Privatisierung Mieter wollen gepflegt werden

Die öffentlichen Haushalte sind überschuldet, der Immobilienmarkt boomt. Eigentlich müssten deutsche Städte gerade reihenweise ihre Wohnungsbestände verkaufen. Wäre da nicht der Fall Dresden.

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Ein Schild mit der Aufschrift

Mieter und Hühner, der Umgang mit diesen beiden komplizierten Spezies folgt aus Sicht von Worna Zohari dem gleichen Prinzip. „Man hat nur etwas von ihnen, wenn sie Eier legen“, sagt er, wobei die Eier der Mieter in seiner Sprache ihre Mietzahlungen sind. Deshalb darf man sie nicht allzu schlecht behandeln. Zohari saß einige Jahre im Vorstand des Immobilienkonzerns Gagfah, seit 2010 ist er als Immobilienberater und selbstständiger Investor tätig und fasst sein Geschäft unbescheiden zusammen: „An allen großen Wohnimmobilientransaktionen der vergangenen Jahre war ich beteiligt.“ Zurzeit ist er deshalb viel unterwegs.

Allein im ersten Quartal 2012 haben nach Angaben des Maklerhauses CBRE in Deutschland Wohnungspakete im Wert von 3,5 Milliarden Euro den Besitzer gewechselt, das ist bereits mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes aus dem vergangenen Jahr (6,1 Milliarden). Auf den Markt gekommen sind auch zwei große öffentliche Bestände, die 21.000 Wohnungen der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) gingen für 1,4 Milliarden Euro an den Augsburger Investor Patrizia, bis Ende Juni werden auch Gebote für die 11 500 Wohnungen im Besitz der bundeseigenen TLG Immobilien vorliegen. Der Verkauf der ehemaligen Treuhand-Bestände könnte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gut eine halbe Milliarde Euro bringen und eine neue Privatisierungswelle einläuten.

Ergebnis der Entschuldung war nicht positiv

Noch sind in Deutschland gut zwei Millionen Wohnungen oder ein Zehntel des Bestandes in Händen des Staates, zum größten Teil sind die Besitzer Kommunen. Es gibt viele gute Gründe für einen Verkauf, man nehme die Finanzsituation der Gemeinden oder die stockende energetische Sanierung, die in den kommenden Jahren einen wichtigen Teil zur Verringerung des CO2-Ausstoßes beitragen soll. „Ohne privates Kapital wird das nicht gelingen“, sagt Michael Voigtländer, Leiter des Fachbereichs Immobilienwirtschaft beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Auch die Begründung dafür, dass der Staat überhaupt mal Immobilienbetreiber geworden ist, nämlich die Wohnungsnot der Nachkriegsjahre, ist längt hinfällig.

Aber es gibt Dresden, die bisher einzige Stadt Deutschlands, die sich durch Wohnungsprivatisierung entschuldet hat. Doch das Ergebnis war nicht nur positiv. „Der Fall Dresden hat in vielen Städten irrationale Ängste geschürt“, sagt Immobilienökonom Voigtländer. In einer Befragung des Berliner Instituts für Stadtforschung gaben zuletzt nur 13 Prozent der Kommunen an, einen Verkauf ihrer Wohnungsbestände überhaupt zu erwägen. Äußerungen zum Thema unterlässt jeder Kommunalpolitiker, dem seine Wiederwahl etwas wert ist.

Die Prager Zeile in der Dresdner Innenstadt ist im Kern Platte und sieht trotzdem schick aus. Bunte Farbe und unregelmäßige Durchbrüche in der Fassade geben dem 250 Meter langen Bau an der größten Einkaufsstraße der Stadt ein modernes Aussehen. 24 Millionen Euro sind nach der Privatisierung 2006 dafür geflossen. Am Amalie-Dietrich-Platz im Dresdner Vorort Gorbitz hingegen ragen drei heruntergekommene, blau-weiße DDR-Bausünden in den Himmel. Vergitterte Fenster, besprühte Wände, abgeplatzte Kacheln – wenn hier in den letzten Jahren Geld investiert wurde, dann nur in neue Satellitenschüsseln.

Glaubenskrieg um Privatisierung

WoBa-Gebäude Quelle: ZB

Seitdem die Stadt Dresden 2006 ihren gesamten Bestand von 48 000 Wohnungen an die Gagfah-Gruppe verkauft hat, tobt in der Landeshauptstadt ein Glaubenskrieg zwischen Gegnern und Befürwortern der Privatisierung. Die einen sehen viel Prager Zeile in der Stadt, die anderen vor allem Amalie-Dietrich-Plätze. Nach einer milliardenschweren Klage gegen die Gagfah und einem aufsehenerregenden Vergleich sind die Fronten verhärtet: Die Opposition wirft dem Rathaus vor, sie jahrelang gezielt belogen zu haben. Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) versucht, Stadträte mit Ordnungsgeldern wegen Geheimnisverrats mundtot zu machen.

