Pflegenotstand Ausländische Kräfte sollen die Löcher stopfen

Pflegekräfte aus dem Ausland sollen Pflegenotstand verringern Quelle: dpa

Dem deutschen Gesundheitssystem fehlen schon jetzt mehr als 100.000 Pflegekräfte. Der Bedarf wird in den kommenden Jahren steigen. Die Lücke sollen auch ausländische Schwestern füllen. Aber oft ist das nicht leicht.

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Auf Fotos sieht Kassel wunderschön aus. „Die historischen Häuser, die grünen Parks“ - und der Job im Klinikum. Ihren Arbeitsvertrag hat die Tunesierin Hela Ahmadech schon bekommen, jetzt wartet sie noch auf ihr Visum, damit sie endlich anfangen kann, auch wenn sie ihren Mann und ihre beiden Kinder erst einmal zurücklassen muss. Und auch im Klinikum Kassel wartet man schon auf die 36-jährige Frau, denn in der Pflege fehlen in Hessen Fachkräfte.

„Die Stellenbesetzung wird immer schwieriger“, sagt Inga Eisel von der Gesundheit Nordhessen Holding, dem regionalen Gesundheitskonzern, der das Klinikum Kassel betreibt. Weil nicht genügend Bewerber auf dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden, seien ausländische Fachkräfte eine zusätzliche Option.

Bundesweit gibt es nach Angaben der Arbeitsagentur einen Fachkräftemangel bei Alten- und Krankenpflegern. Derzeit seien etwa 40 000 Stellen unbesetzt. Der Deutsche Pflegerat geht sogar von mindestens 100.000 fehlenden Pflegern im System aus. Weil in den kommenden Jahren die Zahl der Pflegebedürftigen zudem deutlich steigen wird, rechnen Experten damit, dass in den nächsten 10 Jahren zwischen 150.000 und 250.000 neue Pfleger gebraucht werden.

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„Die Ressourcen in Deutschland scheinen erschöpft“, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Pflegeverbandes, Rolf Höfert. Auch weil immer mehr Kollegen in Teilzeit gingen oder den Beruf aufgrund des Drucks ganz verließen, kämen ausländische Fachkräfte mit ins Spiel.

Am Dienstag stellte die Bundesregierung die Ergebnisse eines einjährigen Prozesses vor: Mit der „Konzertierten Aktion Pflege“ will die Regierung die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern. „Pflege muss wieder attraktiver werden. Das geht nur mit mehr Personal“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Neben mehr Gehalt und verbesserter Ausbildung bildet die Gewinnung von Pflegefachkräften aus dem Ausland eine weitere Säule dieses Plans.

„Die Kliniken schreien um Hilfe, aber wir scheitern in der Regel an der deutschen Bürokratie“, sagt Ralf Wittek. Der frühere deutsche Diplomat hat in Tunesien eine Vermittlungsagentur für medizinische Fachkräfte aufgebaut. Mehr als 400 potenzielle Kandidaten seien in der Datenbank, stellenweise würden aber sogar Leute abgelehnt, obwohl sie bereits Arbeitsverträge hätten. Die Bundesregierung will daher jetzt eine zentrale Servicestelle für die berufliche Anerkennung einrichten und ein Gütesiegel für private Vermittlungsagenturen entwickeln.

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Im Krankenhaus in der nordtunesischen Stadt Bizerte wartet die Krankenschwester Hela Ahmadech seit einigen Wochen auf die Nachricht aus der Deutschen Botschaft, ob sie gehen darf oder nicht. „Es war erst nicht mein Traumberuf, in der Pflege zu arbeiten“, gibt sie zu. „Meine Familie wollte es.“ Jetzt sei sie 36, habe zwar einen Job, aber keine Aufstiegschancen. Im Monat verdiene sie etwa 1000 Dinar, das sind aktuell umgerechnet nicht einmal 300 Euro - trotz ihres Studienabschlusses. Das nordafrikanische Land kämpft seit dem sogenannten „Arabischen Frühling“ mit einer Wirtschaftskrise.

Als sie einem Patienten den Blutzucker misst, kommt ein Kollege vorbei. Er weiß von ihren Plänen, auch er hat schon einen Job in Kassel in Aussicht, wie auch andere Kollegen auf der Station.

Seit mehr als einem Jahr arbeitet Amal Hadj Kacem schon im baden-württembergischen Gernsbach als Krankenschwester. Amal heißt Hoffnung auf Arabisch. Auch die 25-Jährige kommt aus Tunesien. Jetzt betreut sie in einer Rehaklinik im Nordschwarzwald Patienten, sobald sie die Intensivstation verlassen.

„In Tunesien gibt es viele Probleme im Gesundheitsbereich, wenig Personal und Geld“, sagt sie. Die junge Frau möchte gerne ihren Mann nachholen und eine Familie gründen. „Es gefällt mir in Deutschland, ich bin zufrieden mit meiner Arbeit aber ich weiß nicht, was die Zukunft bringt.“ Drei Mal hat sie ihren Mann erst wieder getroffen, seit sie in Deutschland ist.

„Mein erster Eindruck hier war, dass die Menschen nett und hilfsbereit sind.“ Wer die Sprache spreche, habe kein Problem. „Aber“, fügt sie hinzu: „Der Dialekt ist manchmal schwierig.“

So problemlos wie bei Kacem ist der Berufsstart in Deutschland nicht immer. Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung stellte vor wenigen Wochen fest, dass die Integration in den Einrichtungen oftmals eine große Herausforderung darstelle. Es gebe teilweise eine hohe Unzufriedenheit, sowohl bei den ausländischen Fachkräften als auch bei den etablierten deutschen Arbeitern.

„Die Patienten sind mittlerweile bescheiden geworden“, sagt Johanna Knüppel vom Berufsverband für Pflegeberufe. „Was immer wieder beklagt wird und die Zusammenarbeit stark behindert, sind die fehlenden Sprachkenntnisse.“ Dennoch stellten ausländische Fachkräfte eine Bereicherung dar und könnten den Personalbedarf abmildern, meint der Verband. Dazu brauche es aber auch entsprechende Rahmenbedingungen der Politik.

Im Bundesgesundheitsministerium sieht man den Einsatz ausländischer Fachkräfte daher auch nur als einen Baustein für ein umfassenderes Konzept, die Personalsituation in der Pflegebranche zu verbessern. Und auch wenn die Zahl der Beschäftigten in den vergangenen Jahren gestiegen ist, kommen von den mehr als 1,6 Millionen Pflegekräften in Deutschland nur gut 150 000 aus dem Ausland - viele von den Philippinen, aus Osteuropa - und noch wenige aus Tunesien.

Krankenschwester Hela Ahmadech weiß, dass es schwierig für sie werden wird. Aber sie gibt sich selbstbewusst: „Ich will ein Modell sein.“ Darauf hoffen sicher auch viele im deutschen Gesundheitssystem.

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