Wenn es vier Monate vor der Bundestagswahl überhaupt noch jemanden gibt, der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Fürchten lehrt, dann nicht Peer Steinbrück, der Kandidat der SPD, sondern Carl-Heinz Schütte, 58, Bankkaufmann aus Friedrichsdorf bei Bad Homburg. Nicht seiner 196 Zentimeter Körpergröße wegen. Auch nicht, weil Schütte ein Steilthesen-Bestseller gelungen wäre, der neuerdings die Talkshow-Republik bewegte. Nein, einen wie Schütte drängt es nicht ins Rampenlicht. Einem wie Schütte geht es um Arbeit und Disziplin. Um Ordnung und um den Dienst an der Sache. Um die „Organisation des gesunden Menschenverstands“, wie er es nennt. Carl-Heinz Schütte ist seit drei Wochen Hauptgeschäftsführer der Alternative für Deutschland (AfD), der erste Angestellte der Anti-Euro-Partei, ihr institutionelles Herz und Wahlkampfgetriebe. Ohne Schütte wird es nichts mit der AfD in den nächsten 17 Wochen.
Ohne Schütte keine Mitgliederverwaltung, keine Terminorganisation, keine Marktplatzauftritte, keine Wettbewerberbeobachtung – und kein Wahlerfolg am 22. September.
Ja, vielleicht gäbe es ohne Schütte in ein paar Wochen nicht einmal mehr die AfD. Denn kaum sind die frühlingshaften Wochen des medialen Spontaninteresses, der Gründungseuphorie und des ruckartigen Mitgliederwachstums verflogen, schon ist die junge Partei in ihre erste Krise geraten. Zwei Sprecher des Landesverbandes in Berlin traten, kaum waren sie gewählt, von ihren Ämtern zurück. Ein Parteitag in Bayern versank wegen heftiger Personalquerelen im Chaos. Die Listenaufstellung in Niedersachsen mit Spitzenkandidat Bernd Lucke wurde angefochten und muss wiederholt werden. Und als wäre das alles noch nicht genug, machte auch noch ein AfD-Landesvize mit Sympathien für Weltkriegs-General Erwin Rommel von sich reden.
Die wichtigsten Köpfe in der AfD
Professor, Gründer des Plenums der Ökonomen
Der 51-Jährige wurde bei Gründung der AfD ihr Sprecher. Der Vater von fünf Kindern lehrt Makroökonomie an der Universität Hamburg. Über 300 Wissenschaftler schlossen sich seinem „Plenum der Ökonomen“ an, das als Netzplattform Wirtschaft erklärt. Nach 33 Jahren trat Lucke Ende 2011 aus der CDU aus. Er trat als Spitzendkandidat der AfD für die Europawahlen an und wechselte im Sommer 2014 nach Brüssel.
Anwältin, Gründerin der Zivilen Koalition
Die Juristin, die zunächst 2012 Mitglied der FDP war, ist seit 2013 Mitglied der AfD. Sie wird dem rechtskonservativen Flügel der Partei zugerechnet. Sie engagiert sich neben der Euro-Rettung vor allem für eine christlich-konservative Familienpolitik. Am 25. Januar 2014 wurde von Storch vom Bundesparteitag der AfD in Aschaffenburg mit 142 von 282 Stimmen auf Platz vier der Liste zur Europawahl gewählt - und zog anschließend ins Europaparlament ein.
Emeritierter Professor für Volkswirtschaft
Im Kampf gegen den Euro hat er die größte Erfahrung: 1998 klagte er gegen dessen Einführung vor dem Bundesverfassungsgericht, 2011 gegen die Rettungsmaßnahmen. Der 72-Jährige, einst Assistent von Alfred Müller-Armack, führt den wissenschaftlichen Beirat der AfD – so etwas hat keine andere Partei.
Promovierte Chemikerin und Unternehmerin
Nach dem Studium gründete die Mutter von vier Kindern 2007 ihr eigenes Chemieunternehmen Purinvent in Leipzig – mit dem Patent auf ein umweltfreundliches Dichtmittel für Reifen. Sie fürchtet, ihre demokratischen Ideale würden „auf einem ideologisierten EU-Altar geopfert“. Seit 2013 ist sie eine von drei Parteisprechern und Vorsitzende der AfD Sachsen
Journalist, Publizist, Altsprachler und Historiker
Bei den bürgerlichen Blättern – 21 Jahre im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen“, sieben Jahre als politischer Chefkorrespondent der „Welt“ – erwarb er sich den Ruf als konservativer Vordenker. Sozial-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind auch im Sprecheramt der AfD seine Schwerpunkte.
Beamter, Politiker, Herausgeber, Publizist
Der promovierte Jurist leitete die hessische Staatskanzlei unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann. Dann Geschäftsführer und Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ in Potsdam. Führte die brandenburgische AfD bei den Landtagswahlen zu einem überraschend starken Ergebnis und führt nun die Fraktion im Landtag an.
Das Hauptproblem der AfD aber ist, dass sie den sensationellen Zulauf von Sympathisanten nicht produktiv zu kanalisieren versteht – und dass die anfängliche Begeisterung ihrer Anhänger daher in Reizbarkeit und Enttäuschung umzuschlagen droht. Das größte Kapital der AfD, der Enthusiasmus einer politischen Fangemeinde, die hochemotional-professorensachlich gegen die angebliche Alternativlosigkeit der Euro-Rettungspolitik aufbegehrt, erweist sich zugleich als größte Hypothek der AfD: Als Partei der Überzeugungstäter ist sie immer auch eine Partei der Besserwisser.
1200 Überläufer von der Union und je 600 von FDP und SPD, die allesamt ein Stück ihres politischen Lebens aufgegeben haben, einige Spitzenköpfe der Freien Wähler, dazu jede Menge Nichtwähler, die meinen, endlich eine politische Heimat gefunden zu haben – kein Wunder, dass in der AfD Flügelkämpfe beginnen, noch bevor es was zu verteilen gibt.
Viel zu viele AfD-Mitglieder, die die provisorische Geschäftsstelle in Bad Nauheim in den vergangenen Wochen mit Büchern, Aufsätzen, ausgeschnittenen Zeitungsartikeln und selbst verfassten Versen überhäuft haben, fühlen sich berufen, was zu werden, weil sie das mit dem Euro, Europa und Frau Merkel immer schon, früher und besser gewusst haben – und sich endlich mit Anerkennung, Ämtern und Mandaten belohnt sehen wollen. „Wir müssen schwer aufpassen, dass der Ämtereifer unserer Mitglieder die Partei nicht lähmt“, sagt Schatzmeister Norbert Stenzel. Und Matthias Lefarth, ein Überläufer von der FDP, der sein Berliner Sprecheramt nach sechs Tagen entnervt niederlegte, warnt: „Wenn jeder nur an seinem Strang zieht, wird das nichts.“