgegeben. So wie Heinrich Weiss.

Weiss hat einst die Gründungsrede der Vereinigung mittelständischer Unternehmer in der AfD gehalten. Der 74-Jährige ist Aufsichtsratschef und Eigentümer des Düsseldorfer Anlagenbauers SMS, eines Konzerns mit etwa drei Milliarden Euro Umsatz und 14 000 Mitarbeitern. Weiss tummelte sich mal im Umfeld der CDU, mal in dem der FDP. Er war Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Einer, den man landläufig als Elite der deutschen Wirtschaft bezeichnet.

Ein Mann, der es in dem System, dessen Generalüberholung er sich von der AfD erhofft, weit gebracht hat. Eben dieser Weiss, so schrieb das „Manager Magazin“ vor einiger Zeit, habe sich durch sein Engagement „gesellschaftlich ins Abseits manövriert“. Das möchte der so nicht stehen lassen. Allerdings sagt Weiss auch: „Da die AfD wegen einiger Rechtsextremisten von Anfang an einen Ruf als nicht demokratische Partei hatte, haben einige Unternehmerkollegen mein damaliges Engagement nicht verstanden und mich als ‚verlorenen Sohn‘ betrachtet.“

Die Gesichter der AfD

Freilich kennt auch Weiss die Gründe für das schlechte Image. Auch er hörte Stimmen, wie die von Hansjörg Müller, Chef des Mittelstandsforums der AfD, der sich mit der Feststellung zitieren ließ, unter Lucke sei die Ausrichtung „so schwammig“ gewesen. Jetzt sei die Botschaft klar: „Deutsche Interessen zuerst.“

Weiss ist deswegen seit einiger Zeit nicht mehr aktiv in der AfD. Einerseits. Andererseits hat er etwa seine Mitgliedschaft im Mittelstandsforum der Partei nicht gekündigt. Er kenne kaum einen Unternehmer, der sich offen zur AfD bekannt hätte. Aber viele sähen eine politische Leerstelle, die es zu füllen gelte. „Die meisten Unternehmer kümmern sich lieber um ihr Unternehmen und engagieren sich nicht in der großen Politik, obwohl sie mir im privaten Gespräch immer wieder meine Kritik am Euro und an der verfehlten Wirtschaftspolitik dieser Regierung bestätigen“, sagt Weiss. Und Werber Wall sagt: „Die AfD ist die einzige Partei, die eine nationale Vision für die Zukunft Deutschlands hat.“ Mit Rechtsradikalismus habe das nichts zu tun, beteuert er.

Die AfD hat es so immerhin in Teilen geschafft, die enttäuschte Unternehmerschaft an sich zu binden. Wie groß der Anteil ist? Im Mittelstandsforum der Partei haben sich einige von ihnen zusammengeschlossen, um die 200 sollen es inzwischen sein. Und die Zahl ist seit dem Abgang der Wirtschaftsprofessoren um Bernd Lucke nicht gesunken. „Vor allem im Mittelstand ist die AfD salonfähig geworden“, sagt auch Peter Radunski. Der CDU-Mann hat einst den Wahlkampf von Helmut Kohl gemanagt, er spricht für einen ganzen Flügel der Partei, der seine Meinung derzeit kaum artikuliert: „Gerade im Mittelstand scheinen viele Unternehmer die Folgen der Globalisierung zu fürchten und lehnen zum Beispiel das Freihandelsabkommen TTIP ab. Die AfD, die für eine Politik der Abschottung wirbt, wirkt daher anziehend.“

Die Sprüche der AfD

Das Verhältnis zwischen der AfD und den Eliten aus Wirtschaft und Gesellschaft ist kompliziert. Für beide Seiten liegen Chance und Risiko in einer Annäherung. So liebäugeln manch einflussreiche Konservative damit, die AfD durch eine Lockerung des existierenden Wahltabus erst zu mäßigen und dann zu entzaubern. Es entstünde eine Art wertkonservatives Korrektiv zur nach links gerückten CDU von Angela Merkel, das spätestens nach der ersten enttäuschenden Regierungsbeteiligung der AfD wieder verschwinden würde. Zugleich birgt das die Gefahr, die AfD erst zu etablieren und dann trotzdem die Kontrolle über ihre Ausrichtung zu verlieren.

