Postwachstum Die Freiheit, nicht wachsen zu müssen

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Wachstumsdruck durch Investoren

Ein von Managern geführtes Unternehmen in Investorenbesitz ist bei den Postwachstumspionieren nicht dabei. Wer ein Unternehmen allein als Investition für Kapital sieht, der will es in aller Regel mehren – und nichts sonst.

Damit sind wir beim Knackpunkt, den auch die Postwachstumspropheten des IÖW nicht laut ansprechen. Vermutlich weil hier der ungeheure Widerstand offenbar wird, mit dem es alle zu tun bekommen, die die Verzichtbarkeit von Wirtschaftswachstum öffentlich propagieren: Für den Finanzsektor, für Investoren (und darum letztlich auch für die Wirtschaftspresse) sind Postwachstumspioniere uninteressant.

Darüber hinaus sind sie sogar gefährlich: Wenn sich die Ansicht durchsetzen sollte, dass Unternehmen grundsätzlich nicht mehr wachsen müssen, könnten schließlich immer mehr potentielle Schuldner auf die Idee kommen, dass sie nicht unbedingt auf Risikofinanzierungen aus dem Bankensektor angewiesen sind. Einem Großteil der Finanzbranche bliebe nur die Frage, mit der sich einst Heide Simonis aus der politischen Wichtigkeit verabschiedete: „Und was wird dann aus mir?“

Denn eine Steady-State-Economy, eine stabile, nicht mehr expandierende Volkswirtschaft, wie sie auch vielen liberalen Wirtschaftstheoretikern – von John Stuart Mill bis zu Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack – als eigentlich erstrebenswertes Ziel einer verantwortungsvollen Wirtschaftspolitik erschien, kann keine von der Finanzwirtschaft dominierte Volkswirtschaft sein. In ihr würde schließlich die Perspektive der Investoren, die heute auf Makro- wie auf Mikroebene das Wirtschaftsleben dominiert, nur eine Nebenrolle spielen.

Eine Postwachstumswirtschaft steht nicht im Widerspruch zur Freiheit des Marktes und zum Unternehmertum an sich. Die Untersuchungen des IÖW bestätigen hier was John Stuart Mill und andere Ökonomen schon im 19. Jahrhundert wussten. Wohl aber besteht ein grundlegender Widerspruch zur Dominanz des Finanzsektors und dem Vorrang der Kapitalinteressen. Die Postwachstumswirtschaft hat nicht weniger als die Entmachtung des Finanzsektors und die Enttäuschung der Renditeerwartung der Investoren – von Warren Buffet bis zum kleinen Sparer – zur Bedingung.

Und weil das so ist, wird der Postwachstumsdiskurs, so unvermeidlich er angesichts der immer deutlicher werdenden Grenzen der Belastbarkeit der Natur und der Gesellschaft ist, bislang nur akademisch geführt. Im politischen Betrieb dagegen wird die Frage nach dem drohenden Ende der Wachstumsmöglichkeiten wie zuletzt in der kläglich gescheiterten Enquete-Kommission des Bundestags „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ von interessierten Kreisen unter den Teppich gekehrt.

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