Parteitag CDU verliert Gesicht - und ihre Wählerschicht

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Die Heimatvertriebenen der CDU

Konservative Kreise fürchten, das Erbe der CDU-Vorzeigemänner Konrad Adenauer (r) und Ludwig Erhard werde aufs Spiel gesetzt. Quelle: dpa/dpaweb

Doch das gilt nicht mehr. „Frühere CDU-Wähler haben sich in das Nirwana des Nichtwählerlagers verabschiedet“, hat GMS-Mann Jung festgestellt. Ein Drittel derjenigen, die 2009 bei der Bundestagswahl ihr Kreuzchen bei den Schwarzen machten, würde dies derzeit nicht wieder tun, ermittelte TNS Emnid. „Erstmals sind Nichtwähler für die CDU ein Problem“, konstatiert Meinungsforscher Schöppner.

Werner Münch ist das Musterbeispiel. „Zu Hause bleiben kommt für einen gut erzogenen Staatsbürger und Demokraten nicht infrage“, erzählt der frühere Politikprofessor. Sein Rezept: „Man stimmt für einen guten Wahlkreiskandidaten, aber man gibt eben nicht mehr der CDU die Zweitstimme.“ Was Münch aus dem Kreis frustrierter Konservativer heraushebt, ist seine Vergangenheit. Der heute 71-Jährige war Finanzminister und Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Im Februar 2009 trat er aus der CDU aus – nach 38 Jahren.

"Stark enttäuschtes, zorniges Lager"

"Es gibt ein stark enttäuschtes, verbittertes, zorniges Lager“, grummelt Münch. Die „Heimatvertriebenen der CDU“ nennt er sie. Für ihn führte die Familien- und Forschungspolitik zum Bruch mit der politischen Heimat. „Was ist aus der Partei des Schutzes für das Leben und für die Familie geworden“, fragt der aktive Katholik. Eine Relativierung von Ehe und Familie wirft er seiner Ex-Partei ebenso vor wie die Kursänderungen bei der Stammzellforschung. Mit seinem Austritt wollte er ein Zeichen setzen, eine Debatte auslösen – vergeblich. Anerkennung und Respekt bekam er in zahlreichen Zuschriften, auch von Bundestagsabgeordneten und einem aktiven Staatssekretär. Aber aus der Parteizentrale meldete sich niemand.

Gerade konservative Wähler wollen eine feste Grundorientierung. Der schnelle Paradigmenwechsel der Union hat sie verunsichert. „Eine Partei darf nicht alle Anker über Bord werfen, sondern braucht heute ein Sowohl-als-Auch“, sagt Wahlforscher Schöppner. Chancen für Unternehmen und soziale Verantwortung; Eliteförderung und Hilfe für Benachteiligte. Doch die Christdemokraten lassen ihrer Klientel keine Zeit zur Anpassung an die sich verändernde Gesellschaft. „Die CDU schlägt eine Volte nach der anderen.“

Geradezu klassisch demonstrierte die CDU ihr Glaubwürdigkeitsproblem kurz vor dem Parteitag. Die Antragskommission präsentierte für die Delegierten einen Beschlussvorschlag, der eine flächendeckende Lohnuntergrenze für alle Branchen vorsah. Selbst die Lohnhöhe steht indirekt im Antrag, denn künftig sollten sich die Einstiegsgehälter an der Zeitarbeitsbranche orientieren, also bei rund sieben Euro liegen. Empörung im Wirtschaftsflügel war die Folge.

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