"Dumpfe Parolendrescher"

Aus der Sicht der AfD ist die Beziehung nicht minder risikoreich. Zieht sie Teile der Elite auf ihre Seite, so gewinnt sie gesellschaftliche Vorbilder, die allein durch ihr Bekenntnis zu einer Partei viele andere Menschen zu einer ähnlichen Wahl bewegen könnten. Dem gegenüber steht für die AfD die Gefahr, selbst als Teil des Systems – und damit eben nicht mehr als „Alternative“ – wahrgenommen zu werden. Die Alternative würde zum Establishment.

Mit derlei Gratwanderungen kennt sich Stephan Werhahn gut aus. Der Enkel Konrad Adenauers versteht sich selbst als Gralshüter dessen Idee einer konservativen Partei, die Werhahn in erster Linie aus „Marktwirtschaft und Westbindung“ zusammensetzt. Mit der Partei, die sein Großvater einst mit gründete, ist er schon lange nicht mehr zufrieden. Vor vier Jahren wechselte er deshalb zu den Freien Wählern, kämpfte dort gar für eine Listenverbindung mit der AfD. Als das scheiterte, war auch Werhahn bald wieder weg. Mit der AfD von heute und ihrer zuwanderungsfeindlichen Rhetorik, sagt er, könne er zwar nichts mehr anfangen. „Dumpfe Parolendrescher“ seien das. Doch Werhahn räumt ein: Auch in seinem Umfeld gebe es immer mehr Menschen, die diese Option in Betracht zögen. Öffentlich darüber sprechen aber wolle kaum einer von ihnen.

Solche Fälle kennt auch Stephan Homburg dutzendfach. Er ist Professor für Steuerrecht an der Universität Hannover, hat einst zusammen mit Jörg Meuthen in Köln promoviert und ist heute das, was man im besten Sinne einen streitbaren Ökonomen nennt. 2014 ist er mal bei einem Bundesparteitag der AfD aufgetreten, angeschlossen hat er sich der Partei nie, so wie auch keiner anderen. „Wer wissenschaftlich ernst genommen werden will, der muss sich von der Politik fernhalten“, sagt Homburg.

