
Herr Professor Kriesi, die Flüchtlingskrise lässt AfD und Pegida erstarken. Rücken die Deutschen nach rechts?
Nein, das glaube ich nicht. Die meisten Menschen, die sich nun offen zu rechtspopulistischen Parteien oder Bewegungen bekennen, sind seit ihrer frühen politischen Sozialisierung stark konservativ, manche gar nationalistisch und gegen Flüchtlinge eingestellt. Diese Leute haben klare Wertepräferenzen, die relativ stabil sind.
Bei den Versammlungen von Pegida und AfD sprechen die Menschen offen über ihren Hass, den sie Flüchtlingen gegenüber empfinden. Das ist schon eine neue Qualität.
Die Flüchtlingskrise ist ganz gewiss ein Katalysator. Mit Pegida und der AfD gibt es jetzt Akteure, die die Sorgen vieler Menschen aufnehmen und öffentlich artikulieren. Daher stoßen beide auf so große Resonanz. Aber die Ablehnung von Flüchtlingen und Ausländern tragen die entsprechenden Bürger schon lange in sich. Dieses latente Potential wird durch die Krise entfaltet, wodurch die AfD stärker wird.
Zur Person
Hanspeter Kriesi, geboren 1949 in Bischofszell in der Schweiz, lehrt vergleichende Politikwissenschaft am Europäischen Hochschulinstitut (European University Institute) in Florenz. Kriesi ist Experte für politische Soziologie, politisches Verhalten sowie politische Kommunikation und soziale Bewegungen.
Wohin führt diese Entwicklung?
Deutschland hat seit dem Zweiten Weltkrieg wenige Erfahrungen mit nationalistischen und rechtspopulistischen Bewegungen gemacht. Bewegungen vom rechten Rand waren in Deutschland aufgrund der speziellen Deutschen Erfahrung mit dem Nationalsozialismus tabu. Deutschland hatte hier lange eine Sonderrolle inne. In vielen anderen europäischen Ländern – ob die Schweiz, Belgien, Holland, die meisten skandinavischen Länder oder Frankreich – haben sich in den vergangenen 30 Jahren rechtsnationale politische Kräfte aufgebaut. Das ist ein langfristiger Trend, der zu einer Renaissance des Nationalismus führt und der sich nun mit einiger Verspätung auch in Deutschland bemerkbar macht.
Deutschland muss sich also an Rechtspopulisten in der Politik gewöhnen?
Ich denke schon. Die AfD ist keine Eintagsfliege. Und selbst wenn diese Partei scheitern sollte, kommt eben eine andere, die die Sorgen der Menschen aufgreift. In der Schweiz haben knapp 30 Prozent der Menschen die rechtspopulistische SVP gewählt. In Deutschland dürfte das Potential ähnlich groß sein.
Die AfD – neue Volkspartei oder kurze Protestepisode?
Es steckt einiges von der Union früherer Zeiten in der Alternative für Deutschland (AfD). Nur in der Europapolitik grenzt sich die AfD klar von dem ab, was Helmut Kohl zu seinen Kanzlerzeiten wichtig war. Die AfD besetzt aber andere zentrale Themen der Union wie Familie, Kriminalität und Zuwanderung - Themen, wie sie die früheren Vorsitzenden von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, verkörperten: starke Polizeipräsenz, begrenzte Zuwanderung und ein Familienbild mit Vater, Mutter und Kindern. Die Warnungen der AfD vor einer Überlastung der Sozialsysteme durch Asylbewerber erinnern an die aufgeheizte Das-Boot-ist-voll-Debatte Anfang der 90er Jahre. Die AfD knüpft zudem an die konservative Gedankenwelt von Bundesministern wie Manfred Kanther (CDU) und Theo Waigel (CSU) an.
Doch. Auch heute sind das Schwerpunkte der Union. Doch die CSU war im Europa-Wahlkampf mit ihrer auf Ausländer gemünzten Parole „Wer betrügt, der fliegt“ und dem Herziehen über die EU-Kommission nicht erfolgreich. Und CDU und CSU bekamen unter Angela Merkel und Horst Seehofer bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent - mit einer liberaleren Einstellung zu Homosexuellen, mit einer neuen Definition von Familie, aber ohne einen Law-and-Order-Mann als Bundesinnenminister. So machte die Union die Erfahrung, dass ein Kurs der Mitte mehr Stimmen bringt als das Beharren auf konservativen Positionen.
Die AfD setzt sich für mehr Basisdemokratie ein – und steht damit im Kontrast zur CDU. Einige ihrer Mitglieder stammen außerdem aus der Konkursmasse kleinerer rechter, liberaler und konservativer Parteien. Ehemalige Angehörige von NPD und DVU können dagegen nicht Mitglied der AfD werden. Im Osten wirbt die Partei um DDR-Nostalgiker, die zwar den Sozialismus nicht zurückhaben wollen, aber zum Beispiel Elemente des alten Bildungssystems gut finden.
