
Bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September steht, wenn man den Umfragen traut, ein erneuter Erfolg der AfD bevor. Der SPD von Ministerpräsident Erwin Sellering droht ein Absturz von 35,6 auf rund 22 Prozent, vielleicht noch hinter der AfD.
Für die in Schwerin Regierenden ist das eine Katastrophe mit Ansage und für die in Berlin Regierenden eines von mittlerweile kaum noch aufzählbaren Fanalen. Sie verlieren massenhaft Wähler an eine Partei, die selbst alles andere als gefestigt erscheint. Eine Partei, die vor allem mit ihren extremen innerparteilichen Machtkämpfen statt mit Konzepten für Nachrichten sorgt. Einer Partei mit einem Thüringer Landeschef namens Björn Höcke, der in einem aktuellen Brandbrief dem eigenen Parteivorstand empfiehlt, sich aus der eigentlichen Politik herauszuhalten und "sich mit der Erstellung von Werbematerial und alternativen Medienstrategien" zu beschäftigen. Einer Partei, die derzeit vor allem die Frage umtreibt, ob sie einen Sonderparteitag nötig habe, um diesen Bundesvorstand neu zu besetzen.
Für die vergangenen Wahlerfolge ebenso wie für die wohl noch bevorstehenden hat die AfD programmatisch nicht viel tun müssen. Den Wahlkampf für die AfD betreibt vor allem die Bundesregierung selbst, indem sie angestammte Unions- und SPD-Wähler scharenweise vergrault. Dafür, dass es nicht noch viel übler ausgeht für die Regierenden, sorgt allerdings die AfD. Das ist Wahlkampf verkehrt.
Denn vermutlich schöpft die AfD ihr Potential noch längst nicht aus. Das legen nicht nur die viel größeren Erfolge der programmatisch ähnlich aufgestellten FPÖ in Österreich nahe, sondern auch die Differenz zwischen der riesigen Unzufriedenheit mit der Bundesregierung und der tatsächlichen Wählerschaft der AfD.
Die Zustimmung zu Angela Merkels Flüchtlingspolitik sank laut ARD-Deutschland-Trend um acht Punkte auf jetzt 34 Prozent, ihre Politik insgesamt finden nur noch 47 Prozent der Deutschen gut. 44 Prozent der Deutschen wünschen eine völlige Schließung der Grenzen für Flüchtlinge, laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage.
Wie die etablierten Parteien mit der AfD umgehen
Als Spezialproblem der Union wird die AfD ausdrücklich nicht betrachtet. Aus Sicht von Kanzlerin Angela Merkel ist dem Protest die Spitze zu nehmen, indem man Probleme anspricht und zu lösen versucht. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) beharrt darauf, die AfD zu ignorieren. Die CSU fährt einen eigenen Kurs. Mit scharfer Kritik an Merkels Kurs versucht Parteichef Horst Seehofer, eine dauerhafte AfD-Etablierung rechts von der Union zu verhindern.
Die SPD fordert, der Verfassungsschutz müsse die AfD beobachten. Als schräg empfanden es viele, dass in Mainz SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer sich einem TV-Duell mit der AfD verweigerte - ihr SPD-Landeschef ging dann hin. Die AfD könnte auch der SPD kleinbürgerliche Anhänger abjagen, die denken, der Staat kümmere sich nur noch um Flüchtlinge. So fordert Parteichef Sigmar Gabriel ein Solidarpaket für sozial benachteiligte Bürger.
Die Grünen haben die geringsten politischen Schnittmengen mit der AfD und müssen von den etablierten Parteien wohl am wenigsten eine Abwanderung ihrer Wähler befürchten. Korrigiert wurde aber das Nein zu TV-Talkrunden mit der AfD. Die Rechtspopulisten haben laut Grünen-Chefin Simone Peter „eine Wucht erzeugt“, dass man sich mit der Partei „an einen Tisch setzen“ müsse.
Die Linke setzt auf klare Abgrenzung zur AfD. Durch die leichten Zugewinne bei den Kommunalwahlen in Hessen sieht sie diesen Kurs bestätigt. Union und SPD wirft die Linke dagegen vor, als Reaktion auf die AfD-Erfolge nach rechts zu driften. „Wir können durchaus von einer Polarisierung nach rechts reden“, sagt Parteichef Bernd Riexinger.
FDP-Chef Christian Lindner wollte die AfD lange ignorieren. Doch spätestens nach den Silvester-Übergriffen überwiegend ausländischer Täter auf Frauen in Köln und Hamburg, die auch die bürgerliche Mitte verunsicherten, war dieser Kurs nicht durchzuhalten. Lindner sieht die AfD aber nicht als direkte Konkurrenz: „Die Freien Demokraten sind unter allen Parteien der schärfste Kontrast zur AfD“.
