Präsidentenwechsel Hartnäckiger Verbraucherschützer wird neuer Chef der Bundesnetzagentur

Klaus Müller ist ehemaliger Chef des Bundes Verbraucherschützer. Ab März diesen Jahres soll er nun Präsident der Bundesnetzagentur werden. Quelle: imago images

Der langjährige Grünenpolitiker Klaus Müller übernimmt die Aufsicht über die regulierten Netzindustrien. Seine Mission lautet: Im Zweifel für den Kunden. Die Unternehmen müssen sich warm anziehen

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Während man auf den Fluren der Bundesnetzagentur in Bonn noch rätselte, wer dem Ende Februar ausscheidenden Präsidenten Jochen Homann denn wohl nachfolgen würde, hatte Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) längst schon mit einem alten Bekannten aus Kieler Zeiten gesprochen. Klaus Müller, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen und fünf Jahre lang Umweltminister in Schleswig-Holstein, kennt Habeck noch aus den gemeinsamen politischen Anfangstagen in Kiel, wo Müller studiert und für die Investitionsbank des Landes gearbeitet hatte. Ab März diesen Jahres nun soll der 50-jährige Diplom-Volkswirt und langjährige Verbraucherschützer neuer Präsident der Bundesnetzagentur (BNetzA) werden – das Vorschlagsrecht für diesen Posten hatten sich in den Koalitionsverhandlungen die Grünen gesichert.

Alter Bekannter von Robert Habeck

Müller, der nach außen stets freundlich auftritt, aber intern für einen straffen Führungsstil bekannt ist, soll nach dem Willen der grünen Führungsspitze die Wirtschaftspolitik in den netz- und leitungsgebundenen Sektoren nicht nur ökologischer, sondern auch verbraucherfreundlicher machen; eine Zielrichtung, die von der öffentlichen Wahrnehmung her oft im Schatten des Klimaschutzes steht, aber ein zentrales Anliegen der Grünen darstellt. Insofern dürfte die Personalie in den Etagen der großen Netzkonzerne wie Deutsche Telekom, Deutsche Bahn, Deutsche Post/DHL sowie bei den Stromnetzbetreibern mit Spannung und wohl auch mit Sorge aufgenommen werden. 

Müller, der nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik von 2006 bis 2014 den Verbraucherzentralen in Nordrhein-Westfalen vorstand, ehe er die Spitze beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) übernahm, gilt als engagierter und hartnäckiger Anwalt der Verbraucher. Unter seiner Führung wurde das Beratungsnetz ausgebaut und aktiv gegen große Unternehmen geklagt. Müller gewann zahlreiche Verbandsklagen, so etwa gegen den Stromversorger RWE oder die Deutsche Telekom

Dass er alle rechtsstaatlichen Mittel ausschöpft, zeigt auch eine von ihm initiierte Kooperation mit dem Landeskriminalamt in NRW. Als 2018 die neue Musterfeststellungsklage ins Gesetzblatt kam, nutzte Müller das Instrument für eine Klage gegen den Volkswagenkonzern. Hier ging er zur Unterstützung eine Kooperation ein – diesmal mit dem mitglieder- und finanzstarken Automobilclub ADAC.

Neuer Fokus bei der Regulierung

In seinem neuen Amt wird Müller diese Politik fortsetzen – das ist schließlich der politische Auftrag hinter seiner Berufung. Die BNetzA reguliert zentrale, leitungs- und netzgebundene Branchen in Deutschland: Die Telekommunikation, den Strommarkt und die Bahn; außerdem kümmert sich die Behörde mit Sitz im alten Bonner Regierungsviertel auch um die Regulierung des Post- und Paketmarkts. Zugeordnet sind die Aufsicht über Stromnetze und Post dem Bundeswirtschaftsministerium, die Aufsicht über Telekomunikation und Bahn dem Bundesverkehrsministerium unter Führung von Volker Wissing (FDP).

Entscheidung über Nord Stream II noch offen

Interessant wird ferner auch, wie Müller als kommender Präsident in der anhängigen Entscheidung über die Betriebsgenehmigung von Nord Stream II entscheidet. Die Grünen waren von Anfang an gegen das Projekt, die SPD und die FDP neigen eher der Position zu, die fertig gebaute Pipeline auch zu nutzen – solange Russland nicht Krieg gegen die Ukraine führt.

(Lesen Sie mehr: Nach einer exklusiven Umfrage für die WirtschaftsWoche wünschen sich zwei Drittel der Deutschen die Inbetriebnahme von Nordstream II.)
 

Müller kommt im neuen Amt zupass, dass sich der Aufgabenbereich der BNetzA stark erweitert hat. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen die Netzagentur noch Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post hieß. Im Sommer 2005 schon bekam die Bonner Institution mit dem neuen Namen auch neue Aufgaben – unter anderem eine deutlich gestärkte Rolle im Verbraucherschutz. Und trotzdem prägt vor allem die Regulierung der verschiedenen Netze und Dienste bis heute Bild und Image der Behörde.

Zu Unrecht. Denn tatsächlich ist die BNetzA inzwischen Deutschlands größte, allerdings vermutlich auch unbekannteste Verbraucherschutzbehörde. Ein erheblicher Teil der rund 3000 Beschäftigten in Bonn und den übrigen bundesweit gut 25 Standorten befasst sich mit Verbraucherthemen. Sie reichen von der Sanktionierung unerlaubter Telefonwerbung und Abo-Fallen über streitige Abrechnungen bei Energieversorgern bis zur Überprüfung der Leistungen im Postdienst.

Schwerpunkt Verbraucherschutz

Wo und wann immer sich Bürgerinnen und Bürger in einem der überwachten Märkte von Anbietern und Netzbetreibern übervorteilt fühlen, können sie sich an die jeweiligen Verbraucherschutzabteilungen der Behörde wenden. Und immer häufiger greifen die Beamten anschließend zu teils drastischen Sanktionen. 2020 etwa setzte die BNetzA alleine wegen unerlaubter Werbeanrufe Bußgelder von rund 1,35 Millionen Euro gegen die Verantwortlichen fest. 2021 dürfte die Summe noch deutlich höher liegen und 1,6 Millionen Euro vermutlich überstiegen haben.

Die Beschlüsse treffen aber nicht bloß die Werbenden, sondern schlagen sich regelmäßig auch in den Büchern der Netzbetreiber nieder. Etwa, wenn die Bonner Beamten im Nachgang zu betrügerischen oder anders gesetzwidrigen Anrufen pro Jahr mehrere Tausend sogenannte Inkassoverbote aussprechen. Sie schützen die Verbraucher vor ungerechtfertigten, überhöhten und illegalen Telefonrechnungen. Gerade im Fall überteuerter Telefonverbindungen ins Ausland, über die Telefonbetrüger erkleckliche Summen zu ergaunern versuchen, bleiben die Netzbetreiber dann regelmäßig auf den entstandenen Kosten sitzen.

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Doch trotz dieser Sanktionsmacht fristet der Verbraucherschutz sowohl in der Außenwahrnehmung als auch in der Innengewichtung der Netzagentur bisher eher ein Schattendasein: Im jüngsten Jahresbericht der Behörde von 2020 entfielen von rund 175 Seiten gerade einmal 30 auf den Verbraucherschutz. 

Unter Klaus Müller dürfte sich das Verhältnis künftig deutlich verschieben.

Mehr zum Thema: Klimaminister Robert Habeck muss den Ausbau der erneuerbaren Energien drastisch beschleunigen. Doch in den ersten Wochen seiner Amtszeit wächst der Rückstand. So steht es um die Energiewende in Deutschland.

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