Poker um Intel-Ansiedlung in Magdeburg „Wir drohen, den Anschluss gegenüber den USA und Asien zu verlieren“

Baggern für die Zukunft: Auf dem Magdeburger Eulenberg haben die archäologischen Ausgrabungen begonnen – wann US-Konzern Intel mit seinen Chipfabriken starten wird, ist derweil unklar. Der Konzern fordert von der Bundesregierung höhere Subventionen für seine Ansiedlung.  Quelle: dpa

US-Konzern Intel fordert höhere Subventionen für seine Chipfabriken in Magdeburg. Ist das dreist – oder ein guter Deal? Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze über Erpressbarkeit, EU-Tempo und begehrtes Elbwasser.

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WirtschaftsWoche: Herr Minister Schulze, der US-Konzern Intel will in Magdeburg zwei neue Chipfabriken bauen – und fordert von der Bundesregierung plötzlich mehr Subventionen als die geplanten 6,8 Milliarden Euro, angeblich sollen es jetzt 10 Milliarden Euro werden. Ist das dreist – oder nachvollziehbar? 
Sven Schulze: Angesichts der gestiegenen Energie- und Baukosten ist es legitim, dass Intel das Thema höhere Subventionen noch einmal aufruft. Wir sind in guten Gesprächen mit dem Unternehmen und ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit dem Bund eine gute Lösung finden werden.

Wenn es aber keine Lösung gibt, könnte das Prestigeprojekt scheitern. Wie erpressbar sind Sachsen-Anhalt und die Bundesregierung?
Es geht hier nicht um Erpressung. Aber wenn wir uns souveräner aufstellen wollen bei Schlüsseltechnologien wie Halbleitern, hat das seinen Preis. Es geht hier auch nicht allein um die Chips, sondern um ein ganzes Ökosystem, das entstehen wird.

Und zwar?
Arbeitnehmer, Zulieferbetriebe, die Wissenschaft, die ganze Region wie auch die Industrie wird von der Ansiedlung profitieren.  Deshalb ist es gut, dass sich Intel und die Bundesregierung noch einmal an den Verhandlungstisch setzen – und es gibt keinen Zweifel, dass das Projekt ein Erfolg werden soll.

Quelle: imago images

Zur Person

Intel ist ein profitables Unternehmen, 2022 erwirtschaftete der Konzern einen Gewinn von acht Milliarden Euro und ist damit „kein natürlicher Empfänger von Steuergeld“, wie Christian Lindner kürzlich sagt. Hat der Bundesfinanzminister unrecht?
Wir befinden uns in einem globalen Wettbewerb um Investitionen, Unternehmen wie Intel bekommen weltweit Angebote für Ansiedlungen. In Europa sind die Produktions- und Arbeitskosten aber deutlich höher als beispielsweise in Asien, deshalb müssen wir auch entsprechend mehr Subventionen auf den Tisch legen, wenn wir weltweit konkurrenzfähig sein wollen. Dazu haben die USA jetzt mit dem Inflation Reduction Act den Druck weiter erhöht. Ich denke, dass das auch Christian Lindner klar ist.

Reicht mehr Geld allein, um sich in diesem globalen Wettbewerb um Zukunftsindustrien behaupten zu können?
Subventionen allein sind sicher nicht die Lösung. Im konkreten Fall mit Intel geht es auch um Fragen wie die Energiekosten. Deshalb ist es wichtig, dass der Industriestrompreis kommt, den Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt hat. Vor dem Krieg in der Ukraine hat er von 4 Cent pro Kilowattstunde geredet, das ist jetzt unrealistisch. Aber 10 Cent wären gut, wir sind als Land auch gerne bereit, unseren Anteil dafür zu leisten, etwa einen weiteren Windenergiepark zu bauen.

Ein Problem ist aber nicht nur Windenergie, sondern auch die Wasserversorgung. Intel braucht für seinen US-Campus in Hillsboro etwa 27 Millionen Liter Frischwasser – und zwar pro Tag. Wollen Sie die Elbe trockenlegen oder wie ist der Verbrauch für die Magdeburger Fabriken zu stemmen?
Nein, wir müssen wegen Intel sicher nicht die Elbe trockenlegen. Für die ersten beiden Fabriken müssen wir auch gar nicht ans Elbwasser ran, sondern sind mit unseren kommunalen Wasserversorgern gerade dabei, Lösungen zu finden. Nachteile für Verbraucher wird es dabei gewiss nicht geben.

