Die SPD riskiert mit der Forderung nach einer Vermögensteuer und dem langfristigen Aus für die Schuldenbremse ein neues Zerwürfnis mit der Union. Zugleich ging Außenminister Heiko Maas am Sonntag auf dem SPD-Parteitag in Berlin klar auf Distanz zu Verteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die neuen Parteichefs lobten dennoch, die Sozialdemokraten definierten ihre Stärke nicht am politischen Gegner. Einen Wettlauf gewinne man nicht, indem man anderen einen Stock zwischen die Beine halte, sondern indem man selbst schneller und besser sei.
Den Parteitag werteten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als Signal der innerparteilichen Solidarität und des Aufbruchs. „Es gibt da draußen Leute, die wollen, dass wir uns auseinandertreiben lassen, die wollen, dass es uns zerreißt - den Gefallen tun wir ihnen nicht“, betonte Esken. Walter-Borjans würdigte Vizekanzler Olaf Scholz und den früheren Parteivize Ralf Stegner, die nach dem verlorenen Wettstreit um den Parteivorsitz beide nun auch nicht mehr im Parteivorstand sitzen. Ihr Engagement für die SPD dürfe nicht enden. „Und euer Herzblut für die Sozialdemokratie, das wird auch nicht enden“, betonte der neue Parteichef. „Wir setzen auf euch.“
In den kommenden Tagen wollen die neuen SPD-Chefs erste Gespräche mit CDU und CSU suchen. Dabei dürften die finanzpolitischen Beschlüsse des Parteitags nicht gerade befriedend wirken. So will die SPD, dass besonders reiche Bürger mit einem Nettovermögen ab zwei Millionen Euro wieder mehr Steuern zahlen. Je nach Vermögen sollen ein bis zwei Prozent anfallen. Die hohen Freibeträge sorgten dafür, dass „nur wirklich Reiche zahlen müssen“, hieß es. Die Sozialdemokraten rechnen damit, dass eine Vermögensteuer von einem Prozent für alle Bürger mit mehr als zwei Millionen Euro Nettovermögen dem Bund im Jahr rund neun Milliarden Euro einbringen würde.
Es gehe bei der Vermögensteuer nicht um Geld, sondern um Freiheit und Solidarität, betonte der Bundestagsabgeordnete Lothar Binding auf dem Parteitag. Auch in der Vergangenheit gab es in Deutschland bereits eine Vermögensteuer. Die damalige Form wurde 1995 allerdings wegen einer unterschiedlichen Bewertung von Vermögensgegenständen für verfassungswidrig erklärt. Noch 2017 hatte die SPD darauf verzichtet, eine Forderung nach Wiedereinführung in ihr Wahlprogramm aufzunehmen.
Die Sozialdemokraten verlangen nun außerdem, dass die Schuldenbremse „in ihrer derzeitigen Form perspektivisch“ überwunden wird, um mehr Investitionen zu ermöglichen. Walter-Borjans forderte sogar ein Ende der Schuldenbremse im Grundgesetz.
Für die Union gelten beide Vorhaben als rote Linien. Es gebe keinen Anlass, an der Schuldenbremse im Grundgesetz zu rütteln, sagte CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, betonte in der „FAS“, die Forderung nach einer Grundgesetzänderung zur Abschaffung der Schuldenbremse sei „vollkommen abwegig“.
Das hat die SPD auf ihrem Parteitag beschlossen
Ein schneller Ausstieg aus der Koalition ist nicht das Ziel. Mit der Union soll es Gespräche über neue Vorhaben geben – später soll der Parteivorstand entscheiden, ob dies reicht.
Die SPD will, dass besonders reiche Bürger wieder mehr Steuern zahlen. Dafür soll erneut eine Vermögensteuer eingeführt werden. Zugleich beschlossen die Delegierten, dass die Schuldenbremse in ihrer derzeitigen Form perspektivisch überwunden werden soll, um mehr Investitionen zu ermöglichen. Die CDU lehnt dies strikt ab.
Die SPD fordert einen „sozial gerechten und wirksamen“ CO2-Preis auf das Treibhausgas Kohlendioxid.
Erreicht werden sollen mehr öffentliche Investitionen in den Bereichen Bildung, Verkehr, Kommunikation und Klimaschutz. Unrealistisch sei es, 450 Milliarden Euro über die kommenden zehn Jahre nur durch Umschichtung im Etat zu finanzieren.
Arbeitslose sollen länger ALG I beziehen können. Bei mindestens 20 Jahren Beitragszeit soll sich der Anspruch um 3 Monate, ab 25 Jahren um 6 Monate und ab 30 Jahren um 9 Monate erhöhen. Länger kann Arbeitslosengeld bei einer Weiterbildungsmaßnahme gezahlt werden – und zwar als Arbeitslosengeld Q maximal 36 Monaten lang. Heute besteht ein Anspruch auf höchstens 24 Monate Arbeitslosengeld ab einem Alter von 58.
