
Schwere Führungskrise bei Pegida: Die Sprecherin der islamkritischen Bewegung, Kathrin Oertel, und vier weitere Mitglieder des Organisationsteams haben ihre Ämter niedergelegt. Das bestätigte das Bündnis am Mittwoch auf seiner Internetseite.
„Kathrin hat vorerst ihr Amt als Pressesprecherin niedergelegt“, teilte Pegida mit und sprach von einer „Auszeit“ wegen massiver Anfeindungen, Drohungen und beruflicher Nachteile. Weiter hieß es, der frühere CDU-Stadtrat von Meißen, Thomas Tallacker, habe in letzter Zeit wegen der Presseberichterstattung berufliche Nachteile gehabt. In einer Sondersitzung soll in den nächsten Tagen ein neuer Vorstand gewählt werden.
Oertel soll bedroht worden sein
Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann sagte der „Süddeutschen Zeitung“, Oertel sei zurückgetreten, weil sie aus Antifa-Kreisen massiv bedroht worden sei. Weder Oertel noch er stünden künftig für Vorstandsposten zur Verfügung. Bachmann war vor einer Woche wegen ausländerfeindlicher Facebook-Posts als Vereinschef zurückgetreten. Darin machte er abfällige Bemerkungen über Ausländer - zudem tauchte ein Foto von ihm in Hitler-Pose auf.
Die Köpfe der Pegida-Bewegung
Wer sind die Köpfe und Wortführer der islamfeindlichen Pegida-Demonstrationen in Dresden und anderswo? Einige Beispiele:
Sie war die einzige Frau im zwölfköpfigen Organisationsteam von Pegida Dresden, die öffentlich in Erscheinung trat. Laut Medienberichten ist sie 37 Jahre alt und arbeitet als Wirtschaftsberaterin. Zuletzt fungierte sie als Pegida-Sprecherin und Schatzmeisterin – und trat als Gesicht von Pegida bei Günther Jauch auf. In ihren Ansprachen schlug Oertel vergleichsweise moderate Töne an, persönliche Angriffe überließ sie anderen. Am 18. Januar wurde bekannt, dass sie von ihren Ämtern zurücktritt. Zur Begründung hieß es, sie sei bedroht worden.
Veranstalter der Kögida-Demo in Köln und Pressesprecher der Pegida NRW, nennt sich „freiheitlich-christlicher Patriot“. Medienberichten zufolge war er Aktivist der „German Defence League“, die islamfeindlich und rechtsextrem ist. Laut Polizei hat er mehrfach Demos mit rechtsradikalen Anliegen angemeldet.
Sie organisierte zuletzt die Bonner „Bogida“-Demos. Medienberichten zufolge war die 36-Jährige im Landesvorstand der NPD-Nachwuchsorganisation „Junge Nationaldemokraten“. Dem „Spiegel“ sagte sie jüngst, es sei für sie unerheblich, ob es den Holocaust gegeben habe. Dittmer sitzt im Vorstand von Pro NRW. Pegida NRW teilte am Dienstag mit, wegen „inhaltlicher Differenzen“ sei die Zusammenarbeit mit Dittmer beendet.
Ex-Journalist und Autor des Bestsellers „Gekaufte Journalisten“, gibt den „Lügenpresse“-Rufern Futter und sieht auch schon seit langem Europa von fanatischen Muslimen bedroht. Schon 2003 erschien dazu sein Buch „Der Krieg in unseren Städten“. In diese Richtung argumentierte auch das Buch „Heiliger Krieg in Europa“.
Er organisiert in Berlin die Bärgida-Bewegung. Der promovierte Ingenieur (60) war 14 Jahre bei der CDU kommunal aktiv, trat 2008 aus und gründete die rechtspopulistische Partei „Die Freiheit“ mit. Die CDU habe zu wenig Distanz zur Linken gezeigt und die Gefahr der muslimischen Parallelgesellschaft in Deutschland nicht erkannt. Die „Freiheit“ verließ Schmitt auch nach einem Jahr.