Der Raum Magdeburg gilt allerdings nicht als besonders regenreich. Was ist, wenn die Produktion erweitert wird? 
Ab der dritten Fabrik müssten wir tatsächlich die Elbe nutzen. Aber ich kann ihnen versichern: egal, wie viel Wasser wir aus der Elbe entnehmen, wird das nicht zu spüren sein. Dazu haben wir in der Nähe auch den Mittelandkanal, wir werden also nicht auf dem Trockenen sitzen.

Eine neue Begeisterung für Industriepolitik erfasst die Bundesregierung: Deutschland soll nachhaltiger und unabhängiger werden. Koste es, was es solle. Auf der Strecke bleibt, was den Standort außer Geld auszeichnet.
von Sonja Álvarez, Max Haerder

Nicht alle Experten sind von dem Projekt so überzeugt wie Sie. Der Ökonom Oliver Holtemöller, Vizechef des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, äußerte im „Spiegel“ gerade Zweifel: „Niemand steht Schlange, um in Sachsen-Anhalt arbeiten zu dürfen“, sagte er. Die Struktur sei zu schwach für so ein Gigaprojekt, dazu sei Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland verbreitet. Ignorieren Sie diese Probleme?
Bei allem Respekt vor der unabhängigen Wissenschaft und ihren Leistungen muss ich sagen: Das ist Stammtischniveau. Die Aussagen beruhen auch nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ohne Zweifel gibt es Herausforderungen, aber ich lebe beispielsweise gewiss nicht in einem Land, dass in weiten Teilen ausländerfeindlich ist. Intel hat europaweit 80 potenzielle Standorte geprüft und sich für Magdeburg entschieden – ganz bewusst und selbstverständlich auch zurecht.   

Trotzdem pokert Intel jetzt um höhere Subventionen. Sollte die Europäische Union die Beihilferegeln lockern und den Mitgliedsländern mehr Spielraum gewähren, um in solchen Fällen schneller reagieren zu können?
Das EU-Beihilferecht ist wichtig, weil es bei der Gleichbehandlung von Staaten hilft, die nicht so finanzstark sind. Angesichts des zunehmenden Wettbewerbs etwa mit den USA wäre es dennoch sinnvoll, den Ländern mehr Spielräume zu gewähren. Grundsätzlich ist die EU in vielen Bereichen leider noch viel zu langsam. Wir drohen, den Anschluss gegenüber den USA und Asien zu verlieren.

Tatsächlich hat Europa in vielen Bereichen schon den Anschluss verloren. Europas Anteil an der weltweiten Wertschöpfung der Industrie ist in den vergangenen 20 Jahren steil abgestürzt, der IRA verschärft den Druck jetzt noch weiter. Reichen Antworten wie der „Green Deal Industrial Plan“ aus?
Es ist fatal, dass die EU auf den IRA wieder mal nur reagiert, statt vorher zu agieren und sich als starker Investitionsstandort zu präsentieren. Der Binnenmarkt etwa ist etwas, das nicht viele Regionen dieser Welt zu bieten haben. Solche Vorteile müssen wir stärker betonen und nutzen. Und vor allem muss das Tempo für Entscheidungen schneller werden. 

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Was heißt das konkret? 
Wir haben in Magdeburg von der Intel-Anfrage bis zur Genehmigung des Projekts nur 12 Monate gebraucht, während seit Jahren über den europäischen Chips-Act gestritten wird und wir immer noch keine Einigung haben. Das ist zum Haare raufen, das muss ich selbst als ehemaliger Abgeordneter des Europäischen Parlaments sagen.

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Wann der Chips-Act entschieden wird, ist noch unklar. Klar ist aber, dass sich das Intel-Projekt auch deshalb weiter verzögert. Ursprünglich sollten zu Jahresbeginn die ersten Bagger auf dem Magdeburger Eulenberg rollen. Wann wird es also so weit sein?  
Es sind schon Bagger da, denn wir haben schon mit den archäologischen Arbeiten begonnen. Aber auf ein, zwei Monate Verzögerung kommt es jetzt nicht an – sondern darauf, dass das Projekt funktioniert. Wenn der Chips-Act bis zum Sommer verabschiedet ist, kann es auch auf dem Eulenberg richtig losgehen.

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