Zentralrat der Muslime vergleicht AfD mit NSDAP
Aiman MazyekDer Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland hat die rechtspopulistische AfD mit der NSDAP verglichen. "Es ist das erste Mal seit Hitler-Deutschland, dass es eine Partei gibt, die erneut eine ganze Religionsgemeinschaft diskreditiert und sie existenziell bedroht", sagte Aiman Mazyek am Montag im NDR. Die Alternative für Deutschland (AfD) schwimme auf einer Welle der Islamfeindlichkeit, die in Deutschland in den vergangenen Jahren zugenommen habe und in Teilen salonfähig geworden sei. Diese Stimmung versuche die AfD weiter anzuheizen. "Das ist kein Anti-Islam-Kurs, das ist ein Anti-Demokratie-Kurs", sagte Mazyek. Was die AfD will, lesen Sie hier. Quelle: dapd
Julia KlöcknerDie stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner hat Äußerungen von AfD-Politikern scharf kritisiert, der Islam sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. „Das beschließt keine Partei, wer hier verfassungskonform ist, wir haben Gewaltenteilung und das machen unabhängige Gerichte“, sagte Klöckner vor einer CDU-Präsidiumssitzung am Montag in Berlin. Die AfD schüre mit ihren Thesen Ängste. Quelle: dpa
Boris Pistorius Als billigsten Populismus hat Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) Äußerungen von AfD-Politikern bezeichnet, der Islam sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. „Das, was die AfD da macht, ist ausgrenzend und diskriminierend und ist ein Spaltpilz in der Gesellschaft“, sagte Pistorius am Montag in Hannover. „Das ist an Plattheit kaum zu überbieten, bedient Vorurteile und diskreditiert Muslime.“ Quelle: dpa
Carsten SielingDer Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD), hat die jüngsten Äußerungen von AfD-Politikern zum Islam als „brandgefährlich“ kritisiert. Die AfD schüre damit auf ganz primitive Art und Weise Vorurteile und versuche so die Gesellschaft in Deutschland zu spalten, sagte Sieling am Montag der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Bremen. „Sie (die AfD) fügt unserem Land damit großen Schaden zu. Alle Demokraten sind aufgefordert, sich offensiv gegen die fremdenfeindliche Hetze dieser Partei zu stellen“, betonte Sieling. Quelle: dpa
Armin LaschetDer stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet sagte der „Rhein-Neckar-Zeitung“ und der „Passauer Neuen Presse“ (Montag), Wahlkämpfe gegen Religionen und die religiösen Gefühle von Menschen, die hier leben, wären etwas Neues. „Damit würde unser Land gespalten.“ Das würde auch gegen die Religions- und Glaubensfreiheit verstoßen, die das Grundgesetz garantiere. „Die AfD hetzt die Menschen auf, sie will provozieren. Der Verfassungsschutz wird dies im Blick haben. Wenn eine Partei zunehmend aggressiv Grundrechte in Frage stellt und missachtet, werden die Dienste dies sehr genau bewerten“, sagte Laschet. Quelle: dpa
Christine BuchholzDie religionspolitische Sprecherin der Linken, Christine Buchholz, hat der AfD Islamhass und eine Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas vorgeworfen. Führende Politiker der rechtspopulistischen AfD hatten den Islam pauschal als unvereinbar mit einer freiheitlichen Grundordnung bezeichnet. Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, sagte AfD-Vize Beatrix von Storch der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Buchholz warnte vor den Folgen solcher Äußerungen. „Die AfD wirft geistige Brandsätze und ist so mitverantwortlich für die steigende Zahl von islamfeindlichen Übergriffen und Anschlägen auf Flüchtlingsheime“, sagte sie. Mit den aktuellen Aussagen schüre die AfD Rassismus gegen Muslime und vergifte das gesellschaftliche Klima. Quelle: dpa
Martin SchulzDer Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, hat mit Empörung auf islamfeindliche Äußerungen führender AfD-Politiker reagiert. „Die Einlassungen der AfD zum Thema Islam sind abstoßend. Eine ganze Religionsgemeinschaft unter Generalverdacht zu stellen, ist unanständig“, sagte der SPD-Politiker am Montag. Spaltung, Krawall, die Diffamierung ganzer Gruppen und das Schüren von Ängsten seien das Programm der AfD. Nachdem die AfD zunächst gegen die EU und dann gegen Flüchtlinge zu Felde gezogen sei, nehme sie nun den Islam ins Visier. „Damit ist sie keine Alternative sondern eine Schande für Deutschland“, sagte Schulz in einer Mitteilung. Die Partei giere nach Aufmerksamkeit, und kein Populismus sei ihr dafür billig genug. „Die AfD zündelt und nimmt dabei bewusst in Kauf, dass Millionen Muslime, die ein friedlicher und wichtiger Teil Deutschlands und Europas sind, diffamiert werden.“ Quelle: dpa

Er sagt aber auch: „Eine Wahl der AfD ist inzwischen doch die einzige Möglichkeit, um zum Ausdruck zu bringen, dass man mit der aktuellen Politik nicht einverstanden ist.“ Obwohl viele das so sähen, kenne er keinen Einzigen in seinem akademischen Umfeld, der sich offen zur AfD bekenne. „Das Tabu, die AfD zu wählen, ist in den vergangenen Monaten größer geworden“, sagt Homburg, der dafür vor allem das aus seiner Sicht untragbare Spitzenpersonal verantwortlich macht.

Tabus, weiß das psychologische Lehrbuch, haben in sozialen Gruppen eine wichtige Funktion. Sie sanktionieren gruppenschädliches Verhalten, ohne hinterfragt werden zu müssen. So schützen sie die Gruppe davor, Handlungen zu dulden, die ihr selbst schaden. In diesem Sinne ist die Ausgrenzung rechtsradikaler Positionen in der deutschen Gesellschaft ein Tabu im nützlichsten Sinne. Die Geschichte beweist es.

Die Frage ist nur: Wurde dieses Tabu im Laufe der Jahre nicht so weit ausgedehnt, dass es an seinen Rändern hohl geworden ist? Oder anders: Wem nutzt die Tabuisierung zuwanderungsfeindlicher Positionen, die zwar inhaltlich fragwürdig sein mögen, aber dennoch ein gutes Stück entfernt von der Verfassungsfeindlichkeit liegen? Im Moment vor allem der AfD.

