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Parteien in Europa Deutschland verschläft den Populismus

In fast allen nationalen Parlamenten Europas sind schrille Parteien mit EU-kritischen Positionen vertreten, die so genannten Populisten. Nur die Deutschen wollen ihre Ruhe haben und bevorzugen das politische Establishment.

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Der Schrecken von Europas politischen Eliten: Geert Wilders, Timo Soini und Beppe Grillo. Quelle: Marcel Stahn

Vor einem „Deutschen Sonderweg“ zu warnen, gehört nicht nur unter Historikern hierzulande zum guten Ton. Derzeit ist Deutschland jedoch in einer Hinsicht durchaus auf einem demokratischen Sonderweg, der es fast einzigartig in Europa macht: In Deutschlands Parteienspektrum fehlt weitgehend, was man gemeinhin als „populistische“ Parteien bezeichnet. Politische Bewegungen, die sich als Anti-Parteien, als radikaloppositionelle Gegenkräfte zur etablierten politischen Klasse verstehen, sind in fast allen westlichen Staaten tief ins parlamentarische Getriebe eingedrungen. In den meisten europäischen Ländern haben solche Protestparteien gerade in den Jahren der Schuldenkrise starken Zulauf erhalten, sie feiern Wahlerfolge und bringen die etablierten Parteien und parlamentarischen Machtverhältnisse in Bewegung. Auch als radikale Opposition beeinflussen sie allein durch ihre Konkurrenzfähigkeit bei Wahlen die Politik der Regierenden.

In einigen Ländern der EU sind neue Parteien entstanden, die sich kaum in hergebrachte politische Schemen von Rechts und Links einordnen lassen. Was sie gemeinsam haben: Harte Töne gegen die Europäische Union und die von den bisherigen Regierungen praktizierte Euro-Rettungspolitik. Der Euro und die europäische Integration sind das übergreifende Großprojekt der politischen Eliten in Europa. Daher ist die Kritik daran auch der programmatische Kern vieler politischer Bewegungen gegen die etablierten Parteien. "Populisten machen sich da breit, wo zwischen politische Eliten und Massenmeinung eine Kluft besteht", sagt der politische Analyst Ulrich Speck. Diese Kluft ist derzeit in vielen Ländern der Euro.

Die größten Euro-Gegner
Hans-Olaf Henkel war Industrie-Chef und sieht Europa durch den Euro bedroht. Die aktuelle Krisenbewältigung schränke die Demokratie in den Eurostaaten erheblich ein. Henkel hofft auf ein Einlenken der Bundeskanzlerin. "Die Bereitschaft der Deutschen, weitere Griechenland-Rettungspakete und demnächst Portugal und Italien zu finanzieren, ist weniger verbreitet als die Bereitschaft, die Kernenergie zu unterstützen. Das heißt: Wenn Angela Merkel beim Euro eine Art Fukushima-Effekt erlebt, dann traue ich ihr zu, blitzschnell den Kurs zu ändern", sagte Henkel im Interview mit der WirtschaftsWoche. Quelle: AP
Der Ökonom und Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Hans-Werner Sinn hält viele Euro-Mitgliedsländer für nicht wettbewerbsfähig. Er plädiert für einen Ausschluss Griechenlands aus der Währungsunion und warnt eindringlich vor einer Bankenunion und Eurobonds. Im vergangenen Jahr hat er einen Brandbrief von rund 200 deutschen Ökonomen mitunterzeichnet. Innerhalb der Bundesregierung hat er sich damit keine Freunde gemacht. Doch das wird Sinn nicht stören. Einer, der den ifo-Chef gut kennt sagte, "Sinn würde zu seinen Thesen stehen, auch wenn andere daran zweifeln". Bevor Sinn sich und seine Thesen präsentiert, bereitet er sich stundenlang vor und feilt an seinen Formulierungen. Quelle: dapd
Alexis Tsipras ist Vorsitzender des griechischen Links-Bündnisses "Syriza" und der mächtigste Kritiker der griechischen Regierung. Er ist strikt gegen das Sparprogramm, das sein Land mit den internationalen Geldgebern verhandelt hat. Sein jüngster Vorschlag: Die griechische Regierung solle schlichtweg die Gespräche mit der Troika (IWF, Europäische Kommission und Europäische Zentralbank) verweigern. Die fortschreitende Privatisierung von Staatsbetrieben will Tsipras eigenen Worten zufolge "kriminalisieren". Die griechische Regierung soll im Eiltempo öffentliche Unternehmen verkaufen. Bei der Wahl im vergangenen Jahre erreichte seine Partei 17 Prozent der Stimmen und wurde zweitstärkste Kraft im Land. Umfragen sehen Tsipras inzwischen noch stärker. Quelle: dapd
Peter Gauweiler ist CSU-Politiker und profiliert sich vor allem als Euro-Skeptiker. Er stimmt gegen den Eurorettungsschirm und möchte die "Grenzüberschreitung" bei den europäischen Verträgen verhindern. Gauweiler war Mitkläger gegen die Euro-Hilfen, die vom Verfassungsgericht aber bestätigt wurden. Der CDU-Politiker befürchtet, dass sich die Ereignisse bei den Rettungsversuchen "überschlagen". Deshalb wisse er auch nicht, ob Angela Merkel selbst am Rettungsschirm weiterhin festhalten werde. Quelle: dpa/dpaweb
Silvio Berlusconi ist Unternehmer und ehemaliger italienischer Ministerpräsident. Bei den Parlamentswahlen in Italien holte er fast 30 Prozent der Stimmen und konnte so eine linke Regierung verhindern. Berlusconi punktete im Wahlkampf mit dem Versprechen, die Sparprogramme seines Vorgängers Mario Monti rückgängig zumachen. Auch für seine populistischen Thesen gegen den Euro erhielt er Applaus. Den Euro zu verlassen, sei keine Blasphemie, sagt Berlusconi. Quelle: REUTERS
Timo Soini ist Mitglied des Europaparlaments und Präsident der Partei "Basisfinnen". Sie lehnt Finanzhilfen für Griechenland ab. Mit seiner Euro-skeptischen Haltung weiß Soini viele seiner Landsleute hinter sich. In Finnland wächst die Sorge, dass die wohlhabenden Länder Europas den Süden dauerhaft alimentieren müssen.
Der Chef der rechtspopulistischen niederländischen Partei für die Freiheit (PVV) Geert Wilders hat sich erfolglos am Euro abgearbeitet. Er geißelte die Sparregeln als "ein Diktat Brüssels", an denen sich jedes Land kaputtspare. Doch bei den Wahlen im September 2012 wurde Wilders von den Bürgern abgestraft und flog aus der Regierung. Quelle: REUTERS

