
Dankbarkeit ist ein großes Wort und ein seltenes Gefühl. Aber Martin Pätzold überkommt sie immer wieder, die Dankbarkeit. Wenn er im Plenarsaal sitzt, mitten im Reichstag. Oder wenn er dass Mahnmal für die Mauertoten am Spreebogen passiert, sieben weiße Kreuze auf schwarzem Grund, das genau auf dem Weg zwischen Reichstag und den Ausschusssälen liegt. Martin Pätzold ist Abgeordneter im Deutschen Bundestag, für die CDU. „Und dass ich hier sitze“, sagt er, „habe ich dem Mauerfall zu verdanken.“
Pätzold wird 1984 in Moskau geboren, ein Jahr, bevor Michail Gorbatschow in der Sowjetunion an die Macht kommt und von Perestroika und Glasnost sprechen wird. Seine Eltern sind DDR-Bürger, der Vater arbeitet in der Sowjetunion als Auslandskorrespondent. Mitte der Neunzigerjahre zieht die Familie zurück nach Berlin, nach Hohenschönhausen in den Osten, der nun Teil des wiedervereinigten Berlins ist. „Das ist meine Heimat“, sagt Pätzold. Dort kommt er auf eine Grundschule und macht später am Gymnasium sein Abitur. „Für mich bedeutet Wiedervereinigung, dass ich mich frei entfalten konnte.“ Er blieb in Berlin. Heute liegt hier sein Wahlkreis.
Wie vielen Bundestagsabgeordneten wohl bewusst ist, dass sie tagtäglich auf ihren Wegen zwischen Abstimmungen, Büro und Terminen die alte innerdeutsche Grenze passieren? Im Regierungsviertel ist von den Narben der Geschichte so gut wie nichts mehr zu sehen, jeder Mauerrest ist abgerissen, die Geschichte weitgehend wegsaniert. Nichts mehr übrig außer einer blendend schönen Weltstadtfassade, die umspült wird von Touristen.
Pätzold aber ist in und mit dieser Stadt groß geworden, deshalb kennt er sie noch rau, verletzt und ungeschönt. Er hat dabei zusehen können, wie die Narben verheilten, manche von ihnen langsam, einige schneller. Er studierte in Berlin, verdiente sich in der Verwaltung seine ersten Sporen und schrieb sogar über die wirtschaftliche Renaissance Berlins seine Doktorarbeit. Er hat einen Sinn für das behalten, was man nicht mehr sehen kann, wenn er die Stufen hoch zum Reichstag nimmt. „Ich kann nichts für die Wende“, sagt er, „ich habe nichts zu ihr betragen können. Dafür gehöre ich zu der Generation, die von ihr maximal profitiert hat.“ So klingt sie, die Dankbarkeit.