Postwachstum Die Freiheit, nicht wachsen zu müssen

Dass Unternehmen wachsen sollen, gilt als selbstverständlich. Ist es aber nicht. Sehr viele Unternehmen wachsen nicht - und leben gut damit. Weil sie unabhängig von Kapitalinteressen sind.

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Der Irrsinn des endlosen Wachstums Quelle: Marcel Stahn

Wer nicht wächst, stirbt. So oder so ähnlich lautet meist die Antwort von Ökonomen und anderen vorgeblichen Experten auf die scheinbar so naive Frage, warum denn ein Unternehmen wachsen solle oder gar müsse.

Will nicht jeder Unternehmer seinen Reichtum mehren? Außerdem: Wer weniger Gewinn als der Konkurrent macht, wer nicht besser, schneller, größer, profitabler als sein Wettbewerber wird, fällt zurück, geht irgendwann ein. Oder etwa nicht? So ähnlich erklärt auch in Lewis Carrolls Kinderroman „Alice im Wunderland“ die „rote Königin“ die Zustände in ihrem Land: “Du musst so schnell laufen wie du kannst, um an der gleichen Stelle zu bleiben. Und wenn du woanders hin willst, dann musst du mindestens doppelt so schnell laufen.”

Doch ist der Wachstumszwang für Unternehmen tatsächlich ein unumgängliches Gebot, wie die Ökonomen uns weismachen? Ist es nicht eher selbstverständlich, dass in einer begrenzten Welt nichts endlos wachsen kann?

Jenseits großer öffentlicher Aufmerksamkeit gibt es tausende Unternehmen, die nicht mehr wachsen und trotzdem nicht zugrunde gehen. Jeder kennt solche Unternehmen. Die Metzgerei von nebenan könnte dazugehören, der örtliche Gärtnereibetrieb oder der Heizungsinstallateur.

Es sind Unternehmen wie die „Möbelmacher GmbH“  in Kirchensittenbach in Bayern. Schreinermeister Herwig Danzer und seine 15 Angestellten fertigen und reparieren Massivholzmöbel vom einzelnen Regal bis zur kompletten Einrichtung. Danzers Schreinerei ist nur eines von elf Unternehmen, die das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in seinem Projekt „Postwachstumspioniere“ präsentiert. Eine Gärtnerei in Oberbayern gehört dazu, ein Spielwarenhandel in Rostock, ein IT-Dienstleister in Bremen, eine seit 1891 existierende Schnürsenkel-Flechterei in Wuppertal.

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Wachstum kann zum Risiko werden

Natürlich war jedes stagnierende Unternehmen einmal ein wachsendes Unternehmen. Als Herwig Danzer 1988 seinen Schreinerbetrieb gründete, bestand dieser nur aus seinem Kompagnon und ihm selbst, die in einer gemieteten Werkstatt hobelten und leimten. Der Erfolg des Konzepts, aus regionalem Holz individuelle, ökologische Möbel zu fertigen, ermöglichte die Expansion. 15 Mitarbeiter beschäftigen die beiden Gründer mittlerweile. Aber seit einiger Zeit ist weiteres Wachstum kein Ziel mehr. Denn das würde die Werte und Qualitäten des Unternehmens gefährden, die für den Erfolg in seiner Marktnische entscheidend sind: Die Möbelmacher stehen für Qualität, Nachhaltigkeit und Regionalität.

„Wachstum kann hilfreich sein für unsere Unternehmensziele“, sagt Herwig Danzer, „bis zu der Schwelle, ab der es zum Risiko wird. In zusätzliche Kapazitäten zu investieren, wäre für uns eher eine Selbstmordaktion als eine Wachstumsstrategie.“

Auch Harald Rossol, Gründer des IT-Dienstleisters brm, hat mit seinen fünf Mitarbeitern nach eigener Ansicht die optimale Größe erreicht. Platz für mehr Angestellte hätte er in seinem Loftbüro und neue potentielle Kunden, so sagt er, könnte er auch gewinnen. Aber er will nicht. „Wenn ich zusätzliche Aufträge annehme, muss ich auch mehr arbeiten, neue Mitarbeiter einstellen und hierarchische Strukturen aufbauen“, sagt Rossol. Das heißt nicht, dass er keinen Ehrgeiz hat und bei brm stets alles beim Alten bleibt. Rossol sucht dauernd nach Möglichkeiten, effizienter zu werden und zu sparen. Doch die erwirtschafteten Ertragssteigerungen fließen nicht zuletzt in Lohnsteigerungen für die Mitarbeiter.

