Pflege- und Gesundheitsbranche Impfpflicht: Arbeitgeber wollen knappe Pflegekräfte nicht verprellen

Die Belastung für Pfleger und Ärztinnen war bereits vor der Pandemie enorm. Quelle: dpa

Der Personalmangel ist groß in der Pflege- und Gesundheitsbranche – allein deshalb wäre eine Impfpflicht wohl kaum durchsetzbar. Allerdings sehen Klinken etwa im Osten noch Nachholbedarf.

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Er ist so etwas wie der inoffizielle Influencer unter den Intensivpflegekräften: Ricardo Lange, Intensivpfleger aus Berlin, weist in sozialen Medien regelmäßig auf die Folgen des Pflegenotstands hin, selbst Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) brachte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz bereits in Verlegenheit mit seiner Kritik. Nun mischt Lange auch in der neuen Diskussion um die Impfpflicht wieder mit: „Niemand sollte durch Pflicht oder Privilegien zum Impfen gebracht, und auch nicht durch Hetze davon abgehalten werden. Vertrauen durch sachliche Aufklärung sollte das Ziel sein“, mahnte Lange am Dienstag auf Twitter.

Aber genau auf dieses Vertrauen wollen einige europäische Länder nun nicht mehr setzen. Frankreich und Griechenland haben gerade eine Impfpflicht für Beschäftigte in der Gesundheits- und Pflegeindustrie beschlossen. Eine Maßnahme, um die besonders ansteckende Delta-Variante des Coronavirus besser in den Griff zu be- und gegen die sich ausbreitende Impfmüdigkeit anzukommen. Wer ungeimpft ist, darf in Frankreich ab Mitte September nicht mehr in der Gesundheits- und Pflegebranche arbeiten, eine Lohnfortzahlung gibt es nicht, kündigte der französische Gesundheitsminister Olivier Véran an. In Italien muss sich Gesundheitspersonal bereits seit Mai impfen lassen.

Was bei den Nachbarn funktioniert, soll in Deutschland aber offensichtlich nicht nachgeahmt werden – was weniger an regulatorischen Möglichkeiten liegt, sondern mit Blick auf den Fachkräftemangel kaum möglich wäre. Schon heute fehlen in Deutschland Zehntausende Pflegekräfte, die Belastung für Pfleger und Ärztinnen war bereits vor der Pandemie enorm. Da wollen Arbeitgeber Beschäftigte und potenzielle Bewerber nicht auch noch mit einer Impfpflicht verprellen.

„Zwang ist nicht der richtige Weg“, heißt es von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Auch die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) sieht keinen Anlass für eine Impfpflicht in der Onkologie. Wer in diesem Bereich arbeite, sei sich „der Vulnerabilität der Krebspatienten und -patientinnen und ihrer besonderen Verantwortung sehr bewusst“, sagt Maike de Wit, Mitglied im DGHO-Vorstand und Vorsitzende des Onkologischen Tumorzentrums Berlin Süd.

Man mache Beschäftigten keine Vorgaben, sondern überzeuge Personal von sinnvollen Maßnahmen, teilt auch der Klinikkonzern Asklepios mit. Mitarbeitende, die nicht geimpft seien, würden möglichst so eingesetzt, dass sie keinen Kontakt zu besonders gefährdeten Patientinnen und Patienten haben – also idealerweise nicht auf einer Intensivstation oder in der Onkologie.

Der Anteil der Nicht-Geimpften sei ohnehin gering, heißt es bei Asklepios. So seien am Standort Hamburg etwa mehr als 90 Prozent der Beschäftigten geimpft. Auch in den Asklepios-Kliniken in Hessen und Bayern seien die Impfquoten sehr gut, „einzig in einigen ostdeutschen Kliniken gibt es vereinzelt noch Nachholbedarf“, teilt ein Sprecher mit.

Auch der Gesundheitskonzern Helios setzt auf Aufklärung seiner Beschäftigten, um ihnen so Bedenken zu nehmen. Die Impfquote der Pfleger und Ärztinnen, die sich allein bei Helios impfen ließen, liege bei mehr als 70 Prozent. Dazu kämen Beschäftigte, die ihre Covid-Impfungen in Impfzentren oder bei Hausärzten erhalten hätten.

Wie hoch die Impfquote beim Gesundheits- und Pflegepersonal bundesweit ist, dazu gibt es bisher nur wenige Daten. Aktuell läuft beim Robert Koch-Institut (RKI) dazu die zweite KROCO-Studie, die „Krankenhausbasierte Online-Befragung zur COVID-19-Impfung“, mit der die Impfabsicht, die Impfquote und die Beweggründe von Krankenhauspersonal erfragt werden. Die Ergebnisse der ersten Studie sollen demnächst veröffentlicht werden, zwei weitere Befragungsrunden sind für dieses Jahr geplant.

Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe fordert eine belastbare Datenbasis zur Impfquote im Gesundheitswesen. Kenne man die Zahlen und die Gründe, warum sich Beschäftigte in der Pflege nicht haben impfen lassen, könne man sie entsprechend aufklären. „Dies ist erheblich wirksamer als die Debatte über eine Impfpflicht“, sagt eine Sprecherin des Verbands.

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, fordert Pflegekräfte zwar auf, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen: „Eine generelle Impfpflicht gibt es nicht, aber Pflegekräfte sollten sie aufgrund ihres Berufsethos als solche empfinden“, sagte Westerfellhaus der WirtschaftsWoche. Zu diesem Berufsethos gehöre es, zu vermeiden, dass Pflegekräften anvertraute Menschen Schaden erleiden, ergänzte er – und die Impfung sei derzeit der beste Schutz für pflegebedürftige Menschen. Am Dienstag hatte Kanzlerin Angela Merkel eine Impfpflicht wie in Frankreich jedoch abgelehnt. „Wir haben nicht die Absicht, diesen Weg zu gehen“, sagte sie bei einem Besuch des RKI.

Doch können Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, allein mit Appellen umgestimmt werden? Offensichtlich nicht, wie eine Civey-Umfrage zeigt. Demnach wären sie eher zur Schutzimpfung bereit, wenn Langzeitschäden ausgeschlossen werden könnten. Auch einen Nachweis, dass Gene nicht verändert werden, und eine nachgewiesene Wirkung nannten Befragte als wichtige Überzeugungsgründe. Mehr als ein Drittel der Befragten gab allerdings auch an, sich von nichts überzeugen zu lassen.

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