Politiker-Versprechen Vom Geschwätz zur Lüge ist es nur ein kleiner Schritt

Kein Lockdown mehr – zumindest „keinen wie im letzten Jahr“. Das war das Versprechen des künftigen Kanzlers Olaf Scholz. Quelle: dpa

Kommen doch noch Hammer-Maßnahmen wie ein Lockdown oder gar die Impfpflicht? Die Corona-Lage ist jedenfalls alarmierend. Umso erstaunlicher, was prominente Politiker zuvor alles ausgeschlossen haben.

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Der August ist drei Monate her, doch in der Coronapandemie können Monate sich wie Jahre anfühlen. Das Gleiche gilt in der Politik, besonders in Jahren, in denen gewählt wird.

Im Sommer blitzte Hoffnung auf einen besseren Winter auf: Die Inzidenzen waren niedrig, die Impfkampagne nahm an Fahrt auf – und es war Wahlkampf.

Die Kanzlerkandidaten wollten ihre Führungsqualitäten unter Beweis stellen, und zu guter Führung gehört es, klar zu kommunizieren. „Für mich ist klar, dass es keinen Lockdown wie im vergangenen Jahr geben kann“, sagte Olaf Scholz im August, und das ist trotz der kleinen Einschränkung schon einigermaßen deutlich. Übertroffen wurde er nur von seinem Konkurrenten Armin Laschet, der ausdrücklich ausschloss, dass es für diejenigen, „die sich haben impfen lassen“, einen erneuten Lockdown geben werde.

Leider waren Bundes- und Landesregierungen im Sommer so blauäugig, sich darauf zu verlassen, dass die nötigen Impfquoten schon erreicht werden. Einen Plan B gab es nicht. Der wäre im Wahlkampf wohl auch nicht gut angekommen. Lieber wurde sogar noch das Infektionsschutzgesetz reformiert – mit dem Ergebnis, dass die Länder nun auch gar keine Möglichkeit mehr zu Reiseverboten, Ausgangssperren oder flächendeckenden Geschäftsschließungen haben, was in der Summe wohl einen Lockdown ergeben würde. Was also tun, wenn das Instrumentarium fehlt? Nun, ein Gesetz ist doch schnell wieder geändert. „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“ - die angebliche Adenauer-Maxime dürfte manchem bald zur Selbstberuhigung dienen. Vertrauensfördernd ist sie nicht.

Mit einer neuen Virusvariante aus Südafrika und der munter im Land zirkulierenden Deltavariante herrscht erneut Alarmstimmung, weswegen die Politik sich kommunikativ nun doch wieder auf härtere Maßnahmen vorbereitet. Ob SPD-Chefin Saskia Esken oder die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock: Sie schließen einen weiteren Lockdown nicht aus, so die Formulierung. Das ist meist die Vorstufe zu „fordern“ oder wenigstens „Maßnahmen mittragen“.

Ähnliches gilt für eine Impfpflicht. „Es wird aus meiner Sicht keine Impfpflicht geben“, war einmal der Standpunkt von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Inzwischen fordert er eine solche.

Es spricht für die Lernfähigkeit eines Menschen, die Meinung zu ändern. Doch vom Geschwätz von gestern zur Lüge ist es nur ein kleiner Schritt. In einer Pandemie, in der heute keiner weiß, was morgen ist, sollten sich politische Entscheider langsam ehrlich machen und nichts mehr versprechen, was nicht zu halten ist.

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