Er war das Gesicht von „Pegida“ in Dresden: Bachmann rief die Facebook-Gruppe ins Leben, die das islamkritische Bündnis begründete. Er sei kein Rassist, betonte der wegen Diebstahls und Drogendelikten vorbestrafte 41-Jährige stets – doch er musste zurücktreten, da gegen ihn wegen Volksverhetzung ermittelt wird. Zuvor waren ein Foto Bachmanns mit Hitler-Bart und ausländerfeindliche Facebook-Einträge öffentlich geworden.
Auch der Wirtschaftsberater Bernd-Volker Lincke trat aus dem Führungskreis zurück. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Ich kann und will mich mit den Äußerungen von Lutz Bachmann nicht identifizieren.“ Nach seinen Worten steigen auch AfD-Mitglied Achim Exner und Vereinsvize René Jahn aus. Tallacker sagte auf dpa-Anfrage, er wolle sich vor Donnerstag nicht äußern.
Nach Berichten mehrerer Medien wurde bei einer Sitzung des Vereinsvorstands am Dienstagabend über die Rolle Bachmanns diskutiert. Er wolle sich entgegen seiner Ankündigungen offenbar doch nicht ganz aus der Bewegung zurückziehen.
Die nächste Kundgebung in Dresden für diesen Montag, 2. Februar, wurde abgesagt. Das bestätigte ein Sprecher der Stadt Dresden am Mittwochnachmittag. Zu den Gründen wurden keine Angaben gemacht.
An der Pegida-Kundgebung am vergangenen Sonntag nahmen nach Angaben der Polizei 17.300 Menschen teil und damit weniger als bei der Demonstration zwei Wochen zuvor. Gegner der Bewegung setzen darauf, dass sich Pegida allmählich selbst zerlegt und der Zulauf schwindet.
Pegida stürzt ins Chaos
Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke sieht angesichts der schweren Führungskrise bei der islamkritischen Bewegung keine Zukunft für das Bündnis. „Das ist der Anfang vom Ende der Pegida-Bewegung“, sagte Funke am Mittwoch. Derart viel Chaos könne das Bündnis nicht ertragen.
„Man kann keine Bewegung erhalten, die in sich zerstritten ist und nicht weiß, was sie will.“ Funke betonte: „Es spricht viel dafür, dass die Bewegung in dieser Form bald zerfallen wird.“ Die „Feindbildmache“, die Pegida bislang betreibe, könne das Bündnis offenkundig nicht zusammenhalten. „Das Faszinosum ist längst weg.“ Funke wertete die Streitigkeiten an der Pegida-Spitze als positive Entwicklung. „Das ist eine Stunde für die Demokratie und gegen die Ausgrenzung.“
Der Extremismus-Experte Timo Reinfrank hingegen sieht das anders: „Ich glaube noch nicht, dass dies das Aus ist“, sagte der Koordinator der Amadeu-Antonio-Stiftung, die Initiativen gegen Rechtsextremismus unterstützt. Das Bündnis hänge nicht an einzelnen Personen. Mehrere Mitglieder, die sich nun aus der Pegida-Spitze zurückgezogen hätten, seien bislang ohnehin so gut wie gar nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten. Entscheidend sei nun, ob es dem Bündnis gelinge, sich organisatorisch neu aufzustellen, um weitere Demonstrationen zu veranstalten.
Das Vokabular von Pegida
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhundert geläufig, erlebte das Wort um 1940 eine Renaissance. Dahinter standen laut GfdS immer völkische und nationalistische Anliegen, die die staatlich gelenkte „Lügenpresse“ angeblich zu verschleiern versuchte. Aus Sicht der Protestierenden herrscht auch heute keine wirkliche Meinungsvielfalt oder Meinungsfreiheit. Aus ihrer Sicht bestimmen vielmehr Regierung oder System darüber, was veröffentlicht werden darf.
