




Die Debatte um die Pkw-Maut geht in die nächste Runde. Mit der heutigen Debatte im Bundestag ist der parlamentarische Gesetzesprozess eröffnet. Die Opposition wird das umstrittene Projekt des Bundesverkehrsministers zerpflücken – Schützenhilfe kommt nun von namhaften Experten.
Der renommierte Verkehrsberater Frank Schmid aus Willich in Nordrhein-Westfalen hat sich die Zahlen genauer angeschaut. Der Verkehrsminister war gezwungen worden, die Berechnungswege seines Hauses offen zu legen, nachdem die „Zeit“ gegen die Geheimniskrämerei geklagt hatte. Nun musste Alexander Dobrindt also reinen Tisch machen.
Das Ergebnis: Die Berechnung des Bundesverkehrsministeriums weist „einen gravierenden Fehler“ auf, sagt Schmid. Laut Dobrindt soll die Pkw-Maut 500 Millionen Euro netto bringen. Schmid geht davon aus, dass die Einnahmen sich in einem Bereich von rund 100 Millionen Euro pro Jahr bewegen werden. Die Differenz von 400 Millionen Euro erkläre sich vor allem aus einer „falschen Ableitung“, sagt Schmid. Dobrindt rechnet vor, dass Ausländer rund 170 Millionen mal pro Jahr über die Grenze fahren. Diese Zahl hält Schmid noch für „denkbar“. Dann rechnet Dobrindt aber damit, dass 75 Prozent dieser Grenzfahrer ihre Fahrt über die Autobahn fortsetzen. Demnach würden 130 Millionen Autofahrer aus dem Ausland zur Zahlung der Maut gezwungen. „Tatsächlich“, so Schmid, würden „nur 84 Millionen Pkw die Grenzen queren“.
Was bei der Pkw-Maut auf die Autofahrer zukommt
Deutsche sollen für das knapp 13.000 Kilometer lange Autobahnnetz und das 39.000 Kilometer lange Netz der Bundesstraßen Maut zahlen. Pkw-Fahrer aus dem Ausland nur auf den Autobahnen.
Alle inländischen Autobesitzer müssen eine Jahresmaut zahlen, die vom Konto abgebucht wird. Sie richtet sich nach Größe und Umweltfreundlichkeit des Autos. Im Schnitt kostet sie 74 Euro, maximal 130 Euro. Benziner sind günstiger als Diesel.
Für Ausländer gibt es neben der genauso berechneten Jahresmaut auch zwei mögliche Kurzzeittarife: Eine Zehn-Tages-Maut für 2,50, 4, 8, 14 oder 20 Euro sowie eine Zwei-Monats-Maut für 7, 11, 18, 30 oder 40 Euro.
Inländer sollen für Mautzahlungen durch eine geringere Kfz-Steuer wieder entlastet werden - auf den Cent genau. Bei besonders schadstoffarmen Autos (Euro 6) soll die Steuer nun sogar stärker sinken als es dem zu zahlenden Mautbetrag entspricht.
Mautpflichtig sind auch Wohnmobile. Motorräder, Elektroautos, Wagen von Behinderten und Krankenwagen sind mautfrei.
Statt an Klebe-Vignetten sollen Mautzahler über das Nummernschild ihres Autos zu erkennen sein. Kontrolliert werden soll dies in Stichproben durch einen elektronischen Kennzeichen-Abgleich. Daten sollen nur hierfür erfasst und schnell wieder gelöscht werden.
Wer keine Maut zahlt und erwischt wird, muss eine Geldbuße zahlen. Eine genaue Höhe nennt der Gesetzentwurf vorerst nicht. Geldbußen sollen auch im Ausland eingetrieben werden.
Inländer, die nachweisen wollen und können, dass sie in einem Jahr nicht auf Autobahnen und Bundesstraßen gefahren sind, können die Maut zurückfordern. Nachweis könnte ein Fahrtenbuch sein.
Schmid beruft sich in seiner Analyse auf Zahlen, die die Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) 2012 veröffentlicht hat. Die Bast ist ein technisch-wissenschaftliches Forschungsinstitut – und eine Unterbehörde des Bundesverkehrsministeriums. Sie hatte seinerzeit die Anzahl der Grenzübergänge auf Autobahnen errechnet. Doch die Zahl von 84 Millionen Pkw sei in der aktuellen Berechnung von Dobrindt „nicht erwähnt“, so Schmid.
Ob Absicht oder Versehen, Schmids Analyse ist auf jeden Fall Wasser auf die Mühlen der Kritik der Opposition an Dobrindts Ausländer-Maut. Grüne und Linke warnten bereits lautstark vor „Luftbuchungen“ und einer „Milchmädchenrechnung“. Zudem kritisieren sie, dass die Maut nicht europarechtskonform sei.
So bekommen Autofahrer die Maut zurück
Eigentlich wollte Dobrindt keine Schlupflöcher lassen und für das gesamte Straßennetz Maut kassieren. Nach Protesten aus grenznahen Regionen sollen Pkw-Fahrer aus dem Ausland nun nur noch für die Autobahnen zahlen. Das wäre theoretisch auch für Fahrer aus dem Inland denkbar gewesen. Dann hätte sich für sie aber keine allgemeine Mautpflicht einführen lassen, weil man auch jenseits der Autobahnen quer durch die Republik reisen kann. Daher kamen für Inländer die Bundesstraßen hinzu. Es bleiben aber immer noch 178.000 Kilometer Landes- und Kreisstraßen, die rechtlich betrachtet gratis sind.
