Porträt Michel, Alster, Olaf Scholz

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"Liberal, nicht doof"

Scholz verachtet Blender, die nur reden, aber nichts auf die Reihe kriegen. Sobald er auf irgendeiner Position auflief, zu der ihn das politische Schicksal geführt hatte (und er die Aufstellung noch nicht bestimmen konnte), wollte er ein gutes, ein sehr gutes Spiel machen. Das ist er schon seinem eigenen Selbstbewusstsein schuldig. 

Als Kurzzeit-Innensenator in Hamburg gab er den knochenharten Law-and-Order-Mann, nannte sich „liberal, aber nicht doof“ und ordnete im Kampf gegen Hamburgs Drogendealer auch den Einsatz von Brechmitteln an. Als SPD-Generalsekretär fiel er kurz mit schräg-martialischen Tönen auf („Die SPD muss die Lufthoheit über den Kinderbetten zurückgewinnen“), und verteidigte ansonsten mit Tunnelblick die Agenda 2010 gegen Tumulte in der eigenen Partei. Napoleon nannten Genossen ihn damals. Oder Beton-Olaf.

Wer heute mit Scholz über den General von damals spricht, erhält eine Kostprobe seiner Ironie und erworbenen Gelassenheit: „Meine wichtigste Aufgabe war ja, flapsig gesprochen, nicht durch das Setzen eines falschen Kommas eine neue Krise auszulösen. Das beeinträchtigt die rhetorische Brillanz bisweilen.“ War nicht seine beste Zeit, das sagen auch ihm sonst wohlgesinnte Weggefährten.

Scholz führt keinen Wahlkampf

Den Respekt der Parteifreunde, den holt er sich in den Jahren als Bundesarbeitsminister der großen Koalition zwischen 2007 und 2009 zurück. Hier ist Scholz vom Fach. Die Ausweitung der Kurzarbeit in der schweren Rezession 2009, die den Arbeitsmarkt über den historischen Wirtschaftseinbruch rettet, versöhnt die SPD recht nachhaltig mit ihm. 

Die Jahre in Berlin sind aber auch jene des kühlen Lokal-Strategen, der politische Opfer organisieren kann. Zweimal hätte Scholz in seiner Heimat als Spitzenkandidat antreten können, 2004 und 2008, beide Male entzieht er sich einer drohenden Niederlage gegen den populären Ole von Beust (Wahlkampf-Slogan: „Michel - Alster – Ole“). Stattdessen findet er SPD-Kandidaten, die sich klaglos in ihr Verliererschicksal fügen.  Erst als von Beust 2010 abtritt und die Rathausbühne kurz dem gebürtigen Heidelberger Christoph Ahlhaus überlässt, dem so gar kein Blazer stehen will, sieht Scholz seine Chance und greift ohne Zögern zu. Seither gibt Scholz mit sicherem Instinkt seinem „Hamburch“ das, was es will: kühle Liebe und Respekt, der sich nicht anbiedert. 

Seither gilt: Michel - Alster - Olaf. Nun für weitere fünf Jahre.

Er führte dafür keinen Wahlkampf, zumindest nicht, wenn man Wahlkampf als etwas begreift, das begeistern oder aufwühlen soll. Anfang Februar stand der Kandidat in einem Theatersaal in Hamburg-Dulsberg, einer der eher schlichten Gegenden der Stadt. „Olaf Scholz im Gespräch“ hieß das erprobte Format, mit dem er seit Jahren durch die Bezirke tourt und das in den Wochen vor der Bürgerschaftswahl in deutlich erhöhter Taktzahl stattfand.

Jeder zehnte Einwohner Hamburgs lebt von Hartz-IV

Rund 200 Interessierte hörten dem Bürgermeister eine halbe Stunde zu, wie er ohne Pathos oder Prahlen, ohne großes Drehen am Leidenschaftsregler, seine Botschaft variierte: Wir haben geliefert.  Wohnungsbau, kostenfreie Kitas, Arbeitsplätze. Fertig, Mundabputzen. 

Eine Stunde lang beantwortete Scholz danach Fragen aus dem Publikum. „Ich will Ihnen hier nichts versprechen“, sagte er mehrmals. Er hörte geduldig zu, parierte Kritik an schlechten Radwegen oder Skepsis über das Freihandelsabkommen TTIP.  Nur ein, zwei Mal bekamen seine Antworten unvermittelt eine deutliche Schärfe, wenn er bei seinem Gegenüber Unkenntnis oder Denkschwäche witterte, im schlimmsten Falle beides. „Ich weiß, wo Sie das gelesen haben, aber es ist falsch.“ Man kann sich dann den Ton vorstellen, der bisweilen im Senat herrscht. 

Es ist ja auch nicht so, dass diese im behaglichen, satten Wohlstand sich suhlende Metropole keine Probleme hätte. Und es ist auch nicht so, dass Scholz auf alle drängenden Fragen Antworten kennt.  Immerhin jeder zehnte Einwohner lebt von Hartz IV, mehr als im bundesdeutschen Durchschnitt, und die Schulen sind im Bundesvergleich eher mittelmäßig. Hamburgs Universitäten fehlt es an Strahlkraft, um es mit Berlin oder München aufnehmen zu können. Was es nach hanseatischer Auffassung für ein gelingendes Leben brauchte, lernten die Söhne der Stadt einst eben in Londoner Kontorhäusern und nicht in Hörsälen. So etwas wirkt nach. Und im Schöngeistigen verwechselte man ernsthafte Kulturpolitik an der Elbe schon immer gerne mit der Ansiedlung von schmissigen Musicals. 

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