Politikwissenschaftler Hanspeter Kriesi „Die AfD nicht verbieten, sondern einbinden“

Der Schweizer Politikwissenschaftler Hanspeter Kriesi erforscht seit Jahren rechtspopulistische Bewegungen in Europa. Im Interview erklärt er, warum die AfD keine Eintagsfliege ist und die CSU eine Schlüsselrolle hat.

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Quelle: dpa

Herr Professor Kriesi, die Flüchtlingskrise lässt AfD und Pegida erstarken. Rücken die Deutschen nach rechts?

Nein, das glaube ich nicht. Die meisten Menschen, die sich nun offen zu rechtspopulistischen Parteien oder Bewegungen bekennen, sind seit ihrer frühen politischen Sozialisierung stark konservativ, manche gar nationalistisch und gegen Flüchtlinge eingestellt. Diese Leute haben klare Wertepräferenzen, die relativ stabil sind.

Bei den Versammlungen von Pegida und AfD sprechen die Menschen offen über ihren Hass, den sie Flüchtlingen gegenüber empfinden. Das ist schon eine neue Qualität.

Die Flüchtlingskrise ist ganz gewiss ein Katalysator. Mit Pegida und der AfD gibt es jetzt Akteure, die die Sorgen vieler Menschen aufnehmen und öffentlich artikulieren. Daher stoßen beide auf so große Resonanz. Aber die Ablehnung von Flüchtlingen und Ausländern tragen die entsprechenden Bürger schon lange in sich. Dieses latente Potential wird durch die Krise entfaltet, wodurch die AfD stärker wird.

Zur Person

Wohin führt diese Entwicklung?

Deutschland hat seit dem Zweiten Weltkrieg wenige Erfahrungen mit nationalistischen und rechtspopulistischen Bewegungen gemacht. Bewegungen vom rechten Rand waren in Deutschland aufgrund der speziellen Deutschen Erfahrung mit dem Nationalsozialismus tabu. Deutschland hatte hier lange eine Sonderrolle inne. In vielen anderen europäischen Ländern – ob die Schweiz, Belgien, Holland, die meisten skandinavischen Länder oder Frankreich – haben sich in den vergangenen 30 Jahren rechtsnationale politische Kräfte aufgebaut. Das ist ein langfristiger Trend, der zu einer Renaissance des Nationalismus führt und der sich nun mit einiger Verspätung auch in Deutschland bemerkbar macht.

Deutschland muss sich also an Rechtspopulisten in der Politik gewöhnen?

Ich denke schon. Die AfD ist keine Eintagsfliege. Und selbst wenn diese Partei scheitern sollte, kommt eben eine andere, die die Sorgen der Menschen aufgreift. In der Schweiz haben knapp 30 Prozent der Menschen die rechtspopulistische SVP gewählt. In Deutschland dürfte das Potential ähnlich groß sein.

Die AfD – neue Volkspartei oder kurze Protestepisode?

Das geht über die Flüchtlingskrise hinaus?

Ja, es geht hier um den zentralen politischen Konflikt unserer Zeit. Der Nationalstaat verliert zunehmend Autonomie und Souveränität. In dem Maße wie er sich und seine Grenzen öffnet, werden diese zum zentralen politischen Konfliktgegenstand. Das sehen wir bei der europäischen Integration, in der Flüchtlingsfrage, bei der Internationalisierung der Finanzmärkte und der Globalisierung ganz generell. Die einen wollen daher die Grenzen schließen und hoffen, sich so schützen zu können. Die anderen möchten sie offenhalten, weil es wirtschaftlich von Vorteil ist.

Schadet oder nützt es der Demokratie, wenn Rechtspopulisten gesellschaftsfähig werden?

Es ist gut für die Demokratie, wenn die zentralen Konflikte nicht unter den Teppich gekehrt werden. Das macht die Kraft der Demokratie aus. Probleme werden kollektiv diskutiert und am Ende gilt die Entscheidung der Mehrheit. 

Wie sollten deutsche Politiker mit Rechtspopulisten umgehen? Verteufeln oder den Dialog suchen?

Verteufeln ist unangemessen. Ein Beispiel: Manche Menschen haben nun die Sorge, dass sie wegen den Flüchtlingen ihren Arbeitsplatz verlieren. Meist sind diese Leute weniger gebildet und eher gering qualifiziert. Die politische Elite kann diesen Menschen nicht sagen, dass sie allesamt Idioten sind. Sie sollten sich ihre Ängste anhören und etwas tun, damit sie weniger besorgt sind. Das heißt ja nicht, dass man ihnen zustimmt.

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