Der Volksverrat findet sich als Straftatbestand erstmals im Nationalsozialismus. Der heutige Gebrauch von „Volksverräter“ zielt nach Angaben der Gesellschaft darauf ab, die gewählten Volksvertreter eben als Verräter an „ihrem“ (sprich: dem deutschen) Volk zu bezeichnen. Vor der Zeit des Nationalsozialismus habe es den Straftatbestand des Hoch- und Landesverrats gegeben. Erst mit dem Wort Volksverrat habe die Straftat aber einen klaren Bezug zur Nationalität erhalten, da mit den bis dahin üblichen Bezeichnungen nicht auf eine völkische oder ethnische Zugehörigkeit Bezug genommen wurde.
Laut Wörterbuch Grimm ist die Bedeutung „westlich gelegenes Land“, zunächst also rein geografisch und ohne Bezug zu einer bestimmten Nation, Kultur oder Religion. Ideologisch besetzt ist das Wort jedoch nach Angaben der Sprachforscher durch das Hauptwerk des Geschichtsphilosophen Oswald Spengler „Der Untergang des Abendlandes“, das klare antidemokratische Züge aufweist. Spengler sah die abendländische Kultur im Untergang begriffen und hielt die freiheitliche Demokratie für ein (unausweichliches) Stadium zum Niedergang.
Im Duden bereits 1929 verzeichnet, 1993 Unwort des Jahres. Auch hier gibt es laut GfdS einen klaren Bezug zur Sprache des Nationalsozialismus. So sprach Joseph Goebbels 1933 von „Überfremdung des deutschen Geisteslebens durch das Judentum“. Heutzutage seien eher andere Gruppen gemeint, das Wort habe sich hartnäckig gehalten.
Ruf bei den Montagsdemonstrationen in der DDR, später abgewandelt zu „Wir sind ein Volk“ - im Hinblick auf die Wiedervereinigung nach dem Mauerfall. Heute von Pegida aufgenommen - genau wie die Tradition der Montagsdemos - zur Abgrenzung gegenüber Zuwanderern, vor allem solchen muslimischen Glaubens.
Reinfrank betonte, keine andere Protestbewegung habe in den vergangenen Jahren derart viel Aufmerksamkeit bekommen und sei derart schnell gewachsen. „Auch die große Mobilisierungskraft der Bewegung in den sozialen Netzwerken sollte man nicht unterschätzen.“ Außerdem seien die Themen, die die Menschen auf die Straße trieben, nicht verschwunden. Reinfrank prognostizierte, vermutlich werde die Pegida-Bewegung nicht weiter wachsen und in Städten jenseits von Dresden wohl eher kleiner werden. In der sächsischen Hauptstadt werde das Bündnis aber wohl eine längerfristige Erscheinung sein.
Nach Ansicht des Dresdner Politikwissenschaftlers Werner J. Patzelt ist Pegida an der konkreten politischen Ausrichtung gescheitert. Es sei nicht ausgeschlossen, dass man sich über die Linie - hart, eher rechtsradikal oder weich, eher AfD-artig - zerstritten habe, sagte er. Die Mitglieder des Organisationsteams seien keine kompetenten politischen Strippenzieher und hätten wohl auch keine Erfahrung darin, wie man Sachkonflikte austrägt ohne sich persönlich zu zerstreiten.
Deutschland
Das Ende der Bewegung müsse das nicht bedeuten. Es werde sich zeigen, ob Pegida tatsächlich im Wesentlichen aus Rassisten, Faschisten oder Neonazis bestehe. „Mir scheint, dass viele nur unter der Bedingung ihre eigenen Besorgnisse an Pegida angehängt haben, dass nicht Rechtsextremisten die Sache übernehmen“, sagte Patzelt. So habe man kollektiv Empörung über dieses und jenes ausdrücken können, ohne gleich als Extremist zu gelten.
Wenn sich nun die Nicht-Extremisten aus dem Orgateam zurückzögen, gebe es für die Vernünftigeren keinen guten Grund mehr, zu Pegida zu gehen. „Damit reduziert sich die Bewegung auf den Kern derer, die tatsächlich rechtsradikal sind“, so Patzelt.