Die Grundsicherung soll künftig Bürgergeld heißen. In einem ersten Schritt soll ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden: Die Jobcenter sollen die monatlichen Leistungen nicht stärker als um 30 Prozent kürzen. Das „sozioökonomische und soziokulturelle Existenzminium“ soll laut SPD-Beschluss gewahrt bleiben müssen. Strengere Sanktionen für unter 25-Jährige und Kürzungen von Wohnkosten sollen abgeschafft werden. Bei allen, die aus dem Bezug von ALG I kommen, soll für zwei Jahre Vermögen und die Wohnungsgröße nicht überprüft werden. Wer Bürgergeld erhält, soll ein Recht auf Förderung des Nachholens eines Berufsabschlusses bekommen.
Ein Recht auf mobiles Arbeiten und Homeoffice soll gesetzlich verankert werden. Mehr Gestaltungsfreiheit im Lebensverlauf sollen Zeitkonten für jeden bringen - darauf soll Zeit eingezahlt werden können.
Soll perspektivisch auf 12 Euro angehoben werden. Dafür soll das Mindestlohngesetz 2020 weiterentwickelt werden. Die öffentliche Hand sollte bei der Auftragsvergabe mit gutem Beispiel vorangehen.
Eine Bürgerversicherung soll den Unterschied zwischen privat und gesetzlich Versicherten in der Pflege beenden und helfen, die Eigenanteile längerfristig abzuschaffen. Das Ziel: eine Vollversicherung. Pflege, die nur aus medizinischen Gründen erfolgt, soll künftig vollständig von der Krankenversicherung bezahlt werden.
Langfristig soll das Rentenniveau stabilisiert werden. Eine weitere Erhöhung der Regelaltersgrenze soll es nicht geben - aber konkrete Schritte zur Einführung einer Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen.
Hartz IV für Kinder soll abgeschafft werden. Familienleistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag, Hartz IV für Kinder und Teilhabeleistungen sollen zusammengefasst werden. Für jedes Kind in Deutschland soll es ein neues Kindergeld von mindestens 250 Euro pro Monat geben. Bei Familien mit geringem Einkommen soll das Kindergeld auf bis zu 400 Euro für Kinder bis 6 Jahren, 458 Euro für 6- bis 13-Jährige und 478 Euro für Jugendliche ab 14 anwachsen können. Für gebührenpflichtige Angebote wie Sportvereine, Schwimmbäder oder Musikschulen soll es höhere Zuschüsse geben.
Die SPD will die Mieten in beliebten Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt für fünf Jahre so gut wie einfrieren. Erhöhungen sollen maximal in Höhe der Inflationsrate möglich sein.
Die SPD fordert, dass Mindestabstände für Windenergieanlagen so ausgestaltet sein müssen, dass sie technisch und rechtlich herleitbar seien - „und die Erreichung des 65-Prozent-Ziels für Erneuerbare Energien nicht gefährdet wird“. Pauschale überzogene Mindestabstände seien „nicht geeignet“, nötige Flächen für die Windenergie zur Verfügung zu stellen. Hintergrund ist ein Entwurf für ein Kohleausstiegsgesetz des Wirtschaftsministeriums. Demnach soll ein Mindestabstand von 1000 Metern von Windrädern zur Wohnbebauung schon bei mehr als fünf Häusern greifen.
Die SPD will den Datenschutz im Internet verbessern. Sie spricht sich für eine „Datenteilungspflicht für marktbeherrschende Unternehmen auf datengetriebenen Märkten“ aus. Der Staat mit seiner Verwaltung soll mit gutem Beispiel vorangehen und einen breiteren Datenzugang im Sinne von Open-Data ermöglichen.
Unions-Haushälter Eckhardt Rehberg sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir brauchen keine Schulden, um unsere Vorhaben zu finanzieren.“ Es stünden mehrere Milliarden Euro für die Sanierung von Schulen, den Kitaausbau, Digitalisierung und Klimaschutz bereit. Doch in den Ländern seien im vergangenen Jahr zehn Prozent, in den Kommunen sogar 30 Prozent der Investitionsmittel nicht abgerufen worden. „Wir haben bei den Investitionen kein Finanzierungsproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“
Außenminister Maas ging in einem anderen Thema auf Konfrontationskurs zur Union: Er kritisierte die von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer entfachte Debatte über eine stärkere Rolle der Bundeswehr. Militärisch Frieden zu schaffen, funktioniere nicht, sagte Maas. „Wir übernehmen Verantwortung. Aber wir übernehmen Verantwortung, verdammt nochmal, wenn es darum geht, am Verhandlungstisch nachhaltig Frieden zu sichern“, betonte Maas. „Denn Frieden wird dort gesichert und nicht auf den Schlachtfeldern dieser Welt.“ Kramp-Karrenbauer hatte im November gefordert, dass Deutschland gemeinsam mit seinen Partnern mehr Verantwortung übernehme und die Möglichkeit von Bundeswehreinsätzen in Asien angedeutet.