
Vor einem „Deutschen Sonderweg“ zu warnen, gehört nicht nur unter Historikern hierzulande zum guten Ton. Derzeit ist Deutschland jedoch in einer Hinsicht durchaus auf einem demokratischen Sonderweg, der es fast einzigartig in Europa macht: In Deutschlands Parteienspektrum fehlt weitgehend, was man gemeinhin als „populistische“ Parteien bezeichnet. Politische Bewegungen, die sich als Anti-Parteien, als radikaloppositionelle Gegenkräfte zur etablierten politischen Klasse verstehen, sind in fast allen westlichen Staaten tief ins parlamentarische Getriebe eingedrungen. In den meisten europäischen Ländern haben solche Protestparteien gerade in den Jahren der Schuldenkrise starken Zulauf erhalten, sie feiern Wahlerfolge und bringen die etablierten Parteien und parlamentarischen Machtverhältnisse in Bewegung. Auch als radikale Opposition beeinflussen sie allein durch ihre Konkurrenzfähigkeit bei Wahlen die Politik der Regierenden.
In einigen Ländern der EU sind neue Parteien entstanden, die sich kaum in hergebrachte politische Schemen von Rechts und Links einordnen lassen. Was sie gemeinsam haben: Harte Töne gegen die Europäische Union und die von den bisherigen Regierungen praktizierte Euro-Rettungspolitik. Der Euro und die europäische Integration sind das übergreifende Großprojekt der politischen Eliten in Europa. Daher ist die Kritik daran auch der programmatische Kern vieler politischer Bewegungen gegen die etablierten Parteien. "Populisten machen sich da breit, wo zwischen politische Eliten und Massenmeinung eine Kluft besteht", sagt der politische Analyst Ulrich Speck. Diese Kluft ist derzeit in vielen Ländern der Euro.





Der Zorn der Anti-Parteien in den südeuropäischen Krisenländern richtet sich vor allem gegen die Zumutungen der von Brüssel oktroyierten Reformen, die als Fremdbestimmung empfunden werden. Am größten sind deren Erfolge in Griechenland. Die linksradikale Syriza-Partei mit dem jungen Globalisierungskritiker Alexis Tsipras wurde bei den Wahlen im Juni 2012 mit 26,9 Prozent zweitstärkste Partei (2004 kam sie kaum über 3 Prozent). Ihr Markenzeichen ist die totale Gegnerschaft zu allen Reformforderungen der Troika. "Sparpolitik ist keine Lösung in der Krise. Sparpolitik ist die Krise", schreibt Tsipras im "Neuen Deutschland".
Zugleich zogen erstmals die radikalnationalistische "Chrysi Avgi", die durch laute Reparationsforderungen an Deutschland profilierte "Anexartiti Ellines" und die linke "Dimokratiki Aristera" ins Parlament ein. Die etablierten Sozialdemokraten (PASOK) und Konservativen (Nia Demokratia) konnten nicht einmal gemeinsam über 50 Prozent kommen. Zur Regierungsbildung brauchten sie noch die gemäßigten Linken (DIMAR). Nun haben sich im Frühjahr auch noch zwei Anti-Euro-Parteien gegründet, "Plan B" unter dem ehemaligen Syriza-Chef Alekos Alavanos und "Drachme" mit dem Ökonomen Theodor Katsanevas. Beide wollen die Drachme wieder einführen. Katsanevas will, dass alle Mittelmeeranrainerstaaten aus der Eurozone ausscheiden, Alavanos verlangt die Einstellung des Schuldendienstes, also den Staatsbankrott.

Nicht viel weniger heftig schüttelte in Italien der Wahlerfolg der Fünf-Sterne-Bewegung des früheren Komikers Beppe Grillo das Parteiensystem durcheinander. Jeder vierte Wähler stimmte im Februar 2013 für die "Grillini". An Grillos Bewegung lassen sich viele Elemente festmachen, die Politologen als typisch für Populismus betrachten: Eine Grundhaltung der kompromisslosen Opposition, in der solche Anti-Parteien in der Regel besser gedeihen als in Regierungsverantwortung, die zu Kompromissen zwingt. Die Grillini fordern eine Art Internet-Demokratie, die herkömmliche Berufspolitik unnötig machen soll. Sie wollen über den Austritt aus der Eurozone und der EU abstimmen lassen und die von der Troika auferlegte Sparpolitik beenden. Da Grillo jede Regierungsbeteiligung von vornherein ausschließt, muss er sich auch nicht an der Umsetzbarkeit der Forderungen messen lassen. Grillo selbst inszeniert sich als radikal anders als die etablierten Berufspolitiker - er nennt sie wenig zimperlich "Arschgesichter".