Letzte Hemmschwelle vor den Rechtspopulisten
Da die im Bundestag vertretenen Oppositionsparteien beim derzeit alles dominierenden Einwanderungsthema ganz auf Regierungslinie sind, bleibt denen, die das Vertrauen in die Regierung verloren haben, nur: Augen zu und weiter auf eine Umkehr bei Union und SPD hoffen, resignieren und gar nicht wählen – oder AfD wählen.
Letzteres haben derzeit etwa 12 Prozent der Deutschen vor. „Nur“ muss man sagen, denn der von Ursula von der Leyen nach den letzten Landtagswahlen gezogene Schluss, dass offenbar über 80 Prozent die Einwanderungspolitik Merkels mittrügen, ist angesichts der oben genannten Umfragen schlicht falsch. Tatsächlich ist es wohl eher so, dass allein eine Hemmschwelle noch größere Stimmenwanderungen von Union und SPD zu den Rechtspopulisten verhindert.
Das größte Problem der AfD heißt Björn Höcke. Seine Prominenz innerhalb der Partei hält bürgerliche Kritiker der etablierten Parteien davon ab, zur AfD überzulaufen. Der Mann befindet sich ohne Frage mit seinem politischen Weltbild am äußersten rechten Rand des verfassungsrechtlich akzeptablen Spektrums. Für bürgerlich, konservativ oder liberal denkende Menschen ist er nicht wählbar. Übrigens nicht nur wegen des nationalistisch bis völkischen Tons seiner Auslassungen, sondern auch wegen seiner quasi-sozialistischen, kollektivistischen Vorstellungen. Der Mann will keine Bürgergesellschaft, sondern eine Volksgemeinschaft. Das freie Individuum, geschweige denn der selbstständige Unternehmer, kommt in seinen Reden und Facebook-Posts nicht vor.
So jemand kann in Deutschland und erst recht in Thüringen durchaus eine gewisse Wählerschaft und auf Facebook eine in die Tausende gehende Gefolgschaft anziehen. Aber er stößt eben noch deutlich mehr potentielle Wähler und erst recht potentielle Mitglieder und Unterstützer ab. Wer bürgerliche Ideale lebt und einen gesellschaftlichen Ruf zu verlieren hat, kann keinen Höcke unterstützen.
Die Gesichter der AfD
Geboren in Dresden, promovierte Chemikerin und Unternehmerin, Bundesvorsitzende der AfD. Mutter von vier Kindern, liiert mit dem AfD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell: Das ist Frauke Petry. Sie gilt als pragmatisch und ehrgeizig. Auch wenn sie verbal gerne Gas gibt – inhaltlich steht Petry eher in der Mitte der Partei.
Björn Höcke (45) und Alexander Gauland (76) haben im November 2015 gemeinsam „Fünf Grundsätze für Deutschland“ veröffentlicht. Darin wettern sie gegen die „multikulturelle Gesellschaft“ und behaupten, „die politische Korrektheit liegt wie Mehltau auf unserem Land“.
Meuthen ist geboren in Essen, promovierter Volkswirt, seit 1996 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Kehl (Baden-Württemberg), Bundesvorsitzender der AfD, war Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg und ist seit Mai 2016 Landtagsabgeordneter; er ist verheiratet und hat fünf Kinder. Meuthen gehört zu den wenigen prominenten Vertretern des liberalen Flügels, die nach dem Abgang von Bernd Lucke in der AfD geblieben sind.
Sie ist geboren in Lübeck, Jurastudium in Heidelberg und Lausanne (Schweiz), Rechtsanwältin, stellvertretende Bundesvorsitzende und AfD-Landesvorsitzende in Berlin, seit 2014 im EU-Parlament, verheiratet. Gilt als ultrakonservativ.
Marcus Pretzell (43) ist geboren in Rinteln (Niedersachsen), Jurastudium in Heidelberg, Rechtsanwalt und Projektentwickler, seit 2014 Vorsitzender der AfD in Nordrhein-Westfalen, Vater von vier Kindern, seit 2016 verheiratet mit Frauke Petry. Der Europaabgeordnete hat die AfD als „Pegida-Partei“ bezeichnet. Parteifreunde rechnen ihn aber nicht zum rechtsnationalen Flügel.
Und darum kann eine Partei, die einen Höcke in führender Position hat, in einer immer noch bürgerlich geprägten deutschen Gesellschaft nicht zur Volkspartei aufsteigen. Je prominenter und präsenter Höcke und seine tatsächlich gläubigen Anhänger oder einfach nur zynisch-taktischen Verbündeten in der AfD sind, desto mehr Grund gibt es für potentielle Unterstützer, den Mitgliedsantrag, die Spende oder auch nur Wahlstimme zurückzuhalten.