Peter Bofinger Weniger Rente für Gutverdiener „eine absurde Idee“

Peter Bofinger Quelle: imago images

Ein Reformvorschlag für das Rentensystem lautet: Geringere Rente für Besserverdienende, weil sie statistisch länger leben. Ökonom und Rentenexperte Peter Bofinger hält davon wenig – die Rente sei kein Instrument zur Umverteilung.

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WirtschaftsWoche: Herr Bofinger, die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, fordert eine geringere Rente für Gutverdiener, weil sie statistisch gesehen länger leben. Es sei ihnen deshalb zuzumuten, zugunsten Ärmerer auf Rentenzahlungen oder Erhöhungen zu verzichten. Ist das eine gute Idee?
Peter Bofinger: Gutverdienern die Renten zu kürzen, weil sie im Durchschnitt länger leben, ist eine absurde Idee. Demnach wäre es nur konsequent, dass auch Frauen höhere Beiträge zahlen müssten oder weniger Rente kriegen – weil sie statistisch ebenfalls deutlich länger leben. Solche Einteilungen widersprechen der Idee der Rentenversicherung.

Inwiefern?
Die Idee einer Rentenversicherung ist es, dass ich mich gegen das Risiko absichere, besonders lange zu leben. Wer die Leistungen nach der Lebenserwartung einzelner Gruppen bestimmen will, widerspricht diesem Prinzip.

Wo sehen Sie konkrete Probleme in der Umsetzung?
Es stellt sich dann beispielsweise die Frage, wer überhaupt als reich gilt. So erhalten Beamte, die eine Zeit lang als Angestellte gearbeitet haben, geringe Renten und würden dann als „arm“ eingestuft werden. Und was ist mit Rauchern? Sollen die dann mehr Geld bekommen, weil sie ungesund und damit kürzer leben? Und schließlich ist die Rente für die „reichen Rentner“ auch nicht besonders üppig. Maximal gibt es rund 3000 Euro im Monat, die dann auch noch versteuert werden müssen.

Frau Schnitzer sieht ihren Vorschlag als Beitrag zur langfristigen Sicherung des Rentensystems. Aus ihrer Sicht ist eine Umverteilung notwendig. Teilen Sie diese Sicht nicht?
Die gesetzliche Rente ist keine staatliche Wohltat. Die Menschen zahlen ihr ganzes Erwerbsleben knapp ein Fünftel ihres Einkommens in die Rentenversicherung. Das ist viel. Für die Akzeptanz der gesetzlichen Rente ist es daher wichtig, dass jemand, der doppelt so viel einzahlt, im Prinzip auch doppelt so viel Rente bekommt.

Das sogenannte Äquivalenzprinzip.
Wenn man das Äquivalenzprinzip aber wie Frau Schnitzer plötzlich nicht mehr ernst nimmt, dann wird das Rentensystem als eine Art Steuersystem zur Umverteilung zweckentfremdet. Will die Politik Menschen mit geringen Renten unterstützen, dann ist dagegen nichts einzuwenden. Die Finanzierung muss aber über Steuern erfolgen. Das ist nicht die Aufgabe der Menschen, die höhere Renten bekommen, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.

Lesen Sie auch: Was tun, wenn die Rente nicht reicht?

Wer jahrzehntelang hart als Kellnerin oder Kellner gearbeitet hat und sich auch privat keine großen Rücklagen ansparen konnte, erhält aber kaum Rente – und findet die Idee von Frau Schnitzer vermutlich nur gerecht.
Dafür gibt es Maßnahmen wie die jetzt eingeführte Grundrente. Auch über eine Mindestrente könnte man nachdenken. Wichtig ist, dass eine solche Maßnahme, egal wie sie aussieht, nicht zulasten der bessergestellten Rentner finanziert wird.

Sie bleiben also Befürworter des Umlageverfahrens?
Es ist ein geniales System. Menschen zahlen etwas hinein und investieren damit in ein hoch diverses Portfolio an Humankapital. Idealerweise ist das Rentensystem so gestaltet, dass es zumindest einigermaßen den individuellen Lebensstandard sichert. Wer ihn wirklich erhalten will, muss zusätzlich mit einer privaten Vorsorge ergänzen.

Das bisherige Umlageverfahren kommt wegen der demografischen Entwicklung allerdings an seine Grenzen.
So katastrophal ist es nicht. Bis 2036, sagt der letzte Rentenbericht, steigt der Beitragssatz von 18,6 auf 21,3 Prozent. Das ist nicht extrem. Und das Rentensicherungsniveau soll von 48,1 auf 44,9 Prozent sinken. Natürlich gibt es Bedarf, diese Entwicklung abzumildern, beispielsweise durch Verlängerung der Lebensarbeitszeit – je nach Branche und Gesundheitszustand. Schon mit einem halben Jahr mehr Arbeitszeit kann perspektivisch einiges erreicht werden.

Das müssen Sie erstmal Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil erzählen, der schon an der abschlagsfreien Rente ab 63 nicht rütteln, geschweige denn das Renteneintrittsalter weiter erhöhen möchte.
Niemand wird begeistert sein, wenn er länger arbeiten soll. Ich plädiere derzeit auch nicht dafür. Man muss erst einmal sehen, wie sich die Erwerbstätigkeit in den kommenden Jahren entwickeln wird. Aber problematischer ist der Vorschlag von Frau Schnitzer, den Rentnern für die gesamte Bezugszeit weniger Rente zu zahlen. Das beeinflusst Rentner 20 Jahre lang, nicht nur sechs Monate vor dem Ruhestand. Die geringeren Rentenzahlungen lassen sich mit privater Vorsorge spontan gar nicht mehr ausgleichen. Denjenigen, die bald in Rente gehen, fehlt Zeit, darauf zu reagieren.


Wie also kann die Rente dann nachhaltiger werden?
Das Umlagesystem ist besonders gut, wenn möglichst viele Erwerbstätige miteinbezogen werden. Deshalb sollten auch junge Selbstständige Teil der gesetzlichen Rente werden. Mit den zusätzlichen Einnahmen lassen sich die Rentenansprüche der Babyboomer finanzieren. Diese Selbstständigen bekommen aber erst in 40 Jahren eine Rente. Es gibt also einen Einführungsgewinn. Und wenn diese Gruppe dann in den Ruhestand geht, kommen neue junge Selbstständige nach, die diesen dann finanzieren.

Moment, bevor Sie die Selbstständigen in die Rentenversicherung zwingen und den Schritt zum Unternehmertum damit unattraktiver machen, müsste man doch erstmal an die hohen Beamtenpensionen ran, oder?
Bei Beamten ist es genau umgekehrt. Wenn junge Beamte Teil der gesetzlichen Rente werden, dann muss der Staat dafür den Arbeitgeberanteil zahlen und gleichzeitig weiter die Pensionen für alte Beamte. Mit einer Entlastung ist also erst in 40 Jahren zu rechnen, wenn die jungen Beamte in den Ruhestand gehen und keine Pension erhalten.

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Sie sind also dagegen?
Man kann darüber nachdenken. Viele Menschen empfinden den Unterschied zwischen der Pension und der gesetzlichen Rente als große Ungerechtigkeit. Das verstehe ich. Auf der anderen Seite fehlen bereits jetzt Lehrer. Durch die Pension bleibt der öffentliche Dienst attraktiv. Kompensieren ließe sich ein Wegfall beispielsweise mit höherer Bezahlung.

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