Die Kluft zwischen Verbänden und Unternehmen

Ein Donnerstagabend in Berlin. In einem noblen Restaurant in Mitte treffen sich die Unternehmerverbände der Hauptstadt. Zusammen wollen sie bei Kalbsfilet und Bohnen im Speckmantel Bilanz ziehen vor der Wahl. Die Stimmung ist gut: plus 120 000 sozialversicherungspflichtige Jobs in den vergangenen drei Jahren, über 40 000 Unternehmensneugründungen. „Berlin wächst“, fasst es ein Teilnehmer zusammen. „Die Frage ist: Blüht Berlin auch?“ Eben da ist sich die Runde nicht einig. Deshalb sind sie hier: um Forderungen an den nächsten Bürgermeister zu stellen.

Das sagen Unternehmer zu den Ergebnissen
Wolfgang Grupp, Eigentümer von Trigema:"Viele Leute in Baden-Württemberg haben wie ich aus reinem Protest gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik nicht CDU gewählt. Guido Wolf als CDU-Spitzenkandidat konnte dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann nicht das Wasser reichen - übrigens eine Spätfolge der Strategie Merkels, CDU-Top-Politiker wie Baden-Württembergs Ex-Ministerpräsidenten Günther Oettinger (heute EU-Kommissar) kalt zu stellen. Jetzt kann es nur eine Koalition geben und das ist Grün-Schwarz. Das ist der Bürgerwille. Natürlich wäre auch eine Ampelkoalition aus Grün, Rot und Gelb möglich. Aber ich glaube, dass Kretschmann versuchen wird, die vom Bürger am zweithäufigsten gewählte Partei in die Regierung zu holen. Die CDU wurde zwar abgestraft, die SPD aber auch. Der Wahlausgang hat überhaupt keine negativen Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg. Kretschmann und die Grünen haben generell gute Ideen. Das haben sie in der Vergangenheit gezeigt und das wird jetzt in die Regierung einfließen. Wir aus der Wirtschaft brauchen die neuen Ideen, also das, was zukunftsorientiert ist. Im Übrigen wird Kretschmann mit seinem Wahlsieg mehr Gewicht in der Bundespartei der Grünen bekommen, und das ist gut so." Quelle: dapd
Nicola Leibinger-Kammüller Quelle: dpa
Bitkom-Präsident Thorsten Dirks: Quelle: dpa
Renate Pilz, Vorsitzende der Geschäftsführung der Firma Pilz Automation in Ostfildern, Baden-Württemberg:“Ich bin als Mensch und nicht nur als Unternehmerin persönlich erschüttert über den Erfolg der AfD und fürchte, wir müssen uns langfristig auf diese Partei im Landtag einstellen. Der große Erfolg von Herrn Kretschmann gerade auch unter älteren Wählern liegt meiner Meinung nach daran, dass  er im Wahlkampf eine klare Linie vorgegeben hat und seinen Blick über Baden Württemberg hinweg auf Europa gerichtet hat. Die europäische Einheit ist nicht nur für Unternehmer wichtig. Die Älteren haben den Krieg noch als Kinder erlebt, sie wissen wie wichtig der Frieden ist und sie fühlen sich dafür mitverantwortlich, dass so etwas in Deutschland nicht nochmal passiert. Herr Kretschmann hat aber auch aus Sicht der Unternehmer in Baden Württemberg auch als grüner Ministerpräsident gute Arbeit geleistet. Auch das wird zu seiner Wiederwahl beigetragen haben.” Quelle: dpa/dpaweb
Martin Fuchs, Geschäftsführer Enprotec GmbH in Mayen bei Koblenz, Rheinland-Pfalz"Die Landtagswahlen haben zwei Dinge deutlich gemacht. Ein großer Teil der Wähler hat kein Vertrauen mehr in die aktuellen Bundespolitiker, insbesondere die Bundeskanzlerin. Hierfür haben CDU, SPD und auch Bündnis 90/Die Grünen büßen müssen. Erfolg hatten die scheinbar authentischen Politiker Winfried Kretschmann und Malu Dreyer. Gerade bei Malu Dreyer klaffen jedoch Reputation und tatsächliche politische (Fehl-)Leistung weit auseinander. Auch in Baden-Württemberg kann ich die Schulpolitik nur mit großer Sorge betrachten. Die dortigen Prioritäten sind sowohl der Mehrheit der Gesellschaft als auch dem Wirtschaftsstandort auf Dauer abträglich. Umso mehr gilt, dass die voraussichtlichen Koalitionspartner, CDU in Ba-Wü und FDP in Rheinland-Pfalz, wesentliche Korrekturen durchsetzen. In meinem Bundesland heißt dies für die Bereiche