
WirtschaftsWoche: Herr Ramsauer, der Flughafen BER sucht einen neuen Aufsichtsratschef. Nach Berlin und Brandenburg wäre doch der Bund am Zug – ein Job für Sie?
Ramsauer: Ich halte einen externen Aufsichtsratschef für sinnvoll. Das habe ich immer gesagt und das gilt nach wie vor.
Die Kosten des Flughafens haben sich auf mehr als vier Milliarden Euro verdoppelt. Kann Deutschland noch Großprojekte?
Natürlich. Wir werden in aller Welt für unsere Bauprojekte bewundert. Ich habe extra eine Positivliste anfertigen lassen: der Regierungsumzug von Bonn nach Berlin, die Allianz-Arena, die Sanierung des Neuen Museums, die Avus und viele Projekte mehr. Auch das Berliner Stadtschloss läuft aktuell im Zeitplan und auch im Kostenrahmen. Wir müssen das Rad nicht mehr neu erfinden, wir müssen es nur richtig rollen lassen. Die Reformkommission Großprojekte, die ich eingesetzt habe, arbeitet daran.
Konflikte sind dann ausgeschlossen?
Ganz konfliktfrei wird es nie gehen, weil es nirgendwo 100 Prozent Zustimmung für große Projekte gibt. Ob um Geld oder Lärm: Gestritten wird viel in Deutschland. Aber man kann Projekte konflikt- ärmer gestalten. Wenn eine Entscheidung getroffen ist, die letztinstanzlich von Verwaltungsgerichten überprüft wurde, dann muss in einem geordneten Rechtsstaat aber auch Ruhe sein. Das gehört zur Demokratie dazu.
Nerven Sie die zahlreichen Einsprüche von Interessenverbänden?
Wir haben es hier mit kraftvollen und mächtigen Institutionen und Klägern zu tun. Das sind vor allem die Naturschutzverbände BUND, Nabu und WWF. Ein prominentes Beispiel: Die drei verzögern massiv die Elbvertiefung. Der Stadt Hamburg droht dadurch ein hoher wirtschaftlicher Schaden.
Wollen Sie das Verbandsklagerecht einschränken?
Das Klagerecht ist zwar ein Recht, aber es darf nicht zur allumfassenden Fundamentalverhinderungsmaschinerie werden. Wir schauen uns die gesetzlichen Details derzeit an. Eine Überprüfung des Verbandsklagerechts halte ich für notwendig, wenn es missbraucht wird. Das würden wir nach der Wahl in Ruhe angehen.
Hat der Bund eigentlich noch Geld für Großprojekte?
Für reine Prestigebauten ist kein Geld da. Wir müssen die Mittel effizienter einsetzen. Wir haben die Ausgaben daher strukturell verändert. Wir investieren vor allem in die Instandhaltung der Verkehrsinfrastruktur. Das ist das, was Deutschland braucht.
Marode Brücken und Geld für Fernstraßen





Die Opposition behauptet anderes: Ihr Vorgänger Wolfgang Tiefensee (SPD) habe mit 2,6 Milliarden Euro mehr in den Erhalt investiert als Sie...
Die Zahlen sprechen eine andere, unmissverständliche Sprache. Der Grundbetrag lag jahrelang bei rund zwei Milliarden Euro. Wir fahren den Betrag auf rund drei Milliarden Euro hoch. Davon profitieren die alten Bundesländer, beispielsweise Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern. Der Westen bekommt bald 83 statt 74 Prozent der Investitionen. Der Nachholbedarf ist groß.
Die Autobahnbrücke auf der A1 bei Leverkusen und die Rader Hochbrücke auf der A7 wurden von heute auf morgen für schwere Lkws gesperrt. Warum dieses Planungschaos?
Das ist wie bei einem Patienten, dem nach einer Routineuntersuchung gesagt wird, dass seine Herzkranzgefäße verengt sind. Da muss der Chirurg sofort einen Stent setzen. Auch bei der Rader Hochbrücke wurden die Schäden bei einer Routineuntersuchung entdeckt. Wir haben dann schnell reagiert. Für die Brückensanierung geben wir pro Jahr übrigens bald knapp eine Milliarde Euro aus. Bis ins Jahr 2009 wurden im Schnitt nur rund 330 Millionen Euro pro Jahr in die Reparatur der Bauwerke investiert.
Reichen eine Milliarde Euro pro Jahr für die maroden Brücken aus?
Wahrscheinlich werden wir am Ende sogar mehr brauchen. Aber wir können die Investitionen nicht beliebig schnell hochfahren, weil allein die Anzahl von Ingenieurbüros und Baufirmen, die Brücken sanieren können, limitiert ist. Brücken sind hochkomplex. Da können Sie keinen Dorfmaurer hinschicken, der ein bisschen Mörtel hinspritzt.
