Denn Mittelständler wie der CDU-Wirtschaftsrat weisen unablässig darauf hin, dass es den „vermeintlichen Skandal massenhafter Armutslöhne“ (Wirtschaftsrat-Generalsekretär Wolfgang Steiger) gar nicht gebe: Zwar müssen 1,3 Millionen Arbeitnehmer aufstocken, bekommen also einen Zuschuss vom Arbeitsamt, damit das Geld für den Lebensunterhalt reicht. Im Detail sehen die Zahlen freilich anders aus. Nach Daten der Bundesagentur für Arbeit können gerade 11 500 alleinstehende Vollzeitbeschäftigte das Existenzminimum nicht mit ihrem Arbeitslohn decken. Bei allen anderen Aufstockern ist es logisch, dass der Lohn nicht für den Lebensunterhalt reicht: Drei Viertel haben nur einen Mini- oder Teilzeitjob, viele müssen zudem Angehörige versorgen. Ein Vollzeit arbeitender, verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern müsste einen Stundenlohn von 14 Euro erzielen, um ohne Zuschuss vom Staat auszukommen. „Das fordert nicht einmal die Linke“, sagt Steiger.
Dennoch hat der Wirtschaftsrat seinen Frieden mit dem Parteitagsvorschlag gemacht, sofern der Bezug auf die Lohnhöhe in der Zeitarbeit wegfällt. Steigers Begründung: „Es darf in unserem Land nicht sein, dass der Einzelne für sich nicht von seiner Arbeit leben kann. Das hält unsere Gesellschaft nicht aus. Das muss auch der Wirtschaftsrat akzeptieren.“ Solange nicht der Staat, sondern die Tarifvertragsparteien die Lohnhöhe festsetzen (und sei es auch vom Staat erzwungen), sei das noch keine Abkehr von der Marktwirtschaft. Bei Ludwig Erhard hätten „ökonomische Effizienz und soziale Gerechtigkeit“ zusammengehört.
Das wäre also – bei guter Vermittlung – so ein Sowohl-als-Auch. Aber in Steigers Organisation ist das bisher nicht angekommen. Allein von Mai bis September stieg die Zahl jener, die mit der Politik der CDU unzufrieden sind, von 56 auf rekordverdächtige 68 Prozent, ergab eine Umfrage unter 2700 Mitgliedern, im wesentlichen Vertreter von großen Unternehmen. Deshalb warnt Steiger: „Die CDU muss aufpassen, dass die Wirtschaftspolitik als Markenkern nicht verschwimmt. Sie beantwortet nicht jede Frage im Sinne Ludwig Erhards.“ Der Konvent in Leipzig dürfe deshalb „keine sozialdemokratische Nummer werden. Der Wähler muss ja auch Auswahl haben.“