Infrastruktur: Breitbandausbau, Straßensanierung, Bau der Mittelrheinbrücke etc.; öffentliche Sicherheit: Ausbau der Polizei auch unter dem Aspekt möglicher neuer Herausforderungen; Rechtssicherheit: Aus-, nicht Abbau der Justizverwaltung (Die Landesregierung hat in Koblenz im übertragenen Sinne bereits ,Strafvereitelung im Amt‘ begangen.); Integration: Aufbau von ernsthaften Asylanten-Integrationsstrukturen (keine Migrantenverwaltung und -Ghettoisierung wie aktuell gegeben) und konsequente Abschiebung von Wirtschaftsmigranten; Bildungspolitik: Anpassung der schon heute unzureichenden Bildungsressourcen an die neuen Herausforderungen; Energie: Beendigung der (planlosen) Verspargelung der Landschaft. Trotz vieler Frustrationen gebe ich die Hoffnung nicht auf." Quelle: Privat
Rainer Hundsdörfer, Chef von ebm papst in Mulfingen: “Der Wahlerfolg  der AfD in allen drei Landesparlamenten kann einem Demokraten nicht gefallen. Er zeigt aber, dass die renommierten Parteien die Wählen nicht haben überzeugen können. Ich bin überzeugt, dass vor allem Protestwähler die AfD favorisierten und dass es nicht mehrheitlich um braune Gesinnung handelt. Dass sich die Grünen in BaWü so klar  gegen die CDU durchsetzen konnten hat mich überrascht. Ich halte das für einen persönlichen Erfolg von Herrn Kretschmann, vor allem er und nicht die Grünen haben diese Wahl gewonnen. Er hat aus Unternehmersicht oft gut gearbeitet: zuverlässig, interessiert, kompromissfähig. Zudem traut er sich, sich bei Sachfragen auch mal gegen seine Partei zu stellen. Er hat also bewiesen, dass er als grüner Ministerpräsident Unternehmen nicht schadet. Das habe ich mir früher so nicht vorstellen können. Gut für Baden Württemberg wäre eine schwarz-grüne Regierungskoalition statt einer Drei-Parteien-Regierung aus Grün, Rot plus X. Sie hätte eine satte handlungsfähige Mehrheit und die CDU wäre der notwendige Gegenpol für eine bessere Wirtschafts- und Bildungspolitik. Wir in der Industrie sind pragmatischer:  Erst zwei Jahren Kretschmann als Chef, dann tritt er ab und die nächsten zwei Jahre übernimmt CDU-Mann Wolf - für das Land wäre das eine sehr gute Option. Aber Politiker sind wohl nicht so pragmatisch. Auf jeden Fall ist es gut, dass die FDP als Korrekturfaktor zum Beispiel für die schwindende Wirtschaftskompetenz der SPD im Landtag ist.” Quelle: Steffen Burger
Hans-Jürgen Mundinger, Chef der Goldschmidt Thermit mit Sitz in Halle und Leipzig:“Als gebürtiger Baden-Württemberger vom Bodensee und nun in Ostdeutschland arbeitend, habe ich beide Wahlergebnisse mit Spannung verfolgt. Für mich hat heute unabhängig von allen Parteien die Demokratie gewonnen: Die Menschen interessieren sich wieder mehr für Politik, die Wahlbeteiligung ist gestiegen.  Über Jahrzehnte haben drei oder vier Parteien die Regierungen unter sich ausgemacht, nun sind es bis zu sechs Parteien. Das finde ich grundsätzlich einen Gewinn. Den hohen Wahlerfolg der AfD, besonders in Sachsen-Anhalt, muss eine Demokratie aushalten. Aber ich würde nicht meinen Kopf dafür geben, dass das klappt. Doch die rund 15 Prozent der AfD in BaWü, dem Land der Liberalen, schocken mich noch mehr als die 24 Prozent in Sachsen Anhalt. Vermutlich sind es in BaWü eher Protestwähler, in Ostdeutschland sind viele Wähler grundsätzlich pessimistisch. Die CDU hat es nicht vermocht, das zu ändern, sie war unentschlossen und selbst zu pessimistisch. Der Erfolg der AfD könnte für die Wirtschaft noch schwierig werden. Großkonzerne oder internationale Unternehmen womöglich Ansiedlungen in Sachsen und Sachsen Anhalt meiden und stattdessen zum Beispiel nach Thüringen gehen. Der AfD-Erfolg erschüttert jetzt schon den Tourismus, dann würde er alle Industriesparten treffen. Es ist wichtig, dass die FDP wenigstens den Einzug ins Parlament schafft, das wäre dann eine Partei, die den Menschen Hoffnung geben kann.” Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

