Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke sieht angesichts der schweren Führungskrise bei der islamkritischen Bewegung keine Zukunft für das Bündnis. „Das ist der Anfang vom Ende der Pegida-Bewegung“, sagte Funke am Mittwoch. Derart viel Chaos könne das Bündnis nicht ertragen.
„Man kann keine Bewegung erhalten, die in sich zerstritten ist und nicht weiß, was sie will.“ Funke betonte: „Es spricht viel dafür, dass die Bewegung in dieser Form bald zerfallen wird.“ Die „Feindbildmache“, die Pegida bislang betreibe, könne das Bündnis offenkundig nicht zusammenhalten. „Das Faszinosum ist längst weg.“ Funke wertete die Streitigkeiten an der Pegida-Spitze als positive Entwicklung. „Das ist eine Stunde für die Demokratie und gegen die Ausgrenzung.“
Der Extremismus-Experte Timo Reinfrank hingegen sieht das anders: „Ich glaube noch nicht, dass dies das Aus ist“, sagte der Koordinator der Amadeu-Antonio-Stiftung, die Initiativen gegen Rechtsextremismus unterstützt. Das Bündnis hänge nicht an einzelnen Personen. Mehrere Mitglieder, die sich nun aus der Pegida-Spitze zurückgezogen hätten, seien bislang ohnehin so gut wie gar nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten. Entscheidend sei nun, ob es dem Bündnis gelinge, sich organisatorisch neu aufzustellen, um weitere Demonstrationen zu veranstalten.
Das Vokabular von Pegida
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhundert geläufig, erlebte das Wort um 1940 eine Renaissance. Dahinter standen laut GfdS immer völkische und nationalistische Anliegen, die die staatlich gelenkte „Lügenpresse“ angeblich zu verschleiern versuchte. Aus Sicht der Protestierenden herrscht auch heute keine wirkliche Meinungsvielfalt oder Meinungsfreiheit. Aus ihrer Sicht bestimmen vielmehr Regierung oder System darüber, was veröffentlicht werden darf.
Der Volksverrat findet sich als Straftatbestand erstmals im Nationalsozialismus. Der heutige Gebrauch von „Volksverräter“ zielt nach Angaben der Gesellschaft darauf ab, die gewählten Volksvertreter eben als Verräter an „ihrem“ (sprich: dem deutschen) Volk zu bezeichnen. Vor der Zeit des Nationalsozialismus habe es den Straftatbestand des Hoch- und Landesverrats gegeben. Erst mit dem Wort Volksverrat habe die Straftat aber einen klaren Bezug zur Nationalität erhalten, da mit den bis dahin üblichen Bezeichnungen nicht auf eine völkische oder ethnische Zugehörigkeit Bezug genommen wurde.
Laut Wörterbuch Grimm ist die Bedeutung „westlich gelegenes Land“, zunächst also rein geografisch und ohne Bezug zu einer bestimmten Nation, Kultur oder Religion. Ideologisch besetzt ist das Wort jedoch nach Angaben der Sprachforscher durch das Hauptwerk des Geschichtsphilosophen Oswald Spengler „Der Untergang des Abendlandes“, das klare antidemokratische Züge aufweist. Spengler sah die abendländische Kultur im Untergang begriffen und hielt die freiheitliche Demokratie für ein (unausweichliches) Stadium zum Niedergang.
Im Duden bereits 1929 verzeichnet, 1993 Unwort des Jahres. Auch hier gibt es laut GfdS einen klaren Bezug zur Sprache des Nationalsozialismus. So sprach Joseph Goebbels 1933 von „Überfremdung des deutschen Geisteslebens durch das Judentum“. Heutzutage seien eher andere Gruppen gemeint, das Wort habe sich hartnäckig gehalten.
Ruf bei den Montagsdemonstrationen in der DDR, später abgewandelt zu „Wir sind ein Volk“ - im Hinblick auf die Wiedervereinigung nach dem Mauerfall. Heute von Pegida aufgenommen - genau wie die Tradition der Montagsdemos - zur Abgrenzung gegenüber Zuwanderern, vor allem solchen muslimischen Glaubens.
Reinfrank betonte, keine andere Protestbewegung habe in den vergangenen Jahren derart viel Aufmerksamkeit bekommen und sei derart schnell gewachsen. „Auch die große Mobilisierungskraft der Bewegung in den sozialen Netzwerken sollte man nicht unterschätzen.“ Außerdem seien die Themen, die die Menschen auf die Straße trieben, nicht verschwunden. Reinfrank prognostizierte, vermutlich werde die Pegida-Bewegung nicht weiter wachsen und in Städten jenseits von Dresden wohl eher kleiner werden. In der sächsischen Hauptstadt werde das Bündnis aber wohl eine längerfristige Erscheinung sein.
Nach Ansicht des Dresdner Politikwissenschaftlers Werner J. Patzelt ist Pegida an der konkreten politischen Ausrichtung gescheitert. Es sei nicht ausgeschlossen, dass man sich über die Linie - hart, eher rechtsradikal oder weich, eher AfD-artig - zerstritten habe, sagte er. Die Mitglieder des Organisationsteams seien keine kompetenten politischen Strippenzieher und hätten wohl auch keine Erfahrung darin, wie man Sachkonflikte austrägt ohne sich persönlich zu zerstreiten.
Deutschland
Das Ende der Bewegung müsse das nicht bedeuten. Es werde sich zeigen, ob Pegida tatsächlich im Wesentlichen aus Rassisten, Faschisten oder Neonazis bestehe. „Mir scheint, dass viele nur unter der Bedingung ihre eigenen Besorgnisse an Pegida angehängt haben, dass nicht Rechtsextremisten die Sache übernehmen“, sagte Patzelt. So habe man kollektiv Empörung über dieses und jenes ausdrücken können, ohne gleich als Extremist zu gelten.
Wenn sich nun die Nicht-Extremisten aus dem Orgateam zurückzögen, gebe es für die Vernünftigeren keinen guten Grund mehr, zu Pegida zu gehen. „Damit reduziert sich die Bewegung auf den Kern derer, die tatsächlich rechtsradikal sind“, so Patzelt.