Politikwissenschaftler Hanspeter Kriesi „Die AfD nicht verbieten, sondern einbinden“

Seite 2/2

"Seehofers markige Ansagen können zu Verdruss führen"

Manche fordern Verbotsverfahren für AfD und Pegida. Was halten Sie davon?

Viele Äußerungen von AfD und Pegida sind grenzwertig, oft gehen sie zu weit. Allerdings  artikulieren sie die Gedanken vieler Bürger. Sie können den Menschen ja nicht ihre Meinung verbieten. Daher halte ich nichts davon, dass AfD oder Pegida verboten werden. Es ist besser sie einzubinden. Die AfD müsste dann Rechenschaft für ihre Politik ablegen. Und selbst wenn die Partei letztlich auf 30 Prozent käme, wäre sie immer noch eine Minderheit. Zugegebenermaßen eine große Minderheit. Aber sie hätten nicht die Macht im Land.

Aber ein Rechtsstaat wie Deutschland muss sich auch schützen.

Selbstverständlich. Wer Gesetze bricht, muss sich vor der Justiz verantworten. Dafür gibt es reguläre rechtsstaatliche Verfahren. Es gibt nur einen Unterschied zwischen dem, was viele Rechtspopulisten sagen und was sie tun. Sie provozieren mit übler Rhetorik…

 … und stellen sogar Grundrechte in Frage – beispielsweise das Asylrecht. Wann wird diese fundamentale Kritik systemgefährdend?

Ich weiß es nicht. Allerdings bezweifle ich, dass man solche Entwicklungen mit Verbotsverfahren unter Kontrolle bekommt.

Ein Kompromiss scheint jedenfalls nicht möglich.

Das stimmt. Deswegen wird in einer Demokratie auch nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt  diskutiert. Dann wird abgestimmt und entschieden. Da die Mehrheit bislang nicht AfD wählt, muss die sich als Minderheit damit begnügen, dass sie den anderen Parteien gewisse Zugeständnisse abringt. Mehr aber auch nicht.

CSU-Chef Horst Seehofer geht derzeit rhetorisch bis zum äußersten, kann aber nicht liefern. Führt das nicht zu noch mehr Verdruss?

Seehofer hofft wohl, dass er mit seinen markigen Ansagen diejenigen beruhigt, die so denken wie er. Sie bekommen das Gefühl, dass sie repräsentiert werden. Aber es stimmt schon. Wenn er Erwartungen weckt, die er nicht bedienen kann, kann das zu Verdruss führen. Das ist ein schwieriger Balanceakt.

Stimmt die These, dass letztlich die Rechtspopulisten profitieren, wenn die CDU und CSU ihnen nacheifert?

In Frankreich konnten wir das in der Tat beobachten. In Deutschland ist die Situation aber insofern etwas anders, als die CSU Teil der Bundesregierung ist. Der Konflikt zwischen Rechtspopulisten und Kosmopoliten wird also innerhalb der dominanten Regierungspartei ausgefochten und nicht zwischen Regierung und Opposition. Die Opposition ist quasi Teil der Regierung.

Als Schweizer konnten Sie viele Erfahrungen mit Rechtspopulisten in der Politik sammeln. Was raten Sie den Deutschen?

Deutschland vollzieht jetzt einen europäischen Trend nach. Am Anfang erscheint alles ganz schrecklich. In Frankreich war LePen Senior viel schlimmer als seine Tochter. Ein großer Teil findet sie immer noch schlimm. Aber sie hat sich ein Stück weit entradikalisiert, sodass sie für Leute wählbar wird, die ihren Vater nie gewählt hätten. Die Schweiz, Österreich, Dänemark und Norwegen haben gezeigt, dass man rechtspopulistische Parteien ein Stück weit bändigt, wenn man ihnen Verantwortung überträgt. Insofern rate ich den Deutschen zu ein wenig Gelassenheit. Die Welt wird nicht untergehen – trotz Nationalisten im politischen System.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%