Pflegebevollmächtigter Westerfellhaus „Pflegebedürftige dürfen nicht Teil eines Spekulationsobjektes sein“

Westerfellhaus auf dem Deutschen Pflegetag 2014 in Berlin. Quelle: dpa

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, kritisiert bei Finanzinvestoren in Altenheimen „Rosinenpickerei“ auf Kosten von Hilfebedürftigen und Pflegeprofis.

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Die Menschen werden älter, erwachsene Kinder wohnen weit von den Eltern entfernt. Da scheinen Investitionen in Pflegeheime eine sinnvolle Sache. Warum sind Sie kritisch gegenüber Finanzinvestoren am Markt?
In den letzten Jahren gab es einen ‚Boom‘ bei Pflegeheimen. Noch betreiben kirchliche und gemeinnützige Träger etwas mehr als die Hälfte aller stationären Pflegeeinrichtungen. Für Privatinvestoren scheinen Altenheime aber ein zuverlässiger Markt. Viele nehmen eine Rendite zwischen fünf und 15 Prozent an. Wenn jemand in einer Intensivpflege-WG künstlich beatmet wird, sind die Einnahmen besonders hoch. Manche betreiben da bereits „Rosinenpickerei“ und sparen aber bei der Qualität. Das geht nicht.

Vielleicht können Private aber auch manches besser als die Diakonie oder ein kommunales Haus.
Es gibt hier per se nicht „die Guten“ und „die Schlechten“. Ich erwarte von allen Pflegeanbietern beste Qualität und Versorgung der Menschen. Aber an manchen Punkten drängt sich schon die Frage auf: Warum können denn Renditen im privaten Sektor so hoch ausfallen? Man kann sicher Abläufe optimieren und durch Größe andere Preise beim Einkauf erzielen. Meine Sorge ist hier das Personal. Die Beschäftigten und deren Gehälter machen rund 70 Prozent der Kosten aus. Da drängt sich die Sorge auf, ob bei einigen zugunsten der Rendite gespart wird.

Sind die Privaten gegenüber ihren Beschäftigten und den Bewohnern schlechter?
Nein, grundsätzlich ist der Personalschlüssel überall unterschiedlich. Darum kümmern wir uns jetzt. Deshalb entwickeln wir jetzt verbindliche Maßstäbe zur Personalbemessung. Dabei muss vom Bedarf der Pflegebedürftigen aus gedacht werden.

von Martin Gerth, Saskia Littmann, Cordula Tutt, Cornelius Welp

Gibt es denn dafür genug Fachkräfte, also Mitarbeiter mit mindestens drei Jahren Ausbildung?
Hier zeichnet sich ein Problem ab, das wir jetzt angehen müssen. Es muss mehr ausgebildet werden. Gleichzeitig müssen die bereits ausgebildeten Pflegekräfte schnell so attraktive Bedingungen vorfinden, dass sie im Job bleiben oder zurückkommen. Dazu gehören gute, verlässliche und familienfreundliche Arbeitsbedingungen, aber auch eine faire Bezahlung. Dazu müssen Flächentarifverträge kommen und auch eingehalten werden. Wir brauchen eine sachgerechte Personalausstattung und Tarifverträge für alle. Das läuft aber den Interessen einiger Investoren zuwider. Ich kann nicht akzeptieren, dass Pflegebedürftige Teil eines Spekulationsobjektes sind.

Haben Sie denn konkrete Anhaltspunkte, dass Einrichtungen, die von Hedgefonds oder Finanzinvestoren betrieben werden, schlechter pflegen?
Damit kein falscher Zungenschlag aufkommt: Private Pfleganbieter und Investoren sind wichtig für die Pflege, für den Wettbewerb, die Versorgung in der Fläche. Ich kritisiere nicht die, die eine Pflegeeinrichtung betriebswirtschaftlich gut führen, um von ihrem Betrieb zu leben. Ich möchte das Augenmerk auf Investoren lenken, bei denen Rendite Selbstzweck ist und diese Ziele zu Lasten der Versorgungsqualität gehen können. Wir müssen schon hinschauen, ob die Solidargemeinschaft Geld zahlt, das gar nicht der Bezahlung der Beschäftigten und der Versorgung Pflegebedürftiger zu Gute kommt. Reine Spekulation ist hier fehl am Platze. Sie entzieht dem Sozialsystem nur Geld ohne Gegenleistung. Wer hier nur einen lukrativen Markt sieht, dem geht es nicht zu allererst um Pflegebedürftige, die ja immer auch abhängig und schutzbedürftig sind.

Das klingt etwas pauschal: Private Anbieter sind schlechter und gemeinnützige besser?
Ich habe selbst lange genug wirtschaftliche Verantwortung in der Pflege getragen – Rendite und Pflege gehen nur in Grenzen gut zusammen. Die Pflege ist ein besonderer Bereich, daher muss sichergestellt sein, dass pflegebedürftige Menschen überall gleich gut aufgehoben sind. Der Sozialstaat verspricht allen Menschen, dass sie im Falle eines Falles sichere und vergleichbare Leistungen bekommen. Wenn Menschen aber das Gefühl haben, dass sie nicht mehr auf den Sozialstaat vertrauen können, sehe ich den Zusammenhalt und den sozialen Frieden in Gefahr.

Wie können Familien sich besser informieren, was sie in einer Einrichtung erwartet? Die Pflegenoten haben alle gut abschneiden lassen.
Die bisherigen Pflegenoten zeigen nicht, wer gute Pflege leistet. Sie lassen fast alle mit „sehr gut“ dastehen. Ein guter Speiseplan kann Mängel bei der Pflege wettmachen. Wer sich aber wundgelegen hat, dem nützt ein gutes Essen nicht viel. Auch das müssen wir schaffen: Es muss künftig eine belastbare Bewertung geben. Der Druck ist inzwischen groß. Auch hier hat der Gesetzgeber enge Fristen gesetzt – jetzt muss die Selbstverwaltung Vorschläge liefern.

Wie sehr unterstützt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Ihren Kurs?
Ich sehe meine Aufgabe als unabhängiger Bevollmächtigter der Regierung darin, zu zeigen, wo die großen Risiken liegen und was wir ändern müssen. Mit Herrn Spahn habe ich verabredet, nicht nur die Probleme vorzutragen, sondern auch konkrete Lösungen anzuregen.

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