Nur inhabergeführte Firmen verzichten auf Wachstum

Durch Größenwachstum, ist Rossol überzeugt, würde nicht nur die Qualität seiner Dienstleistungen leiden. Die Unternehmenskultur würde leiden, glaubt er. Das vertrauensvolle Miteinander im kleinen Team wäre gefährdet. Rossol selbst müsste sich aus dem operativen Geschäft zurückziehen und würde den direkten Kundenkontakt verlieren. Und das alles will er nicht.

Die Ökonomen des IÖW haben aus ihrem Projekt vor allem eine Erkenntnis gewonnen: Immer weiter wachsen zu müssen, ist kein Wesensbestandteil des Unternehmertums an sich. Von 697 kleinen und mittleren Unternehmen mit bis zu 499 Beschäftigten, die an einer nicht repräsentativen  Umfrage im Rahmen des IÖW-Projekts teilnahmen, streben 34 Prozent kein oder kaum weiteres Wachstum an, 25 Prozent schließen es nicht aus, haben aber kein strategisches Wachstumsziel, nur 2 Prozent sind „auf starkes Wachstum ausgerichtet“.

Wer vom Boom bei den Öko-Lebensmitteln profitiert

Jenseits der öffentlichen Wachstumsfixierung der Standard-Ökonomie, der Politik und des Wirtschaftsjournalismus gibt es also ein Wirtschaftsleben in selbstgewählter, bewusster Stagnation. So sehr stehen diese Unternehmen aber bislang im Schatten der Aufmerksamkeit, dass die betriebswirtschaftliche Frage, wie man ein solches Postwachstumsunternehmen führt, bei Hochschulen, ökonomischen Instituten und Industrie- und Handelskammern noch nicht einmal aufgekommen ist. Ein gigantisches Versäumnis, angesichts des auch von Ökonomen und Wirtschaftspolitikern nicht mehr zu ignorierenden Rückgangs der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsmöglichkeiten. In die Lücke stoßen nur Außenseiter der Wirtschaftswissenschaft wie das IÖW.

Was haben die nicht wachsen wollenden und müssenden Unternehmen gemeinsam? Was unterscheidet sie von den im Fokus der Aufmerksamkeit sehr viel präsenteren Wachstumsunternehmen und jenen, für die Stagnation eine Katastrophe ist? Es sind kleine bis mittlere Unternehmen, in denen nicht nur Bilanzzahlen, sondern vor allem Qualitäten eine große Rolle spielen. Die Qualität der Produkte und die Qualität des Arbeitslebens der Angestellten.

IÖW-Unternehmensexpertin Jana Gebauer hat in der Projektstudie festgestellt, dass die „Postwachstumspioniere“ sich durch den Aufbau verlässlicher Partnerschaften zu anderen Unternehmen gegen Marktrisiken schützen können. Andere Unternehmen sehen sie oft eher als Mitstreiter oder „Kollegenfirmen“ denn als Konkurrenten.