Bleibt dann noch Geld für Fernstraßen?
Das ist genau der Punkt, wo unser Dilemma deutlich wird. Wir investieren pro Jahr fünf Milliarden Euro in den Erhalt sowie den Aus- und Neubau von Straßen. Weil der gesamte Erhalt immer teurer wird, müssen wir stärker umschichten. Wir haben bei der Straße in diesem Jahr etwa 50 Prozent in Aus- und Neubauprojekte gesteckt und die andere Hälfte in Instandhaltung. Künftig werden nur noch 30 Prozent in den Aus- und Neubau fließen und dafür 70 Prozent in den Erhalt. Wir setzen klare Prioritäten.
Kostenexplosion bei Straßenbauprojekten
Projekte: 33
Geplante Kosten: 1570 Mio. Euro
Mehrkosten: 911 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 2481 Mio. Euro
Veränderung: +58 Prozent
Projekte: 1
Geplante Kosten: 157 Mio. Euro
Mehrkosten: 87 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 244 Mio. Euro
Veränderung: +55 Prozent
Projekte: 16
Geplante Kosten: 1361 Mio. Euro
Mehrkosten: 599 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 1960 Mio. Euro
Veränderung: +44 Prozent
Projekte: 15
Geplante Kosten: 467 Mio. Euro
Mehrkosten: 182 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 649 Mio. Euro
Veränderung: +39 Prozent
Projekte: 14
Geplante Kosten: 899 Mio. Euro
Mehrkosten: 342 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 1241 Mio. Euro
Veränderung: +38 Prozent
Projekte: 14
Geplante Kosten: 460 Mio. Euro
Mehrkosten: 170 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 630 Mio. Euro
Veränderung: +37 Prozent
Projekte: 22
Geplante Kosten: 862 Mio. Euro
Mehrkosten: 302 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 1164 Mio. Euro
Veränderung: +35 Prozent
Projekte: 19
Geplante Kosten: 1770 Mio. Euro
Mehrkosten: 584 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 2354 Mio. Euro
Veränderung: + 33 Prozent
Projekte: 38
Geplante Kosten: 2205 Mio. Euro
Mehrkosten: 662 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 2867 Mio. Euro
Veränderung: +30 Prozent
Projekte: 2
Geplante Kosten: 372 Mio. Euro
Mehrkosten: 112 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 484 Mio. Euro
Veränderung: +30 Prozent
Projekte: 20
Geplante Kosten: 982 Mio. Euro
Mehrkosten: 275 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 1257 Mio. Euro
Veränderung: +28 Prozent
Projekte: 2
Geplante Kosten: 138 Mio. Euro
Mehrkosten: 39 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 177 Mio. Euro
Veränderung: +28 Prozent
Projekte: 12
Geplante Kosten: 347 Mio. Euro
Mehrkosten: 94 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 441 Mio. Euro
Veränderung: +27 Prozent
Projekte: 2
Geplante Kosten: 66 Mio. Euro
Mehrkosten: 16 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 82 Mio. Euro
Veränderung: +24 Prozent
Projekte: 3
Geplante Kosten: 611 Mio. Euro
Mehrkosten: 135 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 746 Mio. Euro
Veränderung: +22 Prozent
Projekte: 1
Geplante Kosten: 93 Mio. Euro
Mehrkosten: 20 Mio. Euro
Tatsächliche Kosten: 113 Mio. Euro
Veränderung: +22 Prozent
Sie hätten damit schon früher beginnen können. Warum steckte der Bund beim Infrastrukturbeschleunigungsprogramm 2 (IBP) Geld vornehmlich in den Neubau?
Die Prioritäten waren schon damals klar: Zunächst beschleunigen wir laufende Projekte, und dann investieren wir zusätzlich in die Instandhaltung...
...aber es gab Projekte wie die Ortsumgehung Bad Liebenwerda in Brandenburg. Der Bund investierte eine Million Euro. Nun sind 29 Millionen Euro gebunden.
Natürlich beginnen wir auch noch neue Projekte. Bei der Straße waren das im Rahmen des IBP 2 aber nur zwei Dutzend kleinere Projekte. Irgendwann muss man anfangen. Wir schließen auf der A94 bei Altötting nun endlich eine Lücke von 33 Kilometern – freies Land, Viehweide. Ein sinnvolles Projekt.
700 Millionen Euro pro Jahr
Der Bund zahlt zehn Milliarden Euro pro Jahr für Ausbau, Neubau und Sanierung der Verkehrsinfrastruktur. Zu wenig, sagen Experten. Was fordern Sie zusätzlich?
Eigentlich brauchen wir vier Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich: 2,5 Milliarden für die Straße, eine für die Schiene, eine halbe für die Wasserwege.
Wie viel davon ist realistisch?