Ja - auch wenn die CDU in Brandenburg und Thüringen trotz Stimmenverlusten an die AfD zulegen konnte. Erstens hat die Union durch ihren Wandel hin zu einer modernen, urbanen Partei eine Flanke an ihrem rechten Rand aufgemacht und könnte weiter Konservative, die in der Union keine Heimat mehr sehen, verlieren. Und zweitens wirbelt die AfD die Parteienlandschaft so durcheinander, dass die Machtoptionen für die Union schwinden. Eine Koalition mit der AfD schließt die CDU genauso aus wie mit der Linken, und auf die FDP kann sie nicht mehr zählen. Unabhängig davon, dass Schwarz-Grün im Bund ein Novum wäre, könnte es mit den Grünen knapp werden - wenn die AfD denn 2017 in den Bundestag einzöge. Bliebe ein Bündnis mit der SPD - das sollte aber aus Sicht beider Parteien kein Dauerzustand sein.
Nicht einheitlich. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt: „Wir wollen die Wähler zurückgewinnen.“ Fraktionschef Volker Kauder (CDU) will die AfD ignorieren und sich mit ihren Politikern nicht einmal in eine Talkshow setzen. Wolfgang Bosbach vom konservativen „Berliner Kreis“ der CDU hält das für falsch. Viele Unionspolitiker raten inzwischen, sich intensiv mit der AfD auseinanderzusetzen. Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel ging im Brandenburger Wahlkampf deutlich auf die Grenzkriminalität ein, nachdem die AfD bei der Sachsen-Wahl damit punktete. Koalitionen mit der AfD schließt sie aber aus.
Die AfD stellt sich als Partei der braven Sparer und Steuerzahler dar, deren Wohlstand durch die Rettung maroder Banken und überschuldeter Euro-Länder gefährdet ist. Sie fordert, dass außer Flüchtlingen nur noch „qualifizierte und integrationswillige“ Ausländer nach Deutschland kommen dürfen und bemüht dafür gerne das Beispiel des Einwanderungslandes Kanada. Die AfD, die sich seit ihrem guten Abschneiden bei drei Landtagswahlen als „kleine Volkspartei„ bezeichnet, wettert gegen die in Deutschland inzwischen weit verbreitete Kultur der „politischen Korrektheit“. Ihrer Führungsriege gehören etliche Ex-Mitglieder von CDU und FDP an. Deshalb finden einige wertkonservative Wähler die Strategie der CDU, die AfD wie eine nicht-salonfähige Randgruppe zu behandeln, wenig glaubwürdig.
Nein. „Eintagsfliege“, „Protestpartei“ – diese Etiketten wurden der AfD in den ersten Monaten oft aufgeklebt. Doch im Gegensatz zu den Piraten, die sich lange vor allem der Selbstzerfleischung widmeten, halten sich die internen Streitereien noch im Rahmen. Außerdem hat sich die AfD rasch von einer Ein-Thema-Partei (Eurorettung) zu einer gemausert, die verschiedene Politikfelder besetzt.
Das geht über die Flüchtlingskrise hinaus?
Ja, es geht hier um den zentralen politischen Konflikt unserer Zeit. Der Nationalstaat verliert zunehmend Autonomie und Souveränität. In dem Maße wie er sich und seine Grenzen öffnet, werden diese zum zentralen politischen Konfliktgegenstand. Das sehen wir bei der europäischen Integration, in der Flüchtlingsfrage, bei der Internationalisierung der Finanzmärkte und der Globalisierung ganz generell. Die einen wollen daher die Grenzen schließen und hoffen, sich so schützen zu können. Die anderen möchten sie offenhalten, weil es wirtschaftlich von Vorteil ist.
Schadet oder nützt es der Demokratie, wenn Rechtspopulisten gesellschaftsfähig werden?
Es ist gut für die Demokratie, wenn die zentralen Konflikte nicht unter den Teppich gekehrt werden. Das macht die Kraft der Demokratie aus. Probleme werden kollektiv diskutiert und am Ende gilt die Entscheidung der Mehrheit.
Wie sollten deutsche Politiker mit Rechtspopulisten umgehen? Verteufeln oder den Dialog suchen?
Verteufeln ist unangemessen. Ein Beispiel: Manche Menschen haben nun die Sorge, dass sie wegen den Flüchtlingen ihren Arbeitsplatz verlieren. Meist sind diese Leute weniger gebildet und eher gering qualifiziert. Die politische Elite kann diesen Menschen nicht sagen, dass sie allesamt Idioten sind. Sie sollten sich ihre Ängste anhören und etwas tun, damit sie weniger besorgt sind. Das heißt ja nicht, dass man ihnen zustimmt.