Dabei hatte die Beziehung zwischen Verwaltung und Investor hoffnungsvoll begonnen: 2006 verkaufte die Stadt ihre Wohnungsbau GmbH (Woba) für 1,7 Milliarden Euro an die Gagfah, die dem US-Finanzinvestor Fortress gehört. Immobilienmanager Zohari, der den Deal als Chief Sales Officer der Gagfah eintütete, sagt: „Das war für uns ein gutes Geschäft. Wir glaubten an den Markt, als viele der großen angelsächsischen Investoren noch vorsichtig waren.“

Probleme bei der Umsetzung

Nach Abzug aller Schulden der Woba konnte Dresden einen Reinerlös von 982 Millionen Euro verbuchen und wurde damit als erste deutsche Stadt schuldenfrei – zuvor musste die Stadt wegen ihrer maroden Finanzen jahrelang Auflagen der Landesbehörden erfüllen. 77 Millionen Euro, die jährlich für Zinsen und Tilgung draufgingen, flossen nun in den allgemeinen Haushalt. „Ohne den Verkauf hätten wir uns Ausgaben für Kitas, Schulen und Sportstätten nicht leisten können“, sagt Dresdens Ordnungsbürgermeister Detlef Sittel (CDU). Nach dem Woba-Verkauf hat die Stadt offiziell keine neuen Schulden gemacht – seit 2006 greift ein Schuldenverbot in der Hauptsatzung.

Doch damit endet die Erfolgsgeschichte auch schon, und es beginnen die Probleme, aus denen jede Kommune viel lernen kann. Nicht unbedingt darüber, warum eine Privatisierung generell eine schlechte Sache sein sollte, aber über das, was bei der Umsetzung schief laufen kann. Immobilienmanager Zohari sagt: „Viele Kommunen gehen zu blauäugig in die Gespräche mit Investoren.“ Er berichtet von Verhandlungen, bei denen ein Dutzend auf Immobiliengeschäfte spezialisierte Anwälte einem altgedienten Allrounder der Verwaltung gegenübersteht. Von Banken, deren Berichtspflichten für einen Kredit so umfassend sind, dass der Investor dafür sechs neue Mitarbeiter einstellt. Und von Politikern, die sich zur Kontrolle mit einem jährlichen Beisammensein bei Schnittchen zufriedengeben.

Sozialchartas als PR-Maßnahme

Wolfgang Schäuble Quelle: dapd

Fast so wichtig wie der Kaufpreis ist bei Privatisierungen für den Staat, dass der Investor die Wohnungen nach sozialen Kriterien bewirtschaftet. In Dresden schuf man dafür eine Sozialcharta. Höchstgrenzen für Mieterhöhungen, lebenslanges Wohnrecht für Alte und ein Mindestmaß an Instandhaltung waren vereinbart. Der ehemalige Gagfah-Manager Zohari kann über solche Klauseln nur schmunzeln. Lebenslanges Wohnrecht für Ältere? „Die leben schon so lange in den Wohnungen, dass sie unkündbar sind.“ Mindestsummen für die Instandhaltung? „Die Vereinbarung von Durchschnittswerten ist sinnlos.“ Auch Andreas Pfnür, Professor für Immobilienwirtschaft an der Technischen Universität Darmstadt, sagt: „Sozialchartas sind oft PR-Maßnahmen.“

An der Vereinbarung zwischen Gagfah und Dresden zeigt sich lehrbuchhaft, wie schwierig es für den Staat ist, nach dem Verkauf Einfluss auf die Wohnungsbestände zu behalten – und wie sehr die Politik sich vom Investor abhängig macht. Die Stadt hatte mit der Gagfah ausgehandelt, dass ein Vertreter der Stadt in den Aufsichtsrat des Unternehmens einziehen würde. Hartmut Vorjohann (CDU), Finanzbürgermeister der Stadt, übernahm den Job. Schon bald brachte Vorjohann diese merkwürdige Zwitterrolle als Interessenvertreter von Stadt und Gagfah in Nöte. Als die Gagfah einen Teil ihrer Wohnungen verkaufte, ohne die neuen Investoren wie vereinbart zu verpflichten, den Mietern bei einer Weiterveräußerung ein Vorkaufsrecht einzuräumen, verklagte die Stadt die Gagfah auf mehr als eine Milliarde Euro Schadensersatz. Die Gagfah antwortete mit zwei Gegenklagen, gerichtet an die Stadt – und Vorjohann persönlich: Er habe seine Verpflichtungen gegenüber dem Unternehmen verletzt.

Frühe Vertragsverstöße verschleiert

Die Eskalation kam überraschend: Bis dahin hatte Vorjohann das Unternehmen vor allem vor dem Stadtrat in Schutz genommen. Aus den vertraulichen Schriftsätzen, die Gagfah und Stadt im Zuge ihrer Klagen austauschten, geht hervor, dass die Verwaltung schon im April 2009 Vertragsverstöße geltend machte. Im zuständigen Beirat Wohnen behauptete Vorjohann aber im Oktober 2009, dass es keine Vertragsverstöße gebe, und bestätigte dies noch im Juli 2010 schriftlich gegenüber dem Stadtrat. „Kalkulierte Intransparenz“ nennt das André Schollbach, Fraktionsvorsitzender der Linken im Stadtrat.