Die zehn größten Bio-Mythen
Mythos 1: Bioprodukte sind gesünderZwar gibt es Studien, die belegen, dass ökologische Lebensmittel mehr Vitamine und Nährstoffe enthalten – doch andere Untersuchungen widersprechen hier. Daher gibt es keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass Bio mit „gesünder“ gleichzusetzen ist. Anders sieht das bei der Pestizidbelastung aus: Hier schneiden Bio-Lebensmittel in der Regel wesentlich besser ab.  Quelle: Welt.de Quelle: dpa
Mythos 2: Bioprodukte sind teurerDer Mehraufwand, etwa für artgerechte Tierhaltung, muss bezahlt werden: 30 bis 100 Prozent kosten Bio-Produkte im Durchschnitt mehr. Doch in vielen Bereichen ist der Preisunterschied zwischen Produkten aus ökologischer und denen aus konventioneller Landwirtschaft kaum noch spürbar – erst recht, seitdem es auch immer mehr Bio-Ware in den Discountern gibt. Bei Obst und Gemüse, etwa bei Karotten oder Äpfeln,  ist der Preisunterschied oft schon verschwunden. Deutlich spürbar bleibt er jedoch bei Fleisch. Quelle: dpa
Mythos 3: Bio-Produkte sind transparentDas stimmt so nicht. Die Vielzahl an unterschiedlichen Siegeln, vom deutschen über das europäische Bio-Siegel bis zu Demeter oder Bioland, ist für Verbraucher kaum zu überschauen – zumal bei allen Kennzeichnungen unterschiedliche Richtlinien gelten. Anbauverbände wie Demeter stellen in der Regel die strengsten Anforderungen, das europäische Bio-Siegel bietet hingegen nur den Mindeststandard.    Quelle: dpa
Mythos 4: Bio ist ein NischenproduktDas galt nur in den Anfangsjahren. 2013 kletterten die Umsätze der Bio-Branche um stattliche 7,2 Prozent auf 7,55 Milliarden Euro, meldet der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Im Öko-Barometer des Bundesernährungsministeriums heißt es, dass inzwischen drei von vier Verbrauchern beim Lebensmitteleinkauf auch nach ökologisch hergestellter Ware greifen. Dabei sind die Konsumenten vor allem junge Verbraucher unter 30 Jahren. Für Gerald Herrmann, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Organic Services, keine Überraschung: „Die jungen Generationen sind vielfach damit aufgewachsen, für sie ist Bio selbstverständlich geworden." Quelle: dpa
Mythos 5: Bio ist bei Bauern beliebtLandwirte, die Bio-Landbau betreiben wollen, haben mit vielen Hürden zu kämpfen. Zum Beispiel mit dem Flächenproblem: Durch die Subventionierung von Energiemais für Biogasanlagen, die durch das EEG festgelegt ist, können sich viele Öko-Betriebe die teuren Pachtpreise nicht mehr leisten. Zudem gibt es Umstellungsfristen von zwei bis drei Jahren, in denen die Landwirte zwar ökologisch produzieren, ihre Ware aber nur zu den Preisen für konventionelle Ware verkaufen dürfen. Quelle: dpa
Mythos 6: Bio ist regional und nachhaltigDie Nachfrage nach Bio-Produkten wächst schnell – die Größe der Anbaufläche und die Zahl der Bauern können da hierzulande nicht mithalten. Deutschland fehlen Tausende Biobauern. Dadurch wird viel importiert: Jede dritte Bio-Kartoffel stammt aus dem Ausland, bei Möhren, Äpfeln und Gurken ist es etwa die Hälfte. Besonders krass ist es bei Bio-Tomaten und –Paprika, sie stammen zu 80 beziehungsweise über 90 Prozent aus allen Ecken der Welt. Wie nachhaltig eine Bio-Kartoffel aus Ägypten, die intensiv bewässert werden muss, dann noch ist, ist äußerst fraglich. Quelle: dpa
Mythos 7: Bio-Produkte enthalten keine ZusatzstoffeDas kann man pauschal so nicht sagen. Insgesamt 50 der knapp 320 zugelassenen Zusatzstoffe wie Aromen oder Konservierungsmittel sind nach der EU-Öko-Verordnung auch für Bio-Lebensmittel zugelassen, sofern das Produkt ohne diese Zusätze nicht hergestellt oder haltbar gemacht werden kann. Quelle: dpa

Vor allem aber sind es durchwegs inhabergeführte Unternehmen. Die Entscheidung nicht oder zumindest nicht unbedingt wachsen zu wollen, liegt hier beim freien Unternehmer selbst, der sich nicht nur von inneren, sondern auch von äußeren Expansionszwängen frei gemacht hat.

