Paul Krugman "Ich habe die Leidensfähigkeit der Europäer unterschätzt"

Paul Krugman: Der Nobelpreisträger war der Stargast der Handelsblatt-Tagung. Quelle: Marc-Steffen Unger für Handelsblatt

Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman sieht die Weltwirtschaft auf Kurs. Für die nächste Krise sei sie aber schlecht vorbereitet.

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Hätte Paul Krugman mit seinen düsteren Prognosen über den wirtschaftlichen Niedergang Europas nach der Finanzkrise 2008 richtiggelegen, wäre seine erste Botschaft bei seinem Besuch in Berlin vermutlich gewesen: „Ich hatte recht.“ So aber kam der amerikanische Nobelpreisträger zum Handelsblatt Business Strategy Day und musste einräumen: „Ökonomisch lag ich richtig, doch ich habe die Leidensfähigkeit der Europäer unterschätzt.“

Europa steht wirtschaftlich gut da, daran wollte auch Krugman nicht rütteln. Mit einem Wachstum von zuletzt 2,5 Prozent hatte Europa sogar die Nase vor den USA. Der Ökonom wies die rund 250 Zuhörer aber auf die Kosten der wirtschaftlichen Erholung hin: „Spanien hat eine schreckliche Krise mit hoher Arbeitslosigkeit hinter sich.

Das hat viel menschliches Leid mit sich gebracht“, sagte der Amerikaner. Dass es den Europäern dennoch gelungen ist, die Krise weitgehend abzuschütteln, ist nach Meinung von Krugman vor allem EZB-Chef Mario Draghi und seinem Versprechen zu verdanken, den Euro unter allen Umständen zu retten.

Der als Mahner bekannte Wirtschaftsnobelpreisträger zeigte sich insgesamt überraschend optimistisch über die weitere Entwicklung der globalen Wirtschaft. Die USA stünden am Rande der Vollbeschäftigung, Europa sei inzwischen wirtschaftlich eine „Erfolgsgeschichte“ und selbst Japan habe seine Stagnationsphase vorbildlich gemanagt.

Krugman wäre aber nicht Krugman, wenn er nicht doch ein Haar in der dampfenden Suppe der Weltwirtschaft finden würde: „Uns geht es gut. Aber wenn etwas schiefgehen sollte, sind wir darauf sehr schlecht vorbereitet“, warnte der Wirtschaftsprofessor von der Eliteuniversität Princeton.

Die Leitzinsen der großen Notenbanken seien immer noch sehr niedrig und die Fiskalpolitik spiele fast nirgendwo eine konstruktive Rolle, kritisierte Krugman. Hinzu komme, dass im Westen niemand eine globale Führungsrolle übernehmen wolle: „Europa scheint wie immer führungslos, und in den USA haben wir einen Präsidenten, der nicht führen kann.“ Das seien alles keine guten Vorzeichen, um der nächsten Krise zu begegnen. „Und irgendwann wird wieder etwas schiefgehen“, warnte er.

Donald Trumps Steuerreform hält Krugman für einen Fehlschuss. „Es geht vor allem darum, die reichen Spender aus der Wirtschaft zu belohnen“, sagte er. Die massiven Steuersenkungen für Unternehmen würden sicher Kapital in die USA zurücklocken. Aber angesichts der bereits boomenden US-Wirtschaft rechnet er nicht mit einem enormen Wachstumsschub.

Dass die Steuersenkungen Amerika an den Rand des Staatbankrotts führen werden, glaubt Krugman allerdings nicht. „Ich rechne damit, dass sich dadurch die Schuldenquote (Anteil der Staatsschuld am Bruttoinlandsprodukt) allenfalls um fünf bis sieben Punkte erhöht“, sagte er.

Entspannt reagierte Krugman auf das jüngste Säbelrasseln der Trump-Regierung an der Handelsfront. Der amerikanische Präsident hatte kürzlich Strafzölle gegen Importe von Solarzellen und Waschmaschinen verhängt und Ende vergangener Woche neue protektionistische Maßnahmen gegen Stahl- und Aluminiumimporte angekündigt.

Zudem hat Trump damit gedroht, das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta platzen zu lassen. „Ich glaube dennoch nicht, dass es zu einem Handelskrieg kommt“, sagte Krugman. „Der Präsident kann in Handelsfragen nicht im Alleingang vorgehen.“ Tatsächlich besitzt der amerikanische Kongress in Handelsfragen umfangreiche Mitspracherechte.

Zudem habe die US-Wirtschaft massiv in die Globalisierung investiert und kein Interesse an intensiven Streitigkeiten. Außerdem: „Amerika ist militärisch vielleicht noch eine Supermacht. In Handelsfragen sind die USA aber nicht annähernd so mächtig.“

Krugman glaubt deshalb auch nicht, dass Trump als Nächstes die massiven Handelsüberschüsse Deutschlands mit den USA ins Visier nehmen wird. „Wenn man sich die Zahlen anschaut, müsste Deutschland eigentlich der Feind Nimmer eins sein“, sagte der Ökonom. Tatsächlich hat die deutsche Wirtschaft mit einem Leistungsbilanzplus von rund acht Prozent die höchsten Überschüsse weltweit.

Das habe vor allem strukturelle Gründe, erklärte Krugman. Die hohe Sparquote einer alternden Bevölkerung, die traditionelle Lohnzurückhaltung und die zu geringen öffentlichen Investitionen seien dafür verantwortlich. Abhilfe könnte nach Meinung des Volkswirts am ehesten die Fiskalpolitik mit höheren Investitionen in die Infrastruktur schaffen.

„Deutschland sollte hier europäisch denken und erkennen, dass es auf dem Kontinent sehr wohl einen großen Investitionsbedarf gibt“, mahnte der überzeugte Keynesianer.

Für überzogen hält Krugman die Inflationsängste in Deutschland. „Inflationsraten von drei bis vier Prozent sind keineswegs ungewöhnlich für eine Volkswirtschaft“, sagte er. Außerdem habe er große Zweifel, dass die EZB die Preissteigerung wieder auf die in ihrem Mandat vorgeschriebene Zwei-Prozent-Marke bringen könne. Im Moment liegt die Inflation in der Euro-Zone bei etwa 1,3 Prozent.

Nach einer guten Stunde hatte Krugman die Quadratur des Kreises geschafft: Er hatte seinen Irrtum über Europa eingeräumt, aber doch irgendwie recht behalten. Er war optimistisch, aber warnte vor neuen Risiken. Und er hatte Deutschland gemahnt, aber vor allem gelobt.

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