Alle inländischen Autobesitzer sollen eine Jahresmaut zahlen, die im Schnitt 74 Euro kostet. Möglich sein soll aber, das Geld nachträglich per Antrag komplett zurückzufordern - wenn man glaubhaft macht, dass der Wagen in den zurückliegenden zwölf Monaten gar nicht auf Autobahnen und Bundesstraßen unterwegs war. Diese Beweispflicht sei ein „unzumutbarer Aufwand“, warnt der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller. Das lasse befürchten, „dass ich womöglich auf das Geld, das mir zustünde, schlicht verzichte“.
Die genauen Erstattungsregeln stehen noch nicht fest. Ein Element könnte sein, in einem Fahrtenbuch festzuhalten, wann man von wo nach wo gefahren ist und wie viele Kilometer es waren. Das ließe Rückschlüsse auf die benutzten Straßen zu. Das Verkehrsministerium macht kein Hehl daraus, dass dies nicht ganz unkompliziert wäre. Doch auch bei anderen allgemeinen Gebühren liege die Beweislast nun einmal bei dem, der eine Ausnahme geltend macht. Dobrindt betont aber auch ausdrücklich: „Das ist eine Härtefallregelung und wird auf ganz wenige Fälle anwendbar sein.“
Die Verbraucherzentralen sehen durchaus Interesse an Erstattungen. Es gebe „einen großen Anteil“ von Menschen, die nur auf Landstraßen und innerstädtisch fahren, etwa ältere Leute oder wenn ein Zweitwagen nur zum Einkaufen dient. Das Ministerium hat dagegen per Gutachten ergründet, dass nur weniger als ein Prozent der Autofahrer völlig ohne Bundesstraßen auskommt, die ja auch innerhalb vieler Orte verlaufen. Überhaupt sei es unrealistisch, sagt Dobrindt ironisch, dass sich viele überlegten: „Ja klar, das rote Auto wird nur noch für Autobahnen und Bundesstraßen verwendet und das schwarze Auto ausschließlich für die Kommunalstraßen.“ Auch dass viele eigens Aufzeichnungen machten, um 35 Euro Maut zurückzufordern, sei abwegig.
Wie groß das Schlupfloch werden könnte, muss sich zeigen. Angesichts von 44 Millionen zugelassenen Pkw wären ziemlich schnell Tausende Fälle zusammen. Verbraucherschützer Müller fordert denn auch Nachbesserungen, damit Nicht-Mautpflichtige tatsächlich verschont bleiben. Manche könnten sich indes die Mühe sparen, da ihnen ohnehin keine Mehrbelastung entstehen soll. Denn Inländern soll die Maut durch Reduzierungen der Kfz-Steuer voll ausgeglichen werden. Anderen könnte es dagegen ums Prinzip gehen.
Auch Alexander Eisenkopf von der Zeppelin Universität kommt in einer Kurzstellungnahmen zu der Prognose der Einnahmen zu einem katastrophalen Ergebnis: Insgesamt erschienen die Berechnungen des BMVI „aus analytischer Perspektive wenig plausibel beziehungsweise überzeugend und die Annahmen insbesondere ergebnisorientiert gesetzt“, heißt in dem Papier.
Zweifel hegen die Parlamentarier zudem an der Neutralität des Autors des BMVI-Gutachtens, Wolfgang Schulz. Der Professor, wie sein Kollege Eisenkopf an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen tätig, hatte die Prognosen des Bundesverkehrsministeriums überprüft. Die Annahmen seien sogar „stets konservativ gehalten“, zitiert ihn das „Handelsblatt“.
Doch Schulz war schon einmal als Gutachter in Erscheinung getreten: im Bundestagswahlkampf 2013. Schulz arbeitete zusammen mit Lobbyisten des Maut-Dienstleisters Ages an einem Maut-Gutachten, das Netto-Einnahmen durch eine Ausländer-Maut von 700 Millionen Euro für möglich hielt. Damit lieferte Schulz Stammtisch-Argumente für den CSU-Wahlkampf. Die Grünen-Verkehrspolitikerin Valerie Wilms kritisiert die Nähe zwischen Ages und Ministerium über den Autor Schulz als „klaren Interessenkonflikt“. Ein Maut-Betreiber setze die errechneten Einnahmen immer höher an. Schulz sagte, er sei „wertneutral“ an die Sache gegangen.
Ohnehin ist noch unklar, wie hoch die Betreiberkosten für Einführung und Betrieb der Maut sein werden. Dobrindt rechnet mit rund 200 Millionen Euro pro Jahr für den laufenden Betrieb. Den Großteil bekommt ein privater Mautbetreiber als Vergütung, dazu kommen etwa Kosten für die Kontrollen. Noch nicht berücksichtigt sind die einmaligen Ausgaben für die Einführung der Maut. Der Aufbau des Systems könnte 379 Millionen Euro kosten.
Sollte Schmid recht behalten und die Einnahmen aus der Pkw-Maut würden sich unterm Strich auf dem Niveau von rund 100 Millionen Euro bewegen, wäre die Einführung von Dobrindts „Infrastrukturabgebe“ unter Berücksichtigung der Anfangsinvestitionen in den ersten Jahren sogar ein Minus-Geschäft für den Staat. Dann wäre Dobrindts Prestigeprojekt eine Steilvorlage für die Opposition im nächsten Bundestagswahlkampf.
Er hätte es auch einfacher haben können. Eine Erhöhung der Mineralölsteuer um einen Cent bringt der Staatskasse rund 400 bis 600 Millionen Euro pro Jahr – und zwar geräuschlos ohne Bundestagsdebatte.