Vorjohann hat selbst eingeräumt, er habe während der Diskussion mit der Gagfah ein hohes Interesse gehabt, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, um „die Woba-Privatisierung weiterhin als Erfolgsgeschichte fortzuschreiben“. Er habe bei der Kommunikation mit Beirat und Stadtrat darauf geachtet, „dass der tatsächlich vorhandene Konflikt nicht schon vorher einer öffentlichen politischen Diskussion zugeführt wurde“, schreibt der Finanzbürgermeister in einer vertraulichen Zeugenaussage im Prozess mit der Gagfah.

Im März 2012 stimmte der Stadtrat schließlich einem Vergleichsvorschlag zu, durch den die Gagfah bis 2020 insgesamt 36 Millionen Euro Strafe zahlen muss. Ein vergleichsweiser Klacks. Die Berufung des Finanzbürgermeisters in den Aufsichtsrat hat sich damit als Eigentor erwiesen, die es schwieriger und nicht leichter macht, die Interessen der Stadt zu wahren.

Kein gutes Ergebnis bei Verkaufsdruck

Wohnviertel in Freiburg. Quelle: APN

Problematischer als die Kontrolle nach dem Verkauf ist bei Privatisierungen wie in Dresden aber vielmehr die Ausgangslage. „Zu oft schaut die öffentliche Hand bei Veräußerungen nur auf den Preis“, sagt Immobilienökonom Pfnür. Der politische Prozess verengt sich auf eine Zahl, der restliche Vertrag findet kaum Beachtung. Pfnür plädiert für klare vertragliche Pflichten anstelle von biegsamen Sozialvereinbarungen. Städte dürften zudem nicht den Fehler machen, aus einer Position der Schwäche auf den Markt zu gehen. Wenn die Haushaltssperre kurz bevorsteht, steigt der Verkaufsdruck so weit, dass ein gutes Verhandlungsergebnis fast unmöglich wird.

Wer nach einem Fazit aus dem Fall Dresden sucht, der landet vielleicht bei Otto Neideck. Neideck, Kämmerer der Stadt Freiburg, ist nur haarscharf am Schicksal seines Kollegen Vorjohann vorbeigeschrammt. 2007, kurz nachdem die Dresdner Blitzentschuldung bundesweit für Furore sorgte, wollte auch die Stadt Freiburg ihre Wohnungen verkaufen. Stadtkämmerer Neideck erinnert sich: „Die Bezirksregierung drohte damit, uns unter Haushaltsaufsicht zu stellen, wenn wir nicht schnell unsere Schulden verringern würden.“ Die Privatisierung hätte auch Freiburg auf einen Schlag schuldenfrei gemacht. Mit einem Investor war man sich schon einig, da begann die Mieterrevolte. Wochenlange Proteste, am Ende ein Bürgerentscheid und ein überwältigendes Ergebnis: Mehr als 70 Prozent der Freiburger sprachen sich gegen den Verkauf aus.

Sparsamkeit in Freiburg

Seitdem haben Freiburg und Dresden gegensätzliche Entwicklungen genommen. In Dresden droht Finanzbürgermeister Vorjohann mit einer Haushaltssperre, weil 2012 fast 33 Millionen Euro im Haushalt fehlen. Kosten für Kitas und Schulen explodieren in der wachsenden Stadt. Zudem wird das Schuldenverbot umgangen: Um den Umbau des Kulturpalastes ohne Darlehen zu stemmen, zapft die Stadt das Vermögen der Sozial- und Kreuzchorstiftungen an. Auch die Sorgen mit der Gagfah sind nach dem Vergleich nicht aus der Welt. „Ein Verkauf des Gesamtportfolios ist eine Option, die wir prüfen“, heißt es bei der Gagfah zu Dresden.

In Freiburg hingegen ist seitdem Sparsamkeit ausgebrochen. Seit 2007 konnte die Verschuldung um 50 Millionen Euro gesenkt werden, schon im kommenden Jahr soll der Haushalt strukturell ausgeglichen sein. „Erst durch die Debatte um die Privatisierung ist in Freiburg das Bewusstsein dafür entstanden, dass die Stadt und alle ihre Bürger sparen müssen“, sagt Kämmerer Neideck. Nun ist Freiburg eine von Demografie und Wirtschaftsentwicklung begünstigte Stadt, viele Gemeinden haben diese Perspektive nicht. Und doch zeigt der Vergleich mit Dresden: So richtig die Privatisierung an sich sein mag, zum Erfolg wird sie erst, wenn man die Einnahmen nicht gleich wieder verbrät.

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