
WirtschaftsWoche: Statt den Wiederaufstieg einzuläuten hat die FDP bei der Europawahl einen neuen Negativrekord aufgestellt. Waren Sie überrascht?
Oskar Niedermayer: Unmittelbar überrascht hat mich das Ergebnis nicht, denn es hatte sich ja in den Vorwahlumfragen angedeutet. Dennoch ist es ein absolutes Desaster für die Partei.
Nach der Bundestagswahl lautete eine Deutung des schlechten Ergebnisses der FDP: Jetzt ist sie auf ihren Wählerkern zurückgeworfen, tiefer kann es zumindest nicht mehr gehen.
Das war ein Fehlschluss. Denn es gab ja trotz aller Versuche der Union, die Zweitstimmenkampagne abzuwehren, einige unionsorientierte Wähler, die der FDP ihre Stimme gegeben haben aus strategischen Gründen. Das zeigen die Umfragen deutlich. Jetzt scheint es wirklich so, als sei die FDP allein auf ihre Kernwähler zurückgeworfen. Nur sind das halt nicht fünf, sondern drei Prozent.
Vor der Bundestagswahl konnte man eine Vielzahl von Fehlern benennen, die den Abstieg begründet haben. Solche Fehler zumindest hat die Partei seitdem nicht mehr gemacht.
Keine Fehler zu machen, genügt aber nicht mehr. Die FDP hat seit der Wahl zwei neue Probleme. Wenig Einfluss hat sie auf die Tatsache, dass sie nach einigen Tagen der Aufregung nach der Bundestagswahl fast völlig aus der Berichterstattung verschwunden ist. Das ist für eine kleine Partei ganz, ganz negativ. Denn nur über die Medien kann sie sich bei den Wählern bekannt machen. Zudem hat die Partei ein massives Imageproblem. Viele Wähler sagen: Die FDP wird nicht mehr gebraucht. Das unterscheidet sich von der Frage, ob eine liberale Partei noch gebraucht wird.





Hat eine Partei es überhaupt noch in der Hand, wenn das negative Bild sich einmal so verfestigt hat?
Genau da liegt das Problem, denn die FDP hat nur noch sehr begrenzten Einfluss auf ihr Bild, gerade weil sie so wenig wahrgenommen wird. Ihre einzige Chance ist jetzt, dass sie sich wieder ein inhaltliches Alleinstellungsmerkmal erarbeitet.
Was könnte das sein?
So hart das klingt: Inhaltlich wird der FDP von den Wählern so gut wie gar nichts mehr zugetraut. Die Partei hat den vielleicht größten Fehler gemacht, als sie vor der Bundestagswahl die kritische Haltung zum Mindestlohn aufgegeben hat. Der Konflikt um die Grenzen des Sozialstaats ist in Deutschland die entscheidende Grundsatzfrage. Und in der hat die FDP dadurch ein Alleinstellungsmerkmal verloren. Jetzt ist die AfD in die Lücke hineingestoßen.
Die gängige Interpretation lautet doch: Die AfD ist im Kern konservativ, ihre Wähler gewinnt sie von der Union.
Aber in wirtschaftlichen Fragen ist die AfD eine marktliberale Partei. Da macht sie der FDP Konkurrenz.

Aber es hat doch nur sehr geringe Wählerwanderungen zwischen den Parteien gegeben.
Das stimmt gar nicht. Da wird nicht sauber verglichen. Es sind seit der Bundestagswahl ungefähr 500.000 Wähler von der Union zur AfD gekommen und 50.000 von der FDP. Im Verhältnis zur Gesamtstimmenzahl der. Parteien sind das ähnliche Größen.
Kann die AfD die FDP ersetzen?
Nicht auf ganzer Linie. Aber eben im ökonomischen Bereich, wo die FDP lange die marktliberale Partei im Parteiensystem war. Wem solche Positionen am wichtigsten sind, der gibt seine Stimme jetzt lieber einer Partei mit sechs Prozent als einer mit drei Prozent, weil letztere nichts bewegen kann.