Der Wachstumsdruck nämlich kommt – wenn er nicht in den Köpfen der Unternehmer steckt – vor allem von renditehungrigen Kapitalgebern.  Zu den Postwachstumspionieren des IÖW gehört nicht zufällig kein Unternehmen, das nicht von den Unternehmern selbst geführt wird.

Alle betonen, wie die Autoren des IÖW feststellen, ihre Unabhängigkeit von Kapitaleignern und Finanzinstituten: „Mit ihrer Maxime, Geschäftstätigkeit und Investitionsbedarf aus eigenen Mitteln zu decken und Erträge im Wesentlichen zu reinvestieren, gelingt es den Unternehmer/innen, Kredite nur begrenzt aufnehmen zu müssen.“

Wachstumsdruck durch Investoren

Ein von Managern geführtes Unternehmen in Investorenbesitz ist bei den Postwachstumspionieren nicht dabei. Wer ein Unternehmen allein als Investition für Kapital sieht, der will es in aller Regel mehren – und nichts sonst.

Damit sind wir beim Knackpunkt, den auch die Postwachstumspropheten des IÖW nicht laut ansprechen. Vermutlich weil hier der ungeheure Widerstand offenbar wird, mit dem es alle zu tun bekommen, die die Verzichtbarkeit von Wirtschaftswachstum öffentlich propagieren: Für den Finanzsektor, für Investoren (und darum letztlich auch für die Wirtschaftspresse) sind Postwachstumspioniere uninteressant.

Darüber hinaus sind sie sogar gefährlich: Wenn sich die Ansicht durchsetzen sollte, dass Unternehmen grundsätzlich nicht mehr wachsen müssen, könnten schließlich immer mehr potentielle Schuldner auf die Idee kommen, dass sie nicht unbedingt auf Risikofinanzierungen aus dem Bankensektor angewiesen sind. Einem Großteil der Finanzbranche bliebe nur die Frage, mit der sich einst Heide Simonis aus der politischen Wichtigkeit verabschiedete: „Und was wird dann aus mir?“

Denn eine Steady-State-Economy, eine stabile, nicht mehr expandierende Volkswirtschaft, wie sie auch vielen liberalen Wirtschaftstheoretikern – von John Stuart Mill bis zu Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack – als eigentlich erstrebenswertes Ziel einer verantwortungsvollen Wirtschaftspolitik erschien, kann keine von der Finanzwirtschaft dominierte Volkswirtschaft sein. In ihr würde schließlich die Perspektive der Investoren, die heute auf Makro- wie auf Mikroebene das Wirtschaftsleben dominiert, nur eine Nebenrolle spielen.

Eine Postwachstumswirtschaft steht nicht im Widerspruch zur Freiheit des Marktes und zum Unternehmertum an sich. Die Untersuchungen des IÖW bestätigen hier was John Stuart Mill und andere Ökonomen schon im 19. Jahrhundert wussten. Wohl aber besteht ein grundlegender Widerspruch zur Dominanz des Finanzsektors und dem Vorrang der Kapitalinteressen. Die Postwachstumswirtschaft hat nicht weniger als die Entmachtung des Finanzsektors und die Enttäuschung der Renditeerwartung der Investoren – von Warren Buffet bis zum kleinen Sparer – zur Bedingung.

Und weil das so ist, wird der Postwachstumsdiskurs, so unvermeidlich er angesichts der immer deutlicher werdenden Grenzen der Belastbarkeit der Natur und der Gesellschaft ist, bislang nur akademisch geführt. Im politischen Betrieb dagegen wird die Frage nach dem drohenden Ende der Wachstumsmöglichkeiten wie zuletzt in der kläglich gescheiterten Enquete-Kommission des Bundestags „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ von interessierten Kreisen unter den Teppich gekehrt.

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