Normalerweise gehen sie dabei sehr sachlich vor, agieren vorsichtig, empfehlen keine Partei. Dieses Mal aber ist etwas anders: Die AfD steht in den Umfragen für Berlin zwischen 10 und 15 Prozent. Ein Verbandsvertreter sagt: „Wir lehnen die AfD ab. Berlin lebt von Toleranz und Offenheit. Die AfD steht für einen anderen Geist. Die Unternehmen hier wünschen sich eine freie Stadt und eine liberale Stimmung.“ Sonst, so fürchten die Herren, schrecke man womöglich internationale Investoren ab. Ein anderer aber erzählt von einer Umfrage, die er unter seinen Mitgliedsunternehmen durchgeführt habe. Das Ergebnis: sieben Prozent für die AfD. Nicht viel. Aber eben auch nicht viel weniger als im städtischen Durchschnitt.

Genau dieser Widerspruch zwischen veröffentlichten Verbandsmeinungen und der tatsächlichen Stimmung ist es, die der AfD derzeit viele Menschen zutreibt, auch im Unternehmerlager. Denn deren AfD-Abgrenzung wird zunehmend als überzogene politische Korrektheit gesehen, die den Widerspruch erst recht befeuert. Zudem offensichtlich im Weltbild vieler Unternehmer eine Lücke im Parteienspektrum existiert, die eine mitteorientierte CDU und eine nicht auf die Beine kommende FDP hinterlassen haben. Sie tritt nicht offen zutage, auch weil insbesondere mittelständische und kleinere Unternehmer sich von ihren Verbänden in Berlin nicht mehr vertreten fühlen, die eher durch allenfalls sanfte Kritik an der großen Koalition auffallen.

„Es ist ein Alarmzeichen für den Zustand unserer Demokratie, wenn die AfD weiterhin von den etablierten Parteien und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen als nicht demokratisch und unwürdig für eine politische Auseinandersetzung behandelt wird“, sagt Mittelständler Weiss. Er verweist darauf, dass ein bedeutender Anteil der Wähler von AfD und der CDU gerne die CSU gewählt hätte – wenn die an der Ostsee denn angetreten wäre. Für Weiss heißt das: Die Menschen wollen eine konservative Kraft aus wirtschaftlichem Freiheitsstreben und gutbürgerlichem Wertebild. Eine Anti-Merkel-Partei.

Bereits für fünf Prozent aller Wähler, so ergeben die aktuellen Daten des Sozio-oekonomischen Panels, hat sich aus dieser Anziehungskraft eine verfestigte Parteibindung zur AfD entwickelt. Für die anderen aktuellen Sympathisanten aber gilt wohl Ähnliches wie für Heinrich Weiss. „Seit dem Wochenende denke ich: Vielleicht wird die AfD doch noch erwachsen. Der Spitzenkandidat machte am Wahlabend einen sehr soliden und vernünftigen Eindruck. Für mich bleibt die Hoffnung, dass sich eine wählbare Opposition zum links-sozialistischen Mainstream aus CDU, SPD, Linken und Grünen bildet.“

Und er fügt hinzu: „Einfacher wäre natürlich, die CDU würde sich auf ihre traditionellen Grundwerte zurückbesinnen.“

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