Parteitag der Grünen „Mal schauen, was das tolle Programm so reißt“

Die Grünen haben ihr Wahlprogramm einstimmig beschlossen – und sind damit nach links gerückt. Auch der parteiinterne Kritiker Winfried Kretschmann musste kleinbeigeben. Andere Realos legen sich aber schon wieder quer.

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Winfried Kretschmann. Quelle: Reuters

Berlin Ein Delegierter brachte die Stimmung dieses Grünen-Parteitags auf den Punkt: „Es begann mit Sonnenschein, endet mit Sonnenschein, ein gutes Omen.“ Tatsächlich verlief das Treffen der 800 Teilnehmer im Berliner Velodrom überraschend einmütig – trotz der Kritik einiger bekannter Realos am Steuerkonzept der Partei. Die Querschüsse eines Boris Palmers, der seine Parteifreunde vom Podium herab ermahnte, bei den steuerlichen Belastungen nicht zu überziehen, wurden kurzerhand niedergebuht und ausgepfiffen. Dabei vertrat der Tübinger Oberbürgermeister keine andere Position als der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Kretschmann hatte die Unruhe erst in den Parteitag getragen. Seine zahlreichen kritischen Bemerkungen im Vorfeld des Delegiertentreffens genügten, um führende Grüne wie den Spitzenkandidaten Jürgen Trittin auf den Plan zu rufen, um dann klarzustellen, dass die Belastungen der Wirtschaft und der Bürger vertretbar seien. Das Steuerkonzept der Parteispitze wurde denn auch einstimmig beschlossen. Mit Spannung wurde daher die Rede Kretschmanns zum Abschluss des Parteitags erwartet.

Der Stuttgarter Regierungschef gab sich betont versöhnlich. Was blieb ihm auch anderes übrig. Die Sonnenschein-Stimmung auf dem Parteitag wollte er nicht trüben, zumal am gestrigen Samstag Parteichefin Claudia Roth gemeinsam mit SPD-Chef Sigmar Gabriel, der als Gastredner gekommen war, noch einmal das rot-grüne Projekt beschwörten und dafür von den Anwesenden mit stehenden Ovationen bedacht wurden. Die linken Steuererhöher hatten sich damit durchgesetzt. Der Aufstand der Bewahrer der politischen Mitte um Kretschmann war niedergeschlagen.

Mit krummen Formulierungen versuchte Kretschmann sich aus der Kritikerecke herauszumanövrieren. „Wir haben die richtige Balance auf diesem Parteitag dazu gefunden, und darüber bin ich sehr froh“, rief er den Delegierten zu, die seine Worte mit bedächtigem Beifall aufnahmen. Auch Kretschmanns dann doch klares Bekenntnis zu den geplanten Steuererhöhungen gab dem Parteitag das, worauf es in den anstehenden Wahlkampfauseinandersetzungen ankommt: Geschlossenheit.

„Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, und wir schenken den Leuten reinen Wein ein und beschließen eben auch unangenehme Dinge, wie etwa Steuern zu erhöhen“, sagte der Schwabe. Und so kam es auch: Nach dem Kapital Steuern wurde auch das komplette Grünen-Programm für die Bundestagswahl einstimmig beschlossen.


Kretschmann ein Wendehals wie Steinbrück?

Was damit letztlich gewonnen ist, wird sich zeigen. Auch dürfte interessant sein, wie geschlossen die Grünen in den nächsten Wochen bis zur Bundestagswahl wirklich auftreten. Und auch, was es bringt, wenn Kretschmann in seiner Rede vorsichtig versucht, der Wirtschaft mit ihrer Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er sagt: „Natürlich höre ich aus der Wirtschaft, dass sie gar keine Steuererhöhungen wollen.“ Der Staat solle aber zum Beispiel in den Verkehr investieren. „Da brauchen wir einfach mehr Mittel.“ Die Sorgen des Mittelstands dürfte das kaum in Luft auflösen.

Interessant auch, wie sich Sieger und Besiegte des Parteitags nun geben werden. Palmer deutete schon mal auf Twitter an, dass er mit dem Scheitern des Grünen-Programms rechnet: „Mal schauen, was das tolle Programm so reißt“, schreibt er. Und: „Die Zeit wird mir Recht geben!“

Andere Beobachter des Grünen-Treffens in Berlin äußern Zweifel an der Standfestigkeit Kretschmanns. Der Ministerpräsident scheint „genau wie Steinbrück ein Wendehals hinsichtlich seiner eigenen Überzeugungen zu sein“, schreibt einer bei Twitter. Ganz von der Hand zu weisen, ist diese Einschätzung wirklich nicht. Und Kretschmann muss jetzt mit dieser Wirkung seiner Querschüsse leben.

Einen Anfang machte er beim Parteitag. Leichte Selbstkritik klang an, als er von Kontroversen sprach, die „taktisch nicht klug“ seien. „Das habe ich ja jetzt oft genug gehört, dass es jetzt taktisch nicht so klug war, was ich da gemacht habe in der Steuerfrage“, sagte er. Doch die Grünen täuschten eben keine Geschlossenheit vor. Sie stritten und stellten dann Geschlossenheit her. „Das ist das Entscheidende.“

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