Ein erster Schritt wäre es, wenn wir aus dem Bundeshaushalt zum Beispiel für die Straße im Schnitt 1,25 Milliarden Euro pro Jahr mehr bekommen.
Damit sind Sie 50 Prozent unter dem, was nötig wäre...
Richtig. Ohne Nutzerfinanzierung geht es daher mittelfristig auch nicht. Wir brauchen zusätzliches Geld.
Die Pkw-Maut bringt aber nur 700 Millionen Euro pro Jahr, wenn man die deutschen Autofahrer parallel über die Kfz-Steuer entlastet.
Zusätzlich 700 Millionen Euro pro Jahr wären ein schöner Finanzschub. Darüber werden wir in den Koalitionsverhandlungen sprechen. Wir wollen auch die Lkw-Maut schrittweise ausweiten, sobald die technischen Voraussetzungen bei den On-Board-Units in den Lkws gegeben sind. Es gibt 2000 Kilometer autobahnähnliche Bundesstraßen, die wir bislang nicht über die Maut erfassen. Da sind noch mal Millionensummen drin.
Die Deutsche Bahn sagt, sie brauche vier Milliarden Euro jährlich für die Sanierung der Gleise. Das wären 1,5 Milliarden Euro mehr als heute. Schlagen Sie ein?
So viel wird es nicht geben. Aber wir handeln das gerade aus.
Müssten Sie nicht die Gewinnabführung vom Netz an die Holding beenden?
Wir haben das geprüft – so wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Ergebnis: Der integrierte Konzern soll bestehen bleiben. Der Ertrag aus dem Netz nach Steuern und Zinsen und Abschreibungen ist etwa ein dreistelliger Millionenbetrag. Und der muss auch wieder ins Netz zurückinvestiert werden.
"Kein Verständnis für das (Bahn-) Chaos in Mainz"
Mit dem Netz der Bahn beschäftigt sich diese Woche der Verkehrsausschuss. Da werden Sie sich Kritik anhören müssen.
Ich habe kein Verständnis für das Chaos in Mainz und verstehe den Ärger der Fahrgäste. Bahn-Chef Grube hat sich bereits öffentlich entschuldigt. Durch den geplanten Börsengang wurde massiv Personal gestrichen: Von rund 57.000 Beschäftigten waren 2009 nur noch rund 33.000 da. In dieser Zeit hat die SPD den Finanz- und Verkehrsminister gestellt. In meiner Amtszeit haben wir den Kurs geändert: mehr Mitarbeiter, keine Börsenpläne, auch nicht für die Zeit nach der Bundestagswahl.
Haben Sie mit der Liberalisierung der Fernbusse erreicht, was Sie wollten?
Mehr als das. Neueste Zahlen belegen den Erfolg. Der Fernbusmarkt entwickelt sich rasant, weil wir ihm die Fesseln abgenommen haben. Die Zahl der Strecken ist innerhalb eines halben Jahres fast aufs Doppelte gestiegen. 61 weitere Genehmigungsanträge liegen auf dem Tisch. Die Liberalisierung des Fernbuslinienverkehrs gibt Deutschland einen kräftigen Mobilitätsschub.
Der Ansturm überfordert inzwischen die Städte. Beteiligt sich der Bund am Ausbau der Busbahnhöfe, so wie er auch Bahnhöfe für die Schiene bezahlt?
Nein. Das bleibt Sache der Städte und Kommunen. Für sie ist es ein Standortfaktor, wie gut ihre Einwohner per Fernbus an andere Städte angebunden sind. Die Städte erhalten übrigens jedes Jahr mehr als 300 Millionen Euro aus dem Topf für die Gemeindeverkehrsfinanzierung, um auch Busbahnhöfe auszubauen. Hinzu kommen Entflechtungsmittel, für die der Bund bis 2019 jedes Jahr 1,3 Milliarden Euro zahlt. Geld wäre also vorhanden.
Die Länder müssen das Geld nicht mehr zweckgebunden in kommunale Verkehrsinfrastruktur stecken wie bislang der Fall. Befürchten Sie, dass die Länder damit nun ihre Haushalte sanieren?
Die Gefahr besteht. Wir müssen daher nach der Wahl Korsettstangen einziehen. Diese Mittel müssen unbedingt einer Zweckbindung unterliegen. Das gilt auch für die 518 Millionen Euro für den Wohnungsbau. Das Geld muss in den Neubau fließen!
Deutschland
Wollen Sie nach der Wahl Verkehrs- und Bauminister bleiben?
Mir macht dieses Amt sehr große Freude. Wir haben viel fertig gebracht und haben noch vieles vor.
Wäre ein anderes Ressort vorstellbar?
Alle Ressorts der Bundesregierung sind interessant. Wobei ich mit ganzer Kraft die Verkehrs- und Baupolitik gestalte.