Personalberaterin Arlt-Palmer über die CDU: "Große Ideen zu diskutieren, wurde verlernt"

In der CDU und anderen Parteien fehlen Menschen, die grundsätzliche Fragen stellen. Die Personalberaterin Christine Arlt-Palmer über verstörende Parteirituale, vernachlässigten Nachwuchs und das Mysterium im Kanzleramt.

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Keine Euphorie für Merkel: Christine Arlt-Palmer kritisierte offen die Parteivorsitzende. Quelle: imago images

WirtschaftsWoche: Sie waren auf dem Bundesparteitag der CDU in Essen eine der wenigen, die offen vor dem Plenum die Parteivorsitzende kritisierten. Sie könnten, so sagten sie Ihren Parteifreunden „die Euphorie leider nicht teilen". Es gab so gut wie keinen Applaus, manch einer blickte betreten auf den Fußboden. Haben Sie danach Reaktionen erfahren?
Christine Arlt-Palmer: Ja, sehr unterschiedliche. Die äußerste Form der Kritik war die demonstrative Nicht-Reaktion, das gab es natürlich auch. Aber es gab auch viel Zustimmung später in den Wandelgängen.  Auffallend viele lobten meinen Mut.

Christine Arlt-Palmer ist Partnerin der Personalberatung Board Consultants International. Sie war Stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union Deutschlands, Vorstandsmitglied der CDU Baden-Württemberg und 15 Jahre Abgeordnete im Regionalparlament der Region Stuttgart. Quelle: Presse

Auch prominentere Parteimitglieder?
Der eine oder andere große Name war dabei, die mich beglückwünschten. Gefreut habe ich mich über die Zustimmung, die ich über E-Mail quer durch die Republik bekommen habe, von Parteimitgliedern, aber auch außerhalb der Partei. Die Euphorie, die das lange Klatschen nach Merkels Rede vermitteln sollte, hat mit der wirklichen Stimmung in der Partei wohl weniger zu tun. Ich bin mir sehr sicher, dass meine kritischen Anmerkungen einen sehr großen Teil, wenn nicht die Mehrheit der Partei repräsentiert. Beweisen kann ich das natürlich nicht. Es gab beim Parteitag zwei Momente, die zeigten, wie die Partei wirklich tickt. Das eine war der laute Applaus für das Bonbon in der Rede der Kanzlerin, als sie nämlich das Verbot der Burka forderte. Der andere Moment war das Votum für die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Übrigens teile ich letzteres nicht, was wieder einmal zeigt, wie kompliziert Politik ist.

Wieso klatschen die Delegierten eigentlich 11 Minuten lang? Als Unbeteiligter findet man das eher beklemmend. Vor allem wenn man es mit der Unzufriedenheit sehr vieler Parteimitglieder kontrastiert, die in persönlichen Gesprächen jenseits des Plenums überdeutlich wurde.

Diese Parteirituale der Geschlossenheit sind mitunter verstörend. Aber es ist auch die Folge einer Wechselwirkung zwischen Journalisten und Delegierten. Journalisten signalisieren, wie gespannt man sei, wie lange dieses Mal geklatscht werde. Es ist auch bekannt, dass einige Beobachter wirklich mit der Stoppuhr dasitzen und ihre Schlüsse ziehen, ob weniger lang als beim letzten Mal geklatscht wird. Das ist sicher das albernste Spielchen überhaupt. Aber die Delegierten wollen eben keine Vorlage für falsche Rückschlüsse liefern.

Den jüngsten Parteitag kann ich mir ohne die Erfahrung aus dem vorangegangenen Parteitag 2015 in Karlsruhe gar nicht erklären. 2015 war die Stimmung angesichts der Flüchtlingspolitik so extrem aufgeladen und trotzdem klatschten auch die, die die Bundeskanzlerin im Vorfeld massiv kritisierten, wie verrückt. Eine inhaltliche, rationale Erklärung gibt es dafür nicht. Ich kann mir das nur psychologisch erklären: Das Bedürfnis von Menschen zu einer Gruppe zu gehören und Teil eines harmonischen Ganzen zu sein, ist sehr stark. Und bei CDU-Mitgliedern wohl ganz besonders.

Bei der SPD ist das anders.
Dort macht man sich geradezu einen Sport daraus, der Führung eins auszuwischen. Ein Kompromiss aus beiden Traditionen wäre sicher besser.

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