Der Zorn der Anti-Parteien in den südeuropäischen Krisenländern richtet sich vor allem gegen die Zumutungen der von Brüssel oktroyierten Reformen, die als Fremdbestimmung empfunden werden. Am größten sind deren Erfolge in Griechenland. Die linksradikale Syriza-Partei mit dem jungen Globalisierungskritiker Alexis Tsipras wurde bei den Wahlen im Juni 2012 mit 26,9 Prozent zweitstärkste Partei (2004 kam sie kaum über 3 Prozent). Ihr Markenzeichen ist die totale Gegnerschaft zu allen Reformforderungen der Troika. "Sparpolitik ist keine Lösung in der Krise. Sparpolitik ist die Krise", schreibt Tsipras im "Neuen Deutschland".

Zugleich zogen erstmals die radikalnationalistische "Chrysi Avgi", die durch laute Reparationsforderungen an Deutschland profilierte "Anexartiti Ellines" und die linke "Dimokratiki Aristera" ins Parlament ein. Die etablierten Sozialdemokraten (PASOK) und Konservativen (Nia Demokratia) konnten nicht einmal gemeinsam über 50 Prozent kommen. Zur Regierungsbildung brauchten sie noch die gemäßigten Linken (DIMAR). Nun haben sich im Frühjahr auch noch zwei Anti-Euro-Parteien gegründet, "Plan B" unter dem ehemaligen Syriza-Chef Alekos Alavanos und "Drachme" mit dem Ökonomen Theodor Katsanevas. Beide wollen die Drachme wieder einführen. Katsanevas will, dass alle Mittelmeeranrainerstaaten aus der Eurozone ausscheiden, Alavanos verlangt die Einstellung des Schuldendienstes, also den Staatsbankrott.

An Beppe Grillos Bewegung lassen sich viele Elemente festmachen, die Politologen als typisch für Populismus betrachten. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: REUTERS

Nicht viel weniger heftig schüttelte in Italien der Wahlerfolg der Fünf-Sterne-Bewegung des früheren Komikers Beppe Grillo das Parteiensystem durcheinander. Jeder vierte Wähler stimmte im Februar 2013 für die "Grillini". An Grillos Bewegung lassen sich viele Elemente festmachen, die Politologen als typisch für Populismus betrachten: Eine Grundhaltung der kompromisslosen Opposition, in der solche Anti-Parteien in der Regel besser gedeihen als in Regierungsverantwortung, die zu Kompromissen zwingt. Die Grillini fordern eine Art Internet-Demokratie, die herkömmliche Berufspolitik unnötig machen soll. Sie wollen über den Austritt aus der Eurozone und der EU abstimmen lassen und die von der Troika auferlegte Sparpolitik beenden. Da Grillo jede Regierungsbeteiligung von vornherein ausschließt, muss er sich auch nicht an der Umsetzbarkeit der Forderungen messen lassen. Grillo selbst inszeniert sich als radikal anders als die etablierten Berufspolitiker - er nennt sie wenig